Interview
Für alle Teilnehmer der Olympischen Spiele in Tokio gilt: Wetten verboten!

Der Deutsche Friedrich Martens leitet die Abteilung zur Verhinderung von Spielmanipulation im Internationalen Olympischen Komitee. Er überwacht die Wettaktivitäten vor Ort in Tokio und erklärt im Interview die Tücken von Sportwetten.

Rainer Sommerhalder
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Mit Sportwetten werden auch bei Olympischen Spielen Milliarden umgesetzt.

Mit Sportwetten werden auch bei Olympischen Spielen Milliarden umgesetzt.

Keystone

Herr Martens, wieso braucht die Olympische Bewegung eine Abteilung zur Verhinderung von Spielmanipulation?

Friedrich Martens: Das Thema Spielmanipulation ist von grundsätzlicher Wichtigkeit für den gesamten organisierten Sport. Wenn nicht gesichert ist, dass Fairplay und Integrität das bestimmen, was auf dem Spielfeld passiert, hat jedwede Form des sportlichen Wettbewerbs ihre Berechtigung verloren.

Aber sind Fussball-EM oder Wimbledon nicht viel stärker von Wettbetrug betroffen als Olympische Spiele?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz so einfach. Tennis und vor allem Fussball sind bei weitem die wichtigsten Sportarten auf dem Sportwettmarkt. Niemand kennt die genauen Zahlen, da der Markt sehr fragmentiert und nach wie vor zu einem gewissen Grad intransparent ist. Wir gehen davon aus, dass die Fussball-EM zwischen fünf- bis zehnmal mehr Umsatz auf dem Wettmarkt generiert als alle Wettbewerbe bei den Sommerspielen in Tokio zusammen. Allerdings reden wir auch bei Olympia über einen Umsatz an Sportwetten zwischen 8 und 10 Milliarden Euro.

Friedrich Martens ist Experte beim IOC für das Thema Spielmanipulation.

Friedrich Martens ist Experte beim IOC für das Thema Spielmanipulation.

PD

Welche Sportarten ziehen denn in Tokio am meisten?

Wir gehen davon aus, dass Fussball und Tennis auch bei Olympia geschätzt die Hälfte des Wettumsatzes ausmachen und der Rest auf die 31 anderen Olympischen Sommersportarten fällt. In Tokio wird auf sämtliche Sportarten und alle Wettbewerbe gewettet – auch Sportarten, die ansonsten auf dem Wettmarkt gar nicht vorkommen. Grundsätzlich haben wir auch nichts dagegen einzuwenden. Aber es macht eben deutlich, dass wir eine spezielle Verantwortung haben, alle Sportarten zu schützen.

Das IOC hat die Anstrengungen gegen Manipulationen deutlich verstärkt. Offensichtlich sind Olympische Spiele nicht vor verfälschten Wettkämpfen gefeit?

Es wäre unrealistisch, zu sagen, dass Sportwett-Manipulation bei Olympia nie passieren kann. Es ist mir aber sehr wichtig, zu betonen, dass bei Olympischen Spielen bisher kein Fall von Matchfixing identifiziert wurde – also eine vorsätzliche Verschiebung eines Wettbewerbs, um auf dem Wettmarkt zu profitieren.

Dazu beitragen soll die Sensibilisierung der Athleten. Welche Regeln gelten für die Teilnehmenden in Tokio?

Unsere Sportregeln besagen, dass eine bei Olympia akkreditierte Person aus den Delegationen unter keinen Umständen auf irgendeinen Wettbewerb bei diesen Spielen wetten darf. Wir verfolgen und sanktionieren dies auch. Wir wollen nicht, dass dies der erste Schritt Richtung signifikanter Fälle von Wettbewerbsmanipulation sein könnte.

Es gab bei fast allen Olympischen Spielen Verstösse gegen das Wettverbot. (Bild: Eröffnungszeremonie Tokio 2020)

Es gab bei fast allen Olympischen Spielen Verstösse gegen das Wettverbot. (Bild: Eröffnungszeremonie Tokio 2020)

Peter Klaunzer / KEYSTONE

Wie oft werden diese Regeln gebrochen und wie erwischt man die Täter?

Wir haben bei fast jeden olympischen Spielen Fälle, in denen dieses Wettverbot für Sportpersonen gebrochen wird. Die Voraussetzung, um solche Regelbrüche aufzudecken, ist die enge Zusammenarbeit und ein Informationsaustausch mit verschiedensten Sportwettunternehmen auf der ganzen Welt. Es ist wichtig zu verstehen: Hier geht es nicht um Fälle von Matchfixing. Wir reden hier also nicht über kriminelle Machenschaften, sondern um das Missachten von bestehenden Regeln.

Was passiert mit Sündern?

Die konkreten Nachweise ermöglichen es uns, mit einer möglichst schon während der Spiele eingesetzten Disziplinarkommission jeden Einzelfall zu sanktionieren. Aber klar geht es hier nicht um drakonische Strafen wie lange Sperren oder unrealistische Geldstrafen, wenn der Sportler die Regeln nicht kannte und nur für kleine Beträge ohne Vorsatz gewettet hat. Allerdings besteht auch die Möglichkeiten für harte Strafen, wenn es sich um Fälle vorsätzlichen Sportwettbetrugs in grossem Umfang handeln würde.

