Frankreichs Davis-Cup-Captain Yannick Noah ist für das Tennis in seiner Heimat Damoklesschwert und Placebo zugleich. Der Franzose brachte mindestens so viele Skandale wie Erfolge mit sich.
An diesem Sonntag, dem 1. Dezember 1991, gibt es in Lyon kein Halten mehr. Nach dem ersten Sieg im Davis Cup seit 59 Jahren steckt Frankreich in einem kollektiven
Delirium. An der Spitze einer Polonaise geht ein Mann mit Rastalocken und animiert das Publikum mit einem Mikrofon dazu, zur Melodie von «Saga Africa» mitzusingen. Es ist Yannick Noah, der Captain, damals Liebling der Nation, erst als Spieler, dann als Trainer, später als Musiker.
Aufgewachsen ist Noah in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Nach dem Ende der Karriere als Fussballer in Sedan war Vater Zacharie mit seiner Frau Marie-Claire und seinen drei Kindern dorthin zurückgekehrt. Yannick, der Älteste, wird von der Tennis-Legende Arthur Ashe entdeckt und geht mit elf Jahren zurück nach Frankreich. Sieben Jahre später spielen sie
gemeinsam in Wimbledon. 1983 gewinnt Noah als letzter Franzose die French Open.
Unvergessen sind die Bilder, wie Vater Zacharie, der vor einem Monat verstorben ist, auf den Platz rennt, um seinen Sohn zu umarmen. Das ist fast 34 Jahre her. Noah hat sich längst anderen Dingen zugewandt, dem Tennis aber nie den Rücken gekehrt.
Paris, 25. September 2010, Stade de France, 80 000 Zuschauer. Auf der Bühne: Yannick Noah. Es ist einer der Höhepunkte seiner dritten Karriere, jener als Chansonnier und politischer Aktivist.
Seine Alben werden millionenfach verkauft, stürmen die Hitparade. Es ist das Jahr, in dem Yannick Noah zum fünften Mal in Folge zum beliebtesten Franzosen gewählt wird. Für die Jüngeren ist er mehr Rockstar als Sportler. Einer, der «Le Savoir-vivre» verkörpert wie kein Zweiter. Auf der Karibikinsel Saint-Barthélemy besitzt er das «Do Brazil», ein Restaurant.
Dreimal ist er verheiratet, erst mit Cécilia Rodhe, der Miss Schweden von 1978, dann mit dem Model Heather Stewart-Whyte, und seit 2003 mit der TV-Produzentin Isabelle Camus.
Der Franzose gewinnt 23 Turniere und schafft es in der Weltrangliste bis auf Rang 3. 1983 triumphiert er bei den French Open, im Jahr darauf gewinnt er mit Henri Leconte das Doppel. Als Captain gewinnt er 1991 und 1996 den Davis-Cup, 1997 den Fed-Cup. Noah hat mit drei Frauen fünf Kinder, darunter NBA-Spieler Joakim (31) und Model Yélénah (19). Seit Dezember führt er das Davis-Cup- und Fed-Cup-Team im Doppelmandat.
«Ich habe extrem Glück gehabt, wenn man bedenkt, woher ich komme. Als kleiner Junge in Kamerun lebten wir am Ende der Welt, wandelten barfuss und ohne Geld durch Afrika», sagt Noah einmal. Nach seiner Aktivzeit lebt er zehn Jahre in New York, drei Jahre auch in der Schweiz in Vallon de Villard oberhalb von Montreux. «Da waren nur die Aussicht auf den See und Kuhglocken. Es war der einzige Ort auf der Welt, wo ich der Stille zugehört habe.»
Und wo er das Gesetz reizt. Weil er drei Konten, eines in der Schweiz, eines in Holland, eines in den USA, vor dem Fiskus verheimlicht, muss er 1996 eine Million Franken Busse zahlen.
Eine Geschichte, die immer wieder zum Bumerang wird. Wie im Streit mit Rechtspopulistin Marine Le Pen, die er in seinem Lied «Ma Colère» («Meine Wut») angreift. «Meine Wut ist keine Front, meine Wut ist nicht national», singt Noah.
Weil Le Pen ihn als Steuerflüchtling bezeichnet, verklagt er sie wegen Rufschädigung auf 50 000 Franken Genugtuung. Er verliert den Prozess. Es ist nicht mehr sein Frankreich. Er ist in einem gespaltenen Land nicht mehr Sprachrohr der Multikulturalität. Seine Popularität, begründet auch im karitativen Wirken für Kinder, leidet.
«Ich spreche für ein Land, das nicht existiert. Ich träume von einer Welt, in der Grenzen nicht teilen, ohne Barrieren, ohne Festungen», singt Noah, der Rebell. Ein Rebell, der mit seinen Ansichten oft aneckt.
«Heute ist es im Sport wie bei Asterix bei den Olympischen Spielen: Wenn du keinen Zaubertrank hast, ist es schwierig, zu gewinnen», sagt Noah vor sechs Jahren und zielt mit seiner Kritik auf Spanien und fordert die Legalisierung von Doping. Frankreichs damaliger Sportminister Davide Douillet kritisiert diese Aussage als unverantwortlich. Selber, so erzählt Noah gerne, hat er auch zu seiner Aktivzeit gerne einmal Cannabis geraucht.
Gestern in Genf. Charmant, mit weicher Stimme und gewinnendem Lächeln beantwortet Noah Fragen. Wieso er nur drei Spielerinnen aufgeboten habe? «Weil zwei nicht motiviert waren.» Ob es ein Problem sei, dass er auch als Davis Cup-Captain amtet, wo er noch am letzten Wochenende in Japan im Einsatz stand? «Nein, das ist spannend. Ich nehme die Dynamik von dort gleich mit und passe mich an die Spielerinnen an.»
Seit Dezember übt er als Nachfolger von Amélie Mauresmo ein Doppelmandat aus, «weil es mir Freude bereitet». Yannick Noah ist der letzte französische Grand-Slam-Sieger. Sein Name schwebt wie ein Damoklesschwert über der heutigen Generation. Gleichzeitig scheint er auf die Tennis-Seele so etwas wie einen Placebo-Effekt auszuüben. Als er vor 20 Jahren erstmals als Fed Cup-Captain amtete, gewann das Team den Frauenwettbewerb erstmals.