Kommentar
Das Staunen geht immer weiter – wie es Roger Federer als 38-Jähriger schafft, dass nur seine Bewunderer altern

Roger Federer wehrt bei den Australian Open sieben Matchbälle ab und steht in den Halbfinals. Statt nun vom Turniersieg zu träumen, sollte man dankbar sein für die Emotionen, die Federer uns damit schenkt. Auch wenn er uns damit altern lässt. Der Kommentar.

Simon Häring
Simon Häring
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Was für eine Erlösung: Roger Federer jubelt nach 3,5 Stunden über seinen Viertelfinal-Sieg.
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Er bezwingt den US-Amerikaner Tennys Sandgren in fünf Sätzen.
Der angeschlagene Federer steht nun in der Runde der letzten Vier.
Für den Maestro war das Match mehrmals schon fast gelaufen.
Sandgren konnte aber keinen seiner sieben Matchbälle nutzen.
Wegen Meckerns wird Federer im dritten Satz verwarnt.
Ebenfalls im dritten Satz muss sich Federer behandeln lassen.
Federer im Interview mit Ex-Tennisprofi Jim Courier nach dem Spiel.
Sandgren in Aktion.
Was für eine Leistung von Federer (hier in einem früheren Match in Melbourne).

Was für eine Erlösung: Roger Federer jubelt nach 3,5 Stunden über seinen Viertelfinal-Sieg.

Keystone

Auch mit 38 Jahren versetzt Roger Federer die Tenniswelt immer wieder ins Staunen. Und ein Ende ist nicht absehbar. In Australien sind gerade wieder einmal solche Tage. Schon vor dem Halbfinal gegen Novak Djokovic ist klar: Es sind wieder neue, unvergessliche Kapitel in dazugekommen in seiner beispiellosen Karriere.

Es gab Zeiten, da waren es vor allem Titel und Rekorde, mit denen Federer verblüffte. Diese Zeiten sind vorbei. Nun sind es einzelne Momente, ganz gewöhnliche Spiele, in denen seine Magie plötzlich aufblitzt. Doch die Emotionen, die Federer mit solchen dramatischen Siegen wie an diesen Australian Open gegen John Millman oder Tennys Sandgren ­entfacht, werden nicht kleiner. Seine Leistung kann gar nicht hoch genug eingestuft werden. Auch wenn diese Resultate keinen Eingang in die Geschichtsbücher des Tennis finden werden.

Überhaupt: die Rekorde. Federer hat längst aufgehört, sie zu jagen oder sich an sie zu klammern. Er weiss, dass seine derzeitige Spitzenmarke von 20 Grand-Slam-Siegen irgendwann übertroffen wird. Von seinen Rivalen Rafael Nadal oder Novak Djokovic. Oder von beiden. Er geht entspannt damit um. Denn ob grosse Titel oder «gewöhnliche» Siege, Federer geniesst seine verbleibenden Momente in der Tennis-Familie. Mit derart viel Eifer und Leidenschaft, dass es schwer fällt, zu glauben, dass da tatsächlich ein 38-Jähriger auf dem Tennisplatz steht. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass nur jene altern, die ihm beim Tennis­spielen zuschauen.

