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Der deutsche Stürmer Sandro Wagner ist die wohl umstrittenste Persönlichkeit der Bundesliga. Mit Aussagen wie «Ich bin der mit Abstand beste deutsche Stürmer» oder «Bundesliga-Profis verdienen eher zu wenig Geld» hat er sich bei den Fans nicht gerade beliebt gemacht.
Jogi Löw, der deutsche Nationaltrainer, sitzt auf der Tribüne. Gekommen, um sich persönlich ein Bild zu machen von dem Mann, der jüngst mit sanfter Stimme in ein TV-Mikrofon sagte: «Ich bin überzeugt, dass ich aktuell der beste deutsche Stürmer bin.» 20 Tore im Kalenderjahr 2016 geben ihm recht, keiner war besser.
Und dann das: Rote Karte wegen groben Foulspiels. Ein Tag zum Vergessen für Sandro Wagner. Auch, weil im Spitzenspiel zwischen Hoffenheim und Leipzig (1:2) sein Widersacher Timo Werner, das flinke und technisch brillante Gegenstück zum rustikalen Wagner, einen grossen Auftritt hat und bei Löw punkten kann. Doch dass es überhaupt soweit gekommen ist, dass die Medien das Duell zwischen Wagner und Werner als jenes um den Platz im Sturm des Weltmeisters ausgerufen haben, das grenzt mit Blick auf Wagner an ein Wunder.
Es gab Zeiten, in denen musste Sandro Wagner sich viel gefallen lassen. «Nichtskönner», «schlechtester Bundesliga-Profi aller Zeiten», oder «Blinder» waren noch die netteren Rufe von den Zuschauerrängen. Die Journalisten stempelten ihn ab als Grossmaul, als stolzer Gockel, der nur labert, aber nie liefert.
Ein Stück weit war dies ja auch so: Als er 2012 als bei Werder Bremen Gescheiterter in die zweite Liga zu Kaiserslautern ausgeliehen wurde, traf er in elf Spielen kein einziges Mal. Statt Selbstkritik zu üben, lästerte Wagner über den fehlenden Teamgeist in Kaiserslautern und verspottete die 100 000-Einwohner-Stadt als «Dorf».
Einmal sagte er vollen Ernstes in einem Interview, obwohl ihm der Pressesprecher zur Streichung des Zitats riet: «Fussball-Profis verdienen zu wenig. Auch die bei Bayern, die 12 Millionen bekommen.»
Und dann gibt es da die Episode aus Aarau: Wagner, einst ein gefeiertes Talent bei Bayern München, war wieder einmal auf Klubsuche. Im Zuge dieser mühte er sich zu Verhandlungen mit dem FCA in die Schweiz. Als man ihm dort das – zugegeben spartanische – Brügglifeld-Stadion zeigte, fragte Wagner: «Und wo spielt ihr?» Er dachte, auf dem Brügglifeld werde nur trainiert.
Später, 2012, landete er dank guter Beziehungen in Berlin bei der Hertha, doch nach ansprechendem Start kam es auch dort zu Reibungen. Wagner wurde sogar in die zweite Mannschaft degradiert, durfte nur noch trainieren. «Das Beste, was mir passieren konnte», so Wagner.
Warum? Er sah ein, dass er sein Ego zwar behalten konnte, aber besser einsetzen musste. Und nur dank der Ausbootung in Berlin landete er im Sommer 2015 beim Aufsteiger Darmstadt, der für die Mission «Klassenerhalt» einen Brecher-Typen wie Wagner suchte. In Darmstadt traf er auf Dirk Schuster, der erste Trainer, der ihm vertraute. Wagner blühte auf und hielt mit seinen Toren «die Lilien» in der Bundesliga. Wagner, mittlerweile 29-jährig, roch die Chance auf einen grossen Vertrag und machte klar, dass er Darmstadt direkt wieder verlasse.
Es ging nach Hoffenheim, das ihm einen hohen Lohn zahlt, mit Wagner aber auch den Erfolg zurückgeholt hat. Die «Zeit» über den Wagner-Effekt: «In Hoffenheim sind sie auch deshalb so glücklich, ihn als Spieler zu haben, weil sie so einen wie ihn vorher noch nie hatten. Den Grossen und Starken, den man gerne dabei hätte, wenn es Stress auf dem Schulhof oder der Stammkneipe gibt.»
«Unsympathisch», findet sich Wagner selbst, «aber wenigstens ehrlich.» Sein Traum, einmal für die Nationalmannschaft zu spielen, dürfte unerfüllt bleiben. Nicht, weil er zu wenig Tore erzielt oder weil er vom Platz flog. Sondern weil er wohl nicht ins Konzept von Schöngeist Jogi Löw passt.