Rechnen Sie damit, dass es in Tokio Versuche gegen wird, sportliche Resultate durch Betrug zu verändern?

In einem Themenbereich wie unserem, kann man nur sehr bedingt Aussagen tätigen, was zu erwarten ist. In der «Risikoanalyse» aller Sportarten und Disziplinen kam aber definitiv auch zur Sprache, dass das Thema Covid auch hier leider eine potentielle Gefahr birgt: Die Tatsache, dass die Berufsausübung auch für Sportler in weiten Teilen der Welt lange Zeit nicht möglich war und daher das finanzielle Auskommen leidet, macht diese natürlich auch angreifbarer für mögliche Korrupteure, die das auszunutzen versuchen. Generell gilt, dass wir mit dem gesamten Team alles in unserer Macht stehende getan haben, um für die Problematik und die geltenden Regeln innerhalb des Sports Bewusstsein zu schaffen. Falls es trotzdem zu Fällen kommt, sind wir auch dafür bestens vorbereitet.

Das Hauptaugenmerk Ihrer Abteilung liegt bei der Prävention. Wie sieht diese aus?

Die Tatsache, dass die Sportwettmärkte für die meisten Olympischen Sportarten ausserhalb der Olympischen Spiele noch nicht voll entwickelt sind, gibt uns die Möglichkeit, durch präventive Massnahmen ein Fundament dafür zu schaffen, dass in diesen Sportarten auch in Zukunft kein Sportwettbetrug passiert. Bei der Prävention arbeiten wir mit den internationalen Sportverbänden sowie den nationalen olympischen Komitees zusammen. Wir benutzen ganz viele verschiedene Arten der Aktivierung: Social Media, Team Meetings, Seminare zu unterschiedlichen Themen, eLearnings, und so weiter.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Zwei Beispiele will ich herausheben: Unser «Ambassadors Program», mit dem wir mithilfe von aktiven und ehemaligen Sportpersönlichkeiten direkt mit den Athleten kommunizieren und diese auf die Thematik und die Regeln hinweisen. Zweitens hat das IOC unter dem Namen «Athlete365» eine spezielle Plattform ins Leben gerufen, die uns die Möglichkeit gibt, alle unsere Inhalte schnell und einfach mit unseren Partnern in der Olympischen Bewegung zu teilen und schnell mit diesen in Verbindung zu treten.

Das IOC setzt auch während der Olympiade auf Ausbildung und Schulung.

Das IOC setzt auch während der Olympiade auf Ausbildung und Schulung.

Eugene Hoshiko / AP

Das IOC betont, die beste Abwehr gegen Matchfixing sei «good practice». Was neben der Prävention gehört noch dazu?

In unserer Abteilung innerhalb des IOC versuchen wir, alle Sportarten der Olympischen Bewegung vollumfänglich aus drei Richtungen zu schützen. Erstens: Die Schaffung von Sportregularien, die Hilfe bei der Implementierung dieser Regeln für alle internationalen Sportverbände und NOKs und Richtlinien für Sanktionierung von Verstössen. Zweitens: Prävention und Bewusstseinsbildung für das Thema «Wettbewerbsmanipulation» bei Athleten, deren Entourage und auch Schiedsrichter, aber auch innerhalb institutioneller Partner. Das machen wir gemeinsam mit unterschiedlichen externen Partnern wie Interpol und der UN insbesondere bei Regierungen und Strafverfolgungsbehörden. Drittens: Kooperation mit unterschiedlichsten Partnern in allen Bereichen der Sportwettindustrie wie staatliche Lotterien aber auch private Sportwettunternehmen, Sportwettregulatoren und unterschiedlichste Verbände und Firmen aus dem Bereich der Sportwetten.

Trotzdem gibt es in der Abteilung für die Verhinderung von Spielmanipulation auch eine Einheit «Intelligence and Investigation». Bei einem Sportanlass, der nur alle zwei Jahre stattfindet, sind diese Ermittler ja zumeist arbeitslos?

Unser Ansatz hier ist ein anderer und nicht speziell auf Olympia fokussiert: Wir sprechen über die Ausbildung, Schulung und Weitergabe von Wissen im Zusammenhang mit «Intelligence and Investigation». Wir bieten mit unseren Partnern Interpol und UNODC Seminare, Leitfäden und Handbücher zu verschiedensten Themen an, wie Informationsaustausch, Ermittlungs- und Recherchearbeit und Aufbau einer Prozessakte.

Massnahmen gegen Wettbetrug erzielen nur Wirkung, wenn man in diesem Kampf zusammenarbeitet. Auf welches Netzwerk können Sie im Ernstfall zurückgreifen?

Wir sind stolz auf unser Netzwerk, dass wir uns in jahrelanger Arbeit geschaffen haben. Dieses Netzwerk funktioniert mithilfe des Ansatzes des «Single Point of Contact» – also unter der Prämisse dass jede Partnerorganisation jeweils einen speziellen Kontakt zum Thema Wettbewerbsmanipulation benennt.