Vor zwei Jahren wechselte Daniela Ryf auf die Langdistanz. Seither eilt sie im Triathlon von Sieg zu Sieg hat sich den Nimbus der Unbesiegbaren erarbeitet. «Ich bin selber gespannt, nach was ich Lust habe», schildert Ryf ihre Pläne für 2016.
Der Leistungsgedanke, das Streben nach immer Höherem, Schnellerem und Weiterem bringt es mit sich, dass im Sport vor allem die Sieger im Rampenlicht stehen. Zu ihnen schaut man hoch, umso mehr, wenn sie Grosses, Unvorstellbares vollbracht haben.
Daniela Ryf zum Beispiel. Seit ihrem Umstieg vor knapp zwei Jahren auf die Langdistanz eilt sie im Triathlon von Erfolg zu Erfolg und hat sich den Nimbus der Unbesiegbaren erarbeitet. Rund 14 Monate ist es her, dass sie letztmals ein Rennen nicht gewann.
Seit jenem 2. Rang beim Ironman Hawaii hat sich ihr Palmarès um kantonale und nationale Ehrungen, zwei Weltmeistertitel sowie den Gewinn der prestigeträchtigen Triple-Crown-Serie – und dem damit verbundenen Gewinn von einer Million Dollar Preisgeld – erweitert.
Wenn man in einigen Jahren auf die Leistungen der 28-jährigen Triathletin speziell in dieser Saison zurückblicken wird, kann man dies getrost mit den Worten «Es war einmal ...» tun. Nach der Märchenfigur, welche Daniela Ryf in diesem Jahr perfekt ausfüllte, muss man nicht lange suchen: Sie war die Königin. Nicht nur jene von Hawaii, wo sie in die Fussstapfen der sechsfachen Siegerin Natascha Badmann getreten ist. Nein, sie war die Königin einer ganzen Sportart. Sie hat den Triathlon auf der Lang- und Mitteldistanz nach Belieben dominiert und das Sportjahr 2015 ohne eine einzige Niederlage abgeschlossen.
Noch fast wichtiger als die grossen Siege auf der sportlichen Ebene waren der angehenden Lebensmitteltechnologin die emotionalen Erlebnisse. Wenn sie sich an das Jahr 2015 zurückerinnert, stehen die sportlichen Momente, welche sie mit ihrer Familie und Freunden erleben durfte, ganz zuoberst. Der Langdistanz-Weltmeistertitel auf Hawaii beispielsweise, welchen sie mit der Mutter und Freunden vor Ort feiern konnte. Oder die Tage rund um die Swiss Awards vom 13. Dezember. Endlich war sie, nach einem schier endlosen Auslandaufenthalt mit einem letzten Renneinsatz in Dubai, zurück in ihrer Heimat, im Land der vier Jahreszeiten. Endlich konnte sie wieder einmal einen Mantel tragen, der sie vor der Kälte schützte. Genau diese hatte sie in der Wärme, welcher sie praktisch das ganze Jahr über gefolgt war, so sehr vermisst.
Praktisch ein halbes Jahr hatte sie sich fernab der Heimat von Erfolg zu Erfolg geschwommen, geradelt und gelaufen. Jetzt hat sie Zeit für ihr Umfeld. So war sie tief gerührt von der Ehre, welche sie mit der Ernennung zur Schweizer Sportlerin des Jahres erfahren durfte, noch fast mehr aber vom Empfang in ihrer Gemeinde Feldbrunnen nach den Swiss Awards in Zürich. Mit der begehrten Trophäe im Gepäck erlebte sie einen der Höhepunkte des vergangenen Jahres: Zurