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Andy Murray geht als Nummer eins in das letzte Turnier des Jahres, die World Tour Finals in London. Für den Schotten war es ein langer, steiniger Weg an die Spitze. Weshalb es der 29-Jährige am Ende doch noch geschafft hat.
Würde man Tennisspieler mit Fussballern vergleichen, dann liessen sich schöne Parallelen feststellen. Roger Federer? Eine Nummer zehn alter Schule. Eleganter Spielmacher, filigraner Ballverteiler. Typ Zinedine Zidane. Rafael Nadal? Bulliger Mittelstürmer, kaltblütiger Torschütze. Typ Diego Costa. Novak Djokovic? Die Mauer. Abwehrstarker, reaktionsschneller Torhüter mit offensiver Ausstrahlung. Typ Manuel Neuer. Stan Wawrinka? Der kopfballstarke Innenverteidiger, der, wenn es die Situation erfordert, auch im gegnerischen Strafraum auftaucht. Typ: Gerard Piqué. Andy Murray? Die Nummer sechs, der defensive Mittelfeldspieler. Der Mann, der aus der Tiefe des Raums kommt, der nimmermüde Dauerläufer. Typ: Gennaro Gattuso.
Der Italiener Gattuso war einer, der während eines Spiels Kilometer und Gras gefressen hat. Ihm zuzuschauen, war selten ein Genuss – im Gegenteil. Das Endresultat für seine Mannschaften war dafür in der Regel umso erfreulicher.
Gruppe John McEnroe:
Andy Murray auf dem Tenniscourt bei der Arbeit zu beobachten, ist oft auch kein wirklicher Augenschmaus. Das ist meistens ein einziger, verbissen geführter Kampf. Oft begleitet durch unfreundliche Zwiegespräche mit seiner selbst oder verbalen Salven in Richtung seiner Box.
Der drahtige, meist im schwarzen Tenue auftretende Mann, der wie ein Irrwisch auf dem Tennisplatz herumrennt, ist kein Tennisspieler, in den man sich auf den ersten Blick verliebt. Aber er ist erfolgreich. So erfolgreich, dass er am vergangenen Montag zum ersten Mal in seiner Karriere den Thron der Weltrangliste besteigen durfte.
Gruppe Ivan Lendl:
«Das ist etwas, was ich nicht erwartet habe. Etwas, von dem ich gedacht habe, dass ich es nie schaffen würde», sagte Andy Murray an dem Tag, als feststand, dass er ganz oben angekommen ist. Während Jahren war er im Schatten seiner schier übermächtigen Konkurrenten Djokovic, Federer und Nadal gestanden.
«Wenn man hinter diesen Spielern klassiert ist, dann ist es schwierig, nicht den Glauben zu verlieren. Nicht aufzuhören, auf dieses grosse Ziel hinzuarbeiten», sagte der Schotte und fügte an: «Die grösste Genugtuung besteht für mich darin, zu wissen, wie gut diese Spieler während all der Jahre gewesen sind. Es sind drei der besten Spieler, die je Tennis gespielt haben.»
So ehrfürchtig, wie er von seinen grossen Rivalen spricht, so lange dauerte es, bis sich Andy Murray von seinen Mitkonkurrenten emanzipierte. Immer wieder scheiterte er im letzten Moment. Immer wieder stand ihm einer vor der Sonne. In diesem Jahr nutzte er endlich die Gunst der Stunde. Während Federer und Nadal auf physischer Ebene den Strapazen Tributzollten, begann Djokovic nach seinem Sieg in Roland Garros (gegen Murray!) auf psychischer Ebene zu schwächeln.
Sonntag: Djokovic - Thiem (15.00) und Raonic - Monfils (21.00).
Montag: Wawrinka - Nishikori (15.00) und Murray - Cilic (21.00).
In der ersten Turnierphase spielt in beiden Gruppen jeder gegen jeden. In den Halbfinals treffen die Erst- und Zweitplatzierten übers Kreuz aufeinander.
Die Rekordsieger
6 Titel Roger Federer
5 Titel Novak Djokovic
5 Titel Ivan Lendl
5 Titel Pete Sampras
Nach Paris betrug der Vorsprung des Serben in der Weltrangliste über 8000 Punkte. Diese unglaubliche Kluft machte Andy Murray mit einer Konstanz wett, die man zuvor nur von Djokovic oder von Federer in dessen besten Jahren kannte. Von 50 Spielen seit Roland Garros gewann die neue Nummer eins deren 47. Er holte die Titel in Queen’s, Wimbledon, Peking, Schanghai, Wien, Paris-Bercy und schnappte sich im August in Rio de Janeiro auch noch die olympische Goldmedaille.
Wo liegen die Gründe für diesen unglaublichen Aufschwung des 29-Jährigen? Es gibt drei Aspekte, die es zu beachten gilt.
Wenn Andy Murray auf dem Tennisplatz steht, dann gibt es für seine Gegner trotzdem kein Entrinnen. Dann pflügt er den Court wieder um, verbeisst sich förmlich in den Kontrahenten auf der anderen Seite. Wie einst Gennaro Gattuso. Und immer aus der Tiefe des Raumes.