Menschen 2017
Daniela Ryf ist die härteste Schweizer Sportlerin: «Ausgefallene Zehennägel sind gar nicht so schmerzhaft»

Wer den härtesten Triathlon der Welt gewinnen will, muss zu allem bereit sein. Daniela Ryf gelang das dieses Jahr erneut. Wie viel Schmerz ist ein solcher Erfolg wert?

Etienne Wuillemin
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Porträt Daniela Ryf
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Ryf und «Nordwestschweiz»-Journalist Etienne Wuillemin im Gespräch.
Das Fotoshooting fand am 5. Dezember in Solothurn statt.

Porträt Daniela Ryf

SEVERIN BIGLER

Und dann erzählt Daniela Ryf die Geschichte der ausgefallenen Zehennägel. Unbeschwert, mit einem Lachen. «Das ist gar nicht so schmerzhaft. Hornhaut an den Füssen ist jedenfalls schlimmer. Und wissen Sie: Ich muss nicht einmal auf offene Schuhe verzichten, den Nagellack kann ich auch direkt auf die Haut streichen.»

Es ist ein kalter Dezembermorgen. Der Nebel ist hartnäckig, Melancholie liegt in der Luft. Noch bleibt Hoffnung auf Sonne. Wir treffen Daniela Ryf in Solothurn an der Aare. Gehen die Strecke entlang, auf der sie den Laufsport entdeckt hat.

Zum dritten Mal in Serie gewann Ryf am 15. Oktober den Ironman von Hawaii, den härtesten Triathlon der Welt. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und zum Schluss noch einen Marathon (42,2 Kilometer) Laufen – das Rennen ist eine Tortur. Wenn Ryf zurückschaut, denkt sie natürlich zuerst an den Zieleinlauf, ans Jubeln. Diese Momente des Glücks sind der Lohn für fast neun Stunden Qual. Neun Stunden, die im Vergleich zu den letzten Sekunden des Rennens unendlich viel prägender sind. «Es hat sehr viel Einsamkeit in so einem Rennen. Der Mensch kämpft gegen die Natur. Gegen Wind, Hitze, Feuchtigkeit. Das ist faszinierend.»

Impressionen von Ryfs Ironman-Triumph:

Daniela Ryf bei der Siegerehrung. Links die Australierin Sarah Crowley (3.) und rechts die Engländerin Lucy (2.).
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Daniela Ryf während des Wettkampfs.
Daniela Ryf hoft Ironman-Hattrick (15.10.2017)
Bei der Siegerehrung gehen die Emotionen hoch.
Impressionen vom Ironman.
Impressionen vom Ironman.
Impressionen vom Ironman.
Impressionen vom Ironman.

Daniela Ryf bei der Siegerehrung. Links die Australierin Sarah Crowley (3.) und rechts die Engländerin Lucy (2.).

Marco Garcia

Immer geradeaus

8 Stunden, 46 Minuten und 46 Sekunden, das ist die Rekordzeit von Daniela Ryf beim Ironman Hawaii, aufgestellt 2016. Eine Zeit aber auch, die Fragen provoziert. Wie ist es, den Körper so lange zu quälen? «Diesen Gedanken hatte ich früher auch. Neun Stunden – wie kann man nur! Aber ein Tennis-Spiel beispielsweise ist viel härter für die Gelenke. Beim Ironman geht es immer geradeaus.» Immer geradeaus. Die Einsamkeit im Rennen. Woran denkt man während eines Ironman-Tages? Und liegt am Ende die grösste Herausforderung darin, sich selbst zu besiegen, nicht die Gegnerinnen? «Manche Menschen gehen nach Japan ins Kloster, um dort zu meditieren. Für mich ist ein Ironman Meditation. Du bist so viel mit dir selbst beschäftigt, dass du viel über dich rausfindest. Viele haben gar nie die Zeit dazu. Das Optimum wäre es, manchmal einfach nichts zu denken. Aber das kann der Mensch fast nicht mehr. Weil man ja heute immer etwas machen muss.»