Alle 20 Grand-Slam-Titel von Roger Federer

Wimbledon 2003: Federer s. Philippoussis 7:6 (7:5), 6:2, 7:6 (7:3) Auf dem Weg in den Final gibt Roger Federer nur einen Satz ab. Im Halbfinal setzt er sich klar gegen Favorit Andy Roddick durch. Schwierige Momente erlebt der Schweizer vor den Achtelfinals gegen Feliciano Lopez, als er sich wegen eines Hexenschusses behandeln lassen muss. «Für mich ist es ein Wunder, dass ich mit diesen Schmerzen gewinnen konnte.» Gegen den ungesetzten Philippoussis gewinnt Federer klar. Er sinkt in die Knie, es fliessen Tränen. «Magisch, kaum zu fassen», sagt Federer.
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Australian Open 2004: Federer s. Safin 7:6 (7:3), 6:4, 6:2 Mit dem Halbfinal-Sieg gegen Ferrero löst Federer diesen als Weltranglistenersten ab. Mit Hewitt und Safin besiegt er auf dem Weg zum ersten Melbourne-Triumph zwei ehemalige Spitzenreiter. «Das ist der Riesensprung in meiner Karriere. Selbst im Finale blieb ich ruhig. Seit einem Jahr habe ich das Gefühl, dass ich grosse Turniere gewinnen kann», sagt Federer. «Höher geht es nicht. Jetzt ist es wichtig, da zu bleiben.»
Wimbledon 2004: Federer s. Roddick 4:6, 7:5, 7:6 (7:3), 6:4 «Als ich auf den Platz lief, hatte ich schon kalte Hände. Ich spürte, wie gut Roddick spielen würde», sagt Federer nach dem Finals. Mehrmals wird die Partie wegen Regens unterbrochen, letztmals, als Federer im dritten Satz mit 2:4 hinten liegt. In der Kabine berät er sich mit seinem Physiotherapeuten, Pavel Kovac, und Freund Reto Staubli und beschliesst, mehr Serve-and-Volley zu spielen. Die Rechnung geht voll auf. Nach dem Matchball fällt Federer wieder auf die Knie. «Ich weinte auch diesmal». Als Titelhalter und Nummer 1 der Welt habe er mehr Druck verspürt als noch im Vorjahr.
US Open 2004: Federer s. Hewitt 6:0, 7:6 ( 7:3), 6:0 Auch den vierten Grand-Slam-Final gewinnt Roger Federer. Etwas, was ihn vor dem Final beunruhigt hat: «Ich hatte ein mulmiges Gefühl, weil noch nie jemand die ersten vier Grand-Slam-Finals alle gewonnen hat. Das hat mich nervös gemacht, denn mir war klar: Diesen Rekord kannst du nur heute knacken. Es gibt keine zweite Chance.» Roger Federer nutzt die Chance und besiegt Lleyton Hewitt, der davor keinen einzigen Satz abgegeben hatte, gleich in drei Sätzen.
Wimbledon 2005: Federer vs. Roddick 6:2, 7:6 (7:2), 6:4 «Ich brauche jetzt erst einmal ein Bier», übt sich Andy Roddick nach der zweiten Final-Niederlage in Galgenhumor. «Roger ist der Beste der Welt und wird immer noch besser.» Auf dem Weg zum Titel gibt Roger Federer nur einen Satz ab und wird der dritte Spieler nach Björn Borg und Pete Sampras, der in Wimbledon drei Mal in Folge gewinnt. «Das ist wahrscheinlich der beste Match, den ich je gezeigt habe», sagt Federer. Am Tag darauf feiern ihn 3000 Basler auf dem Marktplatz.
US Open 2005: Andre Agassi 6:3, 2:6, 7:6 (7:1), 6:1 Es ist nicht gerade leicht für Roger Federer im Final gegen die amerikanische Legende Andre Agassi. Das Publikum ist klar auf Agassis Seite. «Das war schon recht extrem und härter als erwartet», so Federer dazu. Doch der Schweizer zieht sein Spiel durch und siegt. «Es ist sehr speziell diesen Final zu gewinnen, gerade unter diesen Bedingungen», so Federer direkt nach dem Triumph. «Agassi ist die wohl einzige noch aktive Legende. Vielleicht war dies der wichtigste Match in meinem Leben. »
2006 Australian Open: Federer s. Baghdatis 5:7, 7:6, 6:0, 6:2 Federer gewinnt nach Wimbledon und den US Open das dritte Grand-Slam-Turnier in Folge. Einfach war das aber nicht, so meinte er später:« Ich habe mehrmals gedacht, dass ich dieses Spiel verlieren würde. Ich musst in den ersten eineinhalb Sätzen derart um einen eigenen Service kämpfen, dass ich wie verrückt ins Schwitzen kam. Ich dachte in dieser Phase, dass mich nur noch ein Wunder retten könnte, falls das Spiel so weitergeht.» Schon zuvor hatte Federer Mühe gehabt ins Final vorzustossen. Gegen Tommy Haas musste er in der vierten Runde über die volle Distanz. Doch am Ende holt sich Federer seinen siebten Major-Titel.
