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Wer den härtesten Triathlon der Welt gewinnen will, muss zu allem bereit sein. Daniela Ryf gelang das dieses Jahr erneut. Wie viel Schmerz ist ein solcher Erfolg wert?
Und dann erzählt Daniela Ryf die Geschichte der ausgefallenen Zehennägel. Unbeschwert, mit einem Lachen. «Das ist gar nicht so schmerzhaft. Hornhaut an den Füssen ist jedenfalls schlimmer. Und wissen Sie: Ich muss nicht einmal auf offene Schuhe verzichten, den Nagellack kann ich auch direkt auf die Haut streichen.»
Es ist ein kalter Dezembermorgen. Der Nebel ist hartnäckig, Melancholie liegt in der Luft. Noch bleibt Hoffnung auf Sonne. Wir treffen Daniela Ryf in Solothurn an der Aare. Gehen die Strecke entlang, auf der sie den Laufsport entdeckt hat.
Zum dritten Mal in Serie gewann Ryf am 15. Oktober den Ironman von Hawaii, den härtesten Triathlon der Welt. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und zum Schluss noch einen Marathon (42,2 Kilometer) Laufen – das Rennen ist eine Tortur. Wenn Ryf zurückschaut, denkt sie natürlich zuerst an den Zieleinlauf, ans Jubeln. Diese Momente des Glücks sind der Lohn für fast neun Stunden Qual. Neun Stunden, die im Vergleich zu den letzten Sekunden des Rennens unendlich viel prägender sind. «Es hat sehr viel Einsamkeit in so einem Rennen. Der Mensch kämpft gegen die Natur. Gegen Wind, Hitze, Feuchtigkeit. Das ist faszinierend.»
8 Stunden, 46 Minuten und 46 Sekunden, das ist die Rekordzeit von Daniela Ryf beim Ironman Hawaii, aufgestellt 2016. Eine Zeit aber auch, die Fragen provoziert. Wie ist es, den Körper so lange zu quälen? «Diesen Gedanken hatte ich früher auch. Neun Stunden – wie kann man nur! Aber ein Tennis-Spiel beispielsweise ist viel härter für die Gelenke. Beim Ironman geht es immer geradeaus.» Immer geradeaus. Die Einsamkeit im Rennen. Woran denkt man während eines Ironman-Tages? Und liegt am Ende die grösste Herausforderung darin, sich selbst zu besiegen, nicht die Gegnerinnen? «Manche Menschen gehen nach Japan ins Kloster, um dort zu meditieren. Für mich ist ein Ironman Meditation. Du bist so viel mit dir selbst beschäftigt, dass du viel über dich rausfindest. Viele haben gar nie die Zeit dazu. Das Optimum wäre es, manchmal einfach nichts zu denken. Aber das kann der Mensch fast nicht mehr. Weil man ja heute immer etwas machen muss.»
Ob gewollt oder nicht standen sie plötzlich im Mittelpunkt – und sorgten für Schlagzeilen. Wir haben Persönlichkeiten, die 2017 geprägt haben, vor dem Jahreswechsel noch einmal zu einem Gespräch getroffen. Wie blicken sie mit etwas Abstand zurück auf die letzten Monate? Was hätten sie vielleicht auch anders gemacht? Am Mittwoch erschien der Beitrag über Funda Yilmaz, deren Einbürgerungsfall international Schlagzeilen machte. Heute schauen wir mit Triathletin Daniela Ryf auf ihr verrücktes Jahr zurück.
Es folgen:
- Freitag: Jean-Paul Clozel, Firmengründer und Milliardär – er hat dieses Jahr sein Lebenswerk Actelion verkauft.
- Samstag: Anna Giacometti, Gemeindepräsidentin von Bondo GR – der Bergsturz vor vier Monaten hat ihr Leben verändert.
Der Ironman als Weg zu sich selbst? Allmählich entlarvt sich unsere vorbereitete These als ziemlich verwegen. Eigentlich dachten wir, wer immer schneller und weiter und intensiver schwimmen, pedalieren und rennen will, der oder die findet kaum Rast und Ruhe im Leben – und ist darum gerade ein perfektes Abbild der heutigen Gesellschaft. In Wahrheit ist es das Gegenteil. «Ja, eigentlich schon», sagt Ryf lächelnd, «wer nach einem Burnout einen neuen Weg zu sich finden muss, der ist in unserem Sport bestens aufgehoben.»
Und doch bleibt das Mysterium, wie ein Mensch mit dem ständigen Schmerz umgehen kann. Mit der Gewissheit, dass irgendwo am Körper immer irgendetwas wehtut. Ist es eine Sucht? Ryf verneint. Und erklärt, wie sie mit ihrem eigenen Körper kommuniziert. «Ich spüre zum Beispiel verschiedene Arten von Müdigkeit. Nur weil ich müde bin am Morgen, heisst das nicht, dass ein Training undenkbar ist. Aber wenn ich meinen Puls nicht mehr richtig hochbringe, muss ich dosieren.» Müdigkeit ist manchmal sogar explizit nötig. «Weil ich immer müde sein werde im Moment, wo nach dem Schwimmen und dem Velofahren der Marathon beginnt.» Unweigerlich denkt der Zuhörer wieder an die Zehennägel.
Die 30-Jährige hat auch im Alltag Tricks, um ihren Körper zu pflegen. Wenn der Oberschenkel zwickt, hilft eine Kurzbehandlung mit dem Wallholz. Massage? Nur einmal pro Woche, «sonst werde ich faul und vergesse, mir selbst Sorge zu tragen, weil ich denken würde: ‹Das passiert ja sowieso automatisch.›»
Dass aus Daniela Ryf eine Profisportlerin wird, war so nicht geplant. «Meine Geschichte ist leider nicht gerade inspirierend», sagt sie lachend, «ich wollte nie Profi werden. Es ist einfach passiert.» Aber ist es Zufall? Wohl nicht. Als Dreijährige ist sie schon auf fünfstündigen Wandertouren mit den Eltern dabei. Auch Skifahren lernt sie damals, ohne Angst vor Stürzen, sie will möglichst ohne Kurven fahren, Hauptsache schnell. Mit neun tritt sie dem Schwimmklub bei, mit zehn dem Leichtathletik-Klub. «Und irgendwann mit 14 bin ich beim Triathlon gelandet.»
Immer wieder durchschreitet Daniela Ryf zum richtigen Zeitpunkt die richtige Tür. Als Profi merkt sie alsbald, dass ihr die olympische Distanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Rad, 10 km Laufen) weniger liegt als die Langdistanz. Damit, dass sie wohl nie Olympiasiegerin wird, hat sich Ryf abgefunden. Der Stellenwert des Ironmans Hawaii ist für sie genau gleich gross.
2015 gewinnt Ryf nach dem ersten Titel in Hawaii auch die «Triple Crown», drei grosse Rennen im selben Jahr – und damit das Preisgeld von einer Million Dollar. Diese Million erregt viel Aufsehen. «Es fragten mich alle, was ich nun mit dieser Million mache – der Sieg in Hawaii rückte fast in den Hintergrund. Das hat mich ein bisschen nachdenklich gemacht.» Plötzlich melden sich Vermögensberater. Einige Leute behandeln Ryf auffällig besser. «Dabei hat sich mein Leben nicht verändert. Ich bin und bleibe dieselbe Daniela.»
Die letzten Fotos an der Aare sind gemacht. Die Sonne versteckt sich noch immer. Hawaii ist weit weg. Aber die gute Laune bleibt. «Ich freue mich auf einen ganz normalen Abend, mit Freundinnen und Glühwein», sagt Daniela Ryf, bevor sie sich verabschiedet. Das neue Jahr kann kommen.