Serie Menschen 2017

Ob gewollt oder nicht standen sie plötzlich im Mittelpunkt – und sorgten für Schlagzeilen. Wir haben Persönlichkeiten, die 2017 geprägt haben, vor dem Jahreswechsel noch einmal zu einem Gespräch getroffen. Wie blicken sie mit etwas Abstand zurück auf die letzten Monate? Was hätten sie vielleicht auch anders gemacht? Am Mittwoch erschien der Beitrag über Funda Yilmaz, deren Einbürgerungsfall international Schlagzeilen machte. Heute schauen wir mit Triathletin Daniela Ryf auf ihr verrücktes Jahr zurück.

Es folgen:

- Freitag: Jean-Paul Clozel, Firmengründer und Milliardär – er hat dieses Jahr sein Lebenswerk Actelion verkauft.

- Samstag: Anna Giacometti, Gemeindepräsidentin von Bondo GR – der Bergsturz vor vier Monaten hat ihr Leben verändert.

Der Ironman als Weg zu sich selbst? Allmählich entlarvt sich unsere vorbereitete These als ziemlich verwegen. Eigentlich dachten wir, wer immer schneller und weiter und intensiver schwimmen, pedalieren und rennen will, der oder die findet kaum Rast und Ruhe im Leben – und ist darum gerade ein perfektes Abbild der heutigen Gesellschaft. In Wahrheit ist es das Gegenteil. «Ja, eigentlich schon», sagt Ryf lächelnd, «wer nach einem Burnout einen neuen Weg zu sich finden muss, der ist in unserem Sport bestens aufgehoben.»

Und doch bleibt das Mysterium, wie ein Mensch mit dem ständigen Schmerz umgehen kann. Mit der Gewissheit, dass irgendwo am Körper immer irgendetwas wehtut. Ist es eine Sucht? Ryf verneint. Und erklärt, wie sie mit ihrem eigenen Körper kommuniziert. «Ich spüre zum Beispiel verschiedene Arten von Müdigkeit. Nur weil ich müde bin am Morgen, heisst das nicht, dass ein Training undenkbar ist. Aber wenn ich meinen Puls nicht mehr richtig hochbringe, muss ich dosieren.» Müdigkeit ist manchmal sogar explizit nötig. «Weil ich immer müde sein werde im Moment, wo nach dem Schwimmen und dem Velofahren der Marathon beginnt.» Unweigerlich denkt der Zuhörer wieder an die Zehennägel.

Die 30-Jährige hat auch im Alltag Tricks, um ihren Körper zu pflegen. Wenn der Oberschenkel zwickt, hilft eine Kurzbehandlung mit dem Wallholz. Massage? Nur einmal pro Woche, «sonst werde ich faul und vergesse, mir selbst Sorge zu tragen, weil ich denken würde: ‹Das passiert ja sowieso automatisch.›»

Lange Wanderungen als 3-Jährige

Dass aus Daniela Ryf eine Profisportlerin wird, war so nicht geplant. «Meine Geschichte ist leider nicht gerade inspirierend», sagt sie lachend, «ich wollte nie Profi werden. Es ist einfach passiert.» Aber ist es Zufall? Wohl nicht. Als Dreijährige ist sie schon auf fünfstündigen Wandertouren mit den Eltern dabei. Auch Skifahren lernt sie damals, ohne Angst vor Stürzen, sie will möglichst ohne Kurven fahren, Hauptsache schnell. Mit neun tritt sie dem Schwimmklub bei, mit zehn dem Leichtathletik-Klub. «Und irgendwann mit 14 bin ich beim Triathlon gelandet.»