Wimbledon 2006: Federer s. Nadal 6:0, 7:6 (7:5), 6:7 (2:7), 6:3 Federer steht im Zenit seines Schaffens. Er gewinnt zum dritten Mal in Folge mehr als zehn Turniere in einem Jahr und weist Ende Jahr eine 92:5-Siegbilanz auf. Auf dem Weg zum vierten Wimbledon-Titel gibt er nur im Final gegen seinen Erzrivalen Rafael Nadal einen Satz ab, gegen den er in diesem Jahr zuvor alle Duelle verloren hatte, unter anderem einen Monat zuvor im Final der French Open, dem ersten zwischen den beiden auf Grand-Slam-Stufe. «Es war schrecklich eng», sagt Federer nach dem vierten Triumph in Folge. Federer: «Das war das beste Grand-Slam-Turnier meiner Karriere.»
US Open 2006: Federer s. Roddick 6:2, 4:6, 7:5, 6:1 Nach dem letzten Ballwechsel legt sich Roger Federer auf den Boden. «Das war ein grosser Moment in meiner Karriere und ich habe mir gesagt: Jetzt verdienst du es, dich hinzulegen. Das war ein gutes Gefühl, alleine auf dem Boden zu liegen.» Schon von Beginn weg dominiert Federer das Duell klar, schon nach 17 Minuten führt er mit 5:0. Doch Roddick kommt ins Spiel und holt sich den zweiten Satz. Zum spielentscheidenden Moment wird der Satzball im dritten Satz bei Aufschlag von Roddick, Federer holt sich den Satz und später den Turniersieg. Im Publikum sitzt Golfstar Tiger Woods erstmals in Federers Box.
Australian Open 2007: Federer s. Gonzalez 7:6 (7:2), 6:4, 6:4 Als erster Spieler seit Björn Borg 1980 in Paris gewinnt Federer ein Grand-Slam-Turnier ohne Satzverlust. «Solche Rekorde zu egalisieren, ist immer etwas Schönes.» Dabei wird es im Final selber durchaus eng. Finalgegner Fernando Gonzalez kommt im ersten Satz zu Satzbällen, nutzt sie aber nicht. «Ich glaube, ich habe diese Situation gut gelöst», so Federer danach. Danach siegt er souverän. Es ist das bisher einzige Mal, dass Federer in Australien die Titelverteidigung gelingt, insgesamt ist es Federers zehnter Grand-Slam-Titel.
Wimbledon 2007: Federer s. Nadal 7:6 (9:7), 4:6, 7:6 (7:3), 2:6, 6:2 Erneut geht Roger Federer mit der Hypothek eines kurz zuvor verlorenen French-Open-Finals ins Duell mit Erzrivale Nadal. Und erstmals muss er auch in Wimbledon ernsthaft um seine Vormachtsstellung bangen. Doch nach einem Fünfsatz-Sieg wird er zum zweiten Spieler neben dem Schweden Björn Borg, der in Wimbledon fünf Mal in Folge gewinnt. Ehrfürchtig sagt er nach dem Sieg: «Rafa wird immer besser. Ich nehme jeden Titel, den ich bekomme.» Im Publikum sitzen neben Borg John McEnroe, Jimmy Connors und Boris Becker. «Daran werde ich mich immer erinnern», sagt Federer.
US Open 2007: Federer s. Djokovic 7:6 (7:4), 7:6 (7:2), 6:4 Der damals erst 20-jährige Novak Djokovic zeigte sich in seinem ersten Grand-Slam-Final als guter Gegner von Roger Federer. Im ersten Satz kommt Djokovic zu drei Satzbällen, kann sie aber nicht nutzen. «Bei den wichtigen Punkten, hat Djokovic Fehler gemacht, das hat ihm das Spiel gekostet», analysierte Federer. Für Federer ist es der 12 Grand-Slam-Titel, damit zieht er mit Roy Emerson gleich.
US Open 2008: Federer s. Murray 6:2, 7:5, 6:2 2008 war nicht das beste Jahr für Roger Federer, und doch holt er auch dann einen Grand-Slam-Titel. Just in jenem Moment, in dem ihn bereits die ersten abschrieben. Rafael Nadal ist 2008 das Mass aller Dinge verliert aber überraschend im US-Open-Halbfinal gegen Andy Murray. Federer schlägt jenen Murray im Final diskussionslos und holt sich den Titel. Von einer Krise zuvor will er nichts wissen. «Ich hatte nie das Gefühl, hier gewinnen zu müssen, um etwas zu beweisen. Ich stand in diesem Jahr oft vor grossen Siegen, darum war ich nie wirklich besorgt. Ich bin glücklich darüber gezeigt zu habe, dass die Dinge für mich nicht so schlecht stehen, wie einige dachten. »
French Open 2009: Federer s. Söderling 6:1, 7:6 (7:1), 6:4 Es ist ein Meilenstein für Roger Federer. Endlich holt er sich einen Grand-Slam-Titel auf Sand. «Ich schätze diesen Titel sehr hoch ein. Es war ein langer, harter Weg. Die Leute redeten ja von einem Komplex. Viel Druck kam von den Medien, oft hiess es, ich könne Paris nicht gewinnen.» Vor ihm hatten nur fünf Spieler (Fred Perry, Don Budge, Rod Laver, Roy Emerson und Andre Agassi) alle vier grossen Tennis-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York gewonnen. Federer war seit seinem Sieg bei den French Open im Juni 2009 der Sechste. Ein Jahr später zog Rafael Nadal nach.
Wimbledon 2009: Federer s. Roddick 5:7, 7:6 (8:6), 7:6 (7:5), 3:6, 16:14 Roger Federer erlebt den Sommer seines Lebens. Im April heiratet er seine Freundin Mirka Vavrinec, im Juni gewinnt er die French Open und komplettiert damit seinen Karriere-Grand-Slam. Im Juli überholt er in Wimbledon mit seinem 15. Major-Titel den bisherigen Rekordhalter Pete Sampras. Zwei Wochen später wird Federer Vater der Zwillingsmädchen Charlene und Myla. Er gewinnt auch den dritten Wimbledon-Final gegen Andy Roddick. Mit 4:17 Stunden ist es der längste zwischen den beiden. Nur einmal nimmt Feder Roddick den Aufschlag ab – zum 16:14 im fünften Satz.
Australian Open 2010: Federer s. Murray 6:3, 6:4, 7:6 (13:11) Federer erreicht seinen achten Grand-Slam-Final in Serie. In Australien lässt er dem sechs Jahre jüngeren Andy Murray nicht den Hauch einer Chance und siegt klar. Bei der Siegerehrung bricht Murray in Tränen aus, sagt später: «Ich kann weinen wie Roger, aber ich kann leider nicht so gut spielen wie er.» Auf dem Weg zum vierten Melbourne-Titel gibt Roger Federer, der im Sommer zuvor erstmals Vater geworden ist, nur zwei Sätze ab.
Wimbledon 2012: Federer s. Murray 4:6, 7:5, 6:3, 6:4 Auf dem Weg zum siebten Sieg in Wimbledon erlebt Roger Federer zahlreiche bange Momente. In der dritten Runde macht er einen 0:2-Satzrückstand gegen Julien Benneteau wett. In den Viertelfinals macht ihm ein blockierter Rücken zu schaffen. Im Halbfinal schaltet er Titelverteidiger Novak Djokovic aus. Im Final, der wegen Regens unterbrochen und unter geschlossenem Dach beendet wird, setzt sich Federer gegen Andy Murray durch und wird wieder die Nummer eins der Welt.
Australian Open 2017: Federer s. Nadal 6:4, 3:6, 6:1, 3:6, 6:3 Es ist eine der grössten Comeback-Geschichten im Sport. Nach halbjähriger Absenz kehrt Federer als Nummer 17 der Welt zurück - und überrascht alle. Er bezwingt Nishikori, Wawrinka und Erzrivale Nadal in fünf Sätzen und beendet eine fünfjährige Durststrecke. «Es ist fantastisch», so Federer.
Wimbledon 2017: Federer s. Cilic 6:3, 6:1, 6:4 Nach seinem Triumph bei den Australian Open und Turniersiegen in Indian Wells und Miami lässt Federer die Sandsaison komplett aus. Als er zurückkehrt,gewinnt er erst in Halle und triumphiert danach zum achten Mal in Wimbledon, aber das erste Mal, ohne ein Satz abzugeben. Bei den Männern ist er nun alleiniger Rekordsieger im Einzel. «Als ich 2001 Pete Sampras geschlagen habe, hatte ich gehofft, dass ich vielleicht irgendeinmal die Chance haben würde, im Final zu stehen, oder sogar das Turnier zu gewinnen. Aber acht Mal? Das schien unmöglich», sagt Federer.
Australian Open 2018: Federer s. Cilic 6:2, 6:7 (5:7), 6:3, 3:6, 6:1 Mit dem Turniersieg im Final gegen Marin Cilic setzt Federer eine weitere imposante Marke: Er holt sich als erster Spieler überhaupt den 20. Grand-Slam-Titel. Im Final bezwingt er den Kroaten Cilic erst in fünf Sätzen. Federer sagt in seiner Siegerrede: «Das Märchen geht weiter. Nach dem fantastischen 2017. Es ist unglaublich!»

Wimbledon 2003: Federer s. Philippoussis 7:6 (7:5), 6:2, 7:6 (7:3) Auf dem Weg in den Final gibt Roger Federer nur einen Satz ab. Im Halbfinal setzt er sich klar gegen Favorit Andy Roddick durch. Schwierige Momente erlebt der Schweizer vor den Achtelfinals gegen Feliciano Lopez, als er sich wegen eines Hexenschusses behandeln lassen muss. «Für mich ist es ein Wunder, dass ich mit diesen Schmerzen gewinnen konnte.» Gegen den ungesetzten Philippoussis gewinnt Federer klar. Er sinkt in die Knie, es fliessen Tränen. «Magisch, kaum zu fassen», sagt Federer.

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