Verlieren die Miami Dolphins in der NFL absichtlich, um sich für die Zukunft einen Vorteil zu erschleichen?
Absichtlich verlieren – darf man das? Es ist die Frage, die derzeit den populärsten Sport der USA umtreibt, American Football.
Die Geschichte beginnt bei den Miami Dolphins. Das Team steht nach 7 von 16 Spielen ohne einen einzigen Sieg da. Mehr noch: Es gibt Zweifel, ob sie sich mit allen Mitteln gegen Niederlagen wehren. Mitte Oktober «verhinderten» die Dolphins einen Sieg im Duell mit den ebenfalls sieglosen Washington Redskins mittels eines skurrilen Fehlpasses wenige Sekunden vor Schluss. Die «Sports Illustrated» schrieb: «Ein Duell voller Traurigkeit.» Spätestens da war die Absicht klar: Die Dolphins haben wohl nichts dagegen, am Ende der Saison den allerletzten Platz zu belegen.
Warum ist das so? In Nordamerika werden jeweils die schlechtesten Teams der Vorsaison belohnt: Sie dürfen beim sogenannten «Draft», der jährlichen Auswahl der grössten Talente, zuerst auswählen. Das letztplatzierte Team als erstes. Das System soll den Sport gerechter machen. Verhindern, dass jahrelang dieselben Mannschaften dominieren. Nur werden heute Schlupflöcher in diesem System ausgenutzt, es entsteht neben dem Kampf um den Titel eine Art zweite Meisterschaft – jene, in der entschieden wird, wer den besten Spieler der Zukunft erhält. Vor allem dann, wenn der Auserwählte ein kommender Superstar werden könnte, wie das bei Quarterback Tua Tagovailoa erwartet wird.
Absichtlich verlieren? Es ist eine Frage, bei der es auch um Moral und Ethik geht. In amerikanischen Fan-Kreisen der Miami Dolphins freut man sich derzeit tatsächlich über Niederlagen. Doch das sehen nicht alle so. Besonders in Europa ist man irritiert von dieser Einstellung zum Verlieren. Tobias Klerx ist Vorstandsmitglied des deutschen Fanklubs der Dolphins und Podcaster im «Dolphins Drive», in dem wöchentlich über sein Lieblingsteam philosophiert wird. Er sagt:
«Wenn sich jemand freut, wenn sein Team verliert, dann ist er für mich kein Fan. Auf eine Niederlage zu hoffen, könnte ich nicht mit mir vereinbaren.»
Im Fachjargon wird das absichtliche Herschenken von Spielen und Saisons als «Tanking» bezeichnet. Alleine die Tatsache, dass in den USA ein Begriff für dieses Phänomen existiert, zeigt, dass die Strategie Tradition hat. Logischerweise treibt das Thema auch Klerx um. Er sagt: «Es kommt darauf an, wie man es definieren will. Sieht man es eng und sagt, die Spieler gehen aufs Feld, um absichtlich zu verlieren, dann tanken die Dolphins sicher nicht. Dass hingegen die Vereinsleitung im Zuge eines Neuaufbaus Niederlagen hinnimmt, ist möglich.»
Davon, dass die Spieler gezielt verlieren wollen, ist nicht auszugehen. Im knallharten Geschäft des US-Sports, wo Verträge und Karrieren von einem Tag auf den anderen beendet sein können, müssen die Akteure jedes Spiel nutzen, um Eigenwerbung zu betreiben. Die Verantwortung ist vielmehr im Management zu suchen. Dort wurde nichts unversucht gelassen, um einen radikalen Umbruch einzuleiten. Vor der Saison wurden die besten Spieler abgegeben, im Tausch gegen weitere Draft-Picks. So kommt es, dass Miami im kommenden NFL-Draft Ende April alleine in der ersten von sieben Runden drei Spieler auswählen darf. So will man ein Team aufbauen, das künftig wieder um Titel mitspielt. Dolphins-Fan Klerx sagt: «Für Amerikaner ist das Prinzip des Neuaufbaus ganz normal. Wir in Europa haben eine andere Mentalität, darum tut es uns mehr weh, zu sehen, wie Miami verliert.»
Die Geschichte des Tankings im US-Sport umfasst einige Kapitel. Salonfähig machte das Vorgehen etwa das Basketball-Team der Philadelphia 76ers. Von 2013 bis 2016 gehörte es zu den schlechtesten der NBA, heute ist es Titelkandidat. Um Tanking zu verhindern, müssten die Regeln geändert werden. So, wie das im Eishockey und beim Basketball bereits passiert ist. Dort wird ausgelost, wer den ersten Pick erhält. Noch gibt es im Football keine entsprechenden Pläne.
Darum blicken NFL-Fans gespannt auf den 22. Dezember. Dann steht das Duell zwischen Miami und den Cincinnati Bengals an. Auch die Bengals sind aktuell noch ohne Sieg. Gut möglich, dass beide dann dasselbe Ziel haben: Auf keinen Fall gewinnen.