Karriere-Stationen von Triathletin Daniela Ryf:

Einige Stationen der Karriere von Triathletin Daniela Ryf Daniela Ryf wird 1987 in Feldbrunnen geboren. Seit 1998 ist Triathlon ihre Leidenschaft.
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Daniela Ryf siegt 2005 am VW Circuit Junioren. Allerdings wird sie disqualifiziert, weil sie eine Sicherheitslinie überfahren hatte.
Es reiht sich Sieg an Sieg...
Seit 2007 kann die Feldbrunnerin vom Triathlon leben.
Für die beste Vorbereitung auf ihre Rennen ist sie fast das ganze Jahr unterwegs.
Samuel Schmid gratuliert Daniela Ryf zum 8. Platz an der Juniorinnen-WM 2006 in Lausanne.
Im Mai 2008 holt sie die Bronze-Medaille an der Triathlon-WM in Madrid
Als 21-Jährige gewinnt sie in Vancouver im Juni 2008 den WM-Titel in der U23-Kategorie und holt das erste Schweizer Gold seit 2001, als sich Nicola Spirig in Edmonton (CAN) zur Junioren-Weltmeisterin küren liess.
Mit dem Sieg qualifiziert sie sich für die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking
Daniela Ryf am 18.August 2008 an den Olympischen Sommerspielen. Sie wird siebte.
Daniela Ryf gewinnt 2009 zusammen mit Ruedi Wild, Magali di Marco und Lukas Salvisberg die Weltmeisterschaft im Mixed Relay (Teamwertung) in West Des Moines (USA).
Nicola Spirig und Daniela Ryf liefern sich im August 2009 in Nyon ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Spirig gewinnt hauchdünn.
Im WM-Rennen in Seoul im Mai 2010 hat dann Daniela Ryf die Nase vorn. Sie gewinnt mit 2:00:59 Stunden ihr erstes Rennen dieser Stufe.
21.August 2010: Daniela Ryf gewinnt Bronze an den Sprint-Weltmeisterschaften in Lausanne.
Im Juni 2011 nimmt sie am WM-Serie-Rennen in Madrid teil. Es ist für längere Zeit das letzte Rennen, welches sie beenden kann.
Eine schwere Virusinfektion im Magen-Darm-Trakt und die folgende Behandlung mit Antibiotika werfen die zweifache Junioren-Europameisterin, U23-Weltmeisterin, Team-Weltmeisterin, WM-Serie-Vierte und Olympia-Siebte arg aus der Spur.
Beim Auftaktrennen der Weltcupsaison 2012 im Mooloolaba (AUS) kehrt Ryf zurück. Sie holt sich den sechsten Rang. Sie spricht von einem «über weite Strecken starken Rennen mit einer genialen letzten Laufrunde».
Daniela Ryf an den Olympischen Sommerspielen 2012 in London. Sie wird nur 40. Nicola Spirig geht als Siegerin des Triathlons hervor.
Fünf Jahre hintereinander hat Daniela Ryf den Winter in Australien verbracht, die Wintersaison 2012/2013 trainiert sie wieder mit Schnee und Kälte zuhause in Solothurn.
Ryf gewinnt im August 2013 in Wiesbaden die EM über die halbe Ironman-Distanz. Ihr grösster Triumph bisher.
«Gesundheitlich geht es mir wieder gut, seit ich in die Schweiz zurückgekehrt bin», sagt Ryf.
Ryf beginnt mit dem australischen Erfolgscoach Brett Sutton zusammenzuarbeiten.
Daniela Ryf im Juni 2014 am Zürich Triathlon
Ryf gehört zusammen mit Ruedi Wild zu den Sieger dieses "5150"-Triathlons Ryf verteidigt damit erfolgreich ihren Titel über die olympische Distanz in knapp zwei Stunden gegen namhafte Konkurrenz.
Dieser Sieg war nicht der einzige an diesem Wochenende. Einen Tag später gibt sie am Ironman Switzerland in Zürich ihren Einstand auf der Ironman-Distanz (Langdistanz-Triathlon über 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen) – sie siegt souverän, trotz Problemen auf der Strecke. «Dieses Wochenende damals war eines der unglaublichsten, die ich je erleben durfte», wird sie später sagen.
2014 verteidigt sie auch ihren 70,3-Europameistertitel über die Halbironman-Distanz in Wiesbaden (D) (Archiv)
11. Oktober 2014: Daniela Ryf gibt ihr Debüt am Ironman Hawaii. Sie läuft in 9:02:57 als Zweite im Ziel ein. Die Solothurnerin muss sich nur um zwei Minuten von der Vorjahressiegerin Mirinda Carfrae (Au) geschlagen geben.
Eine weitere Medaille für die Sammlerin: Hier strahlt die Gewinnerin des Ironman 70.3 vom 7.Juni 2015 in Rapperswil
Als erste über die Ziellinie: Im Juli 2015 am Ironman in Frankfurt erneut Tatsache.
Extreme Leistung: Daniela Ryf am 10. Oktober 2015 beim Ironman auf Hawaii.
Im Vorjahr noch zweite, gewinnt Ryf 2015 die Ironman-WM auf Hawaii – als erste Schweizerin seit 2005.
Ryf schreibt Triathlon-Geschichte Weil die Solothurner Triathletin 2015 die halbe Ironman-Distanz in Dubai (Challenge), die 70.3-WM in Zell am See (Ö) sowie auch den Ironman von Bahrain gewinnt, knackt sie den Millionen-Dollar-Jackpot für die Triple Crown.
2015 darf sich die Solothurnerin «Sportlerin des Jahres» nennen
In Dubai erkämpft sie sich im Januar 2016 bereits den zehnten Sieg in Folge über die halbe Ironman-Distanz.
Ironman Zürich 2016: Daniela Ryf auf dem Weg zur Wechselzone.
Auch dieses Rennen beendet die Solothurnerin als Siegerin
Daniela Ryf unterwegs an der Ironman-WM auf Hawaii 2016. Sie ist erneut eine Klasse für sich und verteidigt den Titel aus dem Vorjahr erfolgreich.
Die beiden Triathletinnen Daniela Ryf (l.) und Natascha Badmann 2017 Anfang 2017 hat Ryf mit Rückenproblemen zu kämpfen. Während drei Monaten muss sie deshalb etwas zurückstecken.
Im Juni 2017 ist alles ok: Die Langdistanz-Triathletin gewinnt zum zweiten Mal in ihrer Karriere nach 2016 den Ironman im deutschen Roth.
Daniela Ryf gewinnt im Juni 2017 erneut den Ironman 70.3 von Rapperswil.
Daniela Ryf beim Zieleinlauf an der 70.3-Ironman-WM 2017 in den USA
Oktober 2017: Erleichterung bei Daniela Ryf an der Ironman-WM auf Hawaii.
Bei der Siegerehrung gehen die Emotionen hoch.

