Die politische Neutralität des Internationalen Olympischen Komitees führt oft zu Diskussionen – aktuell auch unter den Sportlern selbst.
Es sind die Widersprüche, die irritieren. Das Internationale Olympische Komitee ist gemäss eigener Charta politisch neutral. Und doch lässt das IOC zu, dass Nationale Olympische Dachverbände (NOK) von Staatspräsidenten geführt oder zumindest von Sportministerien orchestriert werden. Und dies nicht unbedingt in demokratischen Musterländern.
Etwa in China, in Aserbaidschan oder Turkmenistan und eben auch in Weissrussland. Dort ist Präsident Alexander Lukaschenko – im Westen oft als letzter Diktator Europas betitelt – seit 1997 auch Vorsitzender des NOK und wurde noch vor einem Jahr in der Rolle als Gastgeber der Europaspiele ausdrücklich für die Verdienste zu Gunsten des Sports gelobt.
Immerhin ist derzeit von Lobpreisungen in Richtung Minsk wenig zu hören. Im Gegenteil. Das IOC hat anlässlich des Treffens vor zehn Tagen überraschend klare Worte benutzt, um die Freiheit von politischen Ansichten der weissrussischen Athletinnen und Athleteneinzufordern. Dies als Reaktion auf Meldungen, wonach Sportler vom weissrussischen NOK abgestraft werden, die sich an Demonstrationen oder mit Bekundungen für einen Machtwechsel ausgesprochen haben.
Das IOC setzt sich also für das Recht der freien Meinungsäusserung in Weissrussland ein, hält selber aber weiterhin an der Regel 50 der Olympischen Charta fest. Diese besagt, dass politische, religiöse oder rassistische Proteste etwa bei Siegerehrungen nicht erlaubt sind.
Neben dem bekanntesten Beispiel der zum Himmel gereckten Fäuste der beiden schwarzen US-Athleten Tommie Smith und John Carlos an der Siegerehrung der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko gab es auch in jüngster Vergangenheit Beispiele, wie Sportler im Soge der Black-Lives-Matter-Bewegung öffentlichkeitswirksam gegen Rassendiskriminierung einstanden.
Während Sebastian Coe, Präsident des Weltverbands der Leichtathletik und seit 17. Juli IOC-Mitglied, vergangene Woche erklärt hat, er unterstütze die Geste von knienden Sportlern auch bei den Sommerspielen 2021 in Tokio, will Thomas Bach davon nichts wissen.
Doch immer mehr Athleten sehen die Regel 50 als Einschränkung der persönlichen Meinungsfreiheit und das Hinknien vielmehr als Protest gegen gesellschaftliche und nicht politische Normen.
Bis Ende Jahr soll die Athletenkommission des IOC nun Vorschläge für eine allfällige Anpassung der Regel 50 machen.