2009 wechselte Andris Vanins von Lettland zum FC Sion, im letzten Sommer unterschrieb er beim FC Zürich. Wenig ist bekannt über den schweigsamen Letten, dabei hätte er so einiges zu erzählen. Am Samstag trifft er in der WM-Qualifikation auf die Schweiz. Es wird sein 80. Länderspiel werden.
Den Finnen wird nachgesagt, eher schweigsame Menschen zu sein. Im Vergleich zu den Letten aber sind sie fast schon Plappermäuler. War den beim FCZ engagierten Hannu Tihinen und Sami Hyypiä noch der eine oder andere Satz zu entlocken gewesen, so beisst man bei den Balten auf Granit. Zwölf Jahre nach dem mürrischen GC-Verteidiger Igors Stepanovs hüllt sich nun Andris Vanins beim FC Zürich in Schweigen. Der Torhüter gebe während der Saison keine Interviews, beschied der Medienchef. Der Versuch, den bald 37-Jährigen nach einem Meisterschaftsspiel in der Mixed-Zone zu kapern, scheiterte kläglich. Mehr als ein dezidiertes Kopfschütteln war nicht zu bekommen.
Erinnerungen an ein Erlebnis mit einem Landsmann von Vanins wurden wach. Nachdem sich Lettland in der Barrage für die EM 2004 in Portugal sensationell gegen die Türkei durchgesetzt hatte, war ein Interview mit Rekordspieler Vitalijs Astafjevs Pflicht. Der Spieler werde pünktlich auf dem Parkplatz vor dem Stadion sein, versprach der Presseverantwortliche des FC Admira Wacker Mödling, bei dem der damals 33-Jährige unter Vertrag stand. Der Lette war tatsächlich da und bat in seinen klapprigen Kleinstwagen. Freilich, ohne Anstalten zu machen, nun gleich in sein Lieblingscafé zu fahren, um dort mit leuchtenden Augen über Lettlands Fussball zu sprechen. «Stellen Sie Ihre Fragen», sagte Astafjevs knapp. Nur mit äusserster Mühe liess er sich schliesslich dazu bewegen, das Interview in der Kebabbude nebenan zu geben. Wo ihm jedes Wort aus der Nase gezogen werden musste. Hiess der berühmte Spielfilm aus den Neunzigerjahren eigentlich «Das Schweigen der Lämmer»? Oder doch «Das Schweigen der Letten»? Astavjevs spielte dann eine ordentliche EM mit dem gefeierten 0:0 gegen Deutschland und trat erst sechs Jahre später nach seinem 167. Länderspiel ab. Laut offizieller Fifa-Statistik hält er damit den Europarekord.
Viel zu berichten hätte im Prinzip auch Vanins. Aufgewachsen im Dorf Ilükste nahe an der Grenze zu Litauen, war er nach dem Schulabschluss gleich Profi geworden und schon als 19-Jähriger im Februar 2000 zum ersten Mal für die Sarkanbaltsarkanie (Nationalmannschaft) aufgelaufen. Am Samstag hat er dies zum 80. Mal getan. Der Hobbyfischer und Familienvater geniesst auch unter Trainer Marians Pahars das uneingeschränkte Vertrauen.
Dabei hatte seine Laufbahn im Nationalteam nur sehr stockend Fahrt aufgenommen. Als er 2007 endlich den langjährigen Stammgoalie Aleksandrs Kolinko ablöste, hatte er lediglich fünf Länderspiele auf dem Buckel; bei der EM in Portugal war er nicht mal im Kader gewesen. Gegen die Schweiz hat Vanins bisher zweimal gespielt. Bei der 1:2-Niederlage in St. Gallen 2008 war er so gut, dass ihn Präsident Christian Constantin umgehend ins Wallis lotste und er beim Rückspiel (2:2) bereits als Vertreter des FC Sion im Einsatz war. Vanins schlug im Tourbillon ein, spielte da sieben Jahre und wurde zweimal Cupsieger. In seiner Heimat hatte er zuvor mit dem FK Ventspils dreimal die Meisterschaft gewonnen.
In Sion arbeitete Vanins unter den Torhütertrainern Stephan Lehmann und Marco Pascolo. «Andris ist ein Vollprofi vom Scheitel bis zur Sohle und ein ganz spezieller Typ, nicht nur seiner Rituale wegen», sagt Lehmann. «Er steht nicht gerne im Mittelpunkt und gehört zu jener Art von Menschen, die erst dann auftauen, wenn sie das Vertrauen der anderen Seite spüren.» Man dürfe aber nicht vergessen, dass er einen Teil seiner Jugend noch als Bürger der Sowjetunion erlebt habe und heute noch davon geprägt sei. «Ich würde nicht sagen, er sei unterwürfig. Ein Aufmuckser aber ist er bestimmt nicht», sagt Lehmann. Pascolo sagt: «Andris ist ein Perfektionist und für alle ein Vorbild.» In einem seiner raren Interviews hat Vanins einmal zugegeben, dass er nicht nur auf seine Trainer hört: «Meine Frau analysiert meine Leistungen mit am besten.» Und gesagt hat er auch: «Wer aus Lettland in die Schweiz kommt, lernt viele Dinge des Lebens unheimlich schätzen.» Den Sieg und drei Punkte aber hatte er schon in der Heimat über alles geliebt.