Einige Stationen der Karriere von Triathletin Daniela Ryf Daniela Ryf wird 1987 in Feldbrunnen geboren. Seit 1998 ist Triathlon ihre Leidenschaft.

Hanspeter Bärtschi

Immer wieder durchschreitet Daniela Ryf zum richtigen Zeitpunkt die richtige Tür. Als Profi merkt sie alsbald, dass ihr die olympische Distanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Rad, 10 km Laufen) weniger liegt als die Langdistanz. Damit, dass sie wohl nie Olympiasiegerin wird, hat sich Ryf abgefunden. Der Stellenwert des Ironmans Hawaii ist für sie genau gleich gross.

2015 gewinnt Ryf nach dem ersten Titel in Hawaii auch die «Triple Crown», drei grosse Rennen im selben Jahr – und damit das Preisgeld von einer Million Dollar. Diese Million erregt viel Aufsehen. «Es fragten mich alle, was ich nun mit dieser Million mache – der Sieg in Hawaii rückte fast in den Hintergrund. Das hat mich ein bisschen nachdenklich gemacht.» Plötzlich melden sich Vermögensberater. Einige Leute behandeln Ryf auffällig besser. «Dabei hat sich mein Leben nicht verändert. Ich bin und bleibe dieselbe Daniela.»

Die letzten Fotos an der Aare sind gemacht. Die Sonne versteckt sich noch immer. Hawaii ist weit weg. Aber die gute Laune bleibt. «Ich freue mich auf einen ganz normalen Abend, mit Freundinnen und Glühwein», sagt Daniela Ryf, bevor sie sich verabschiedet. Das neue Jahr kann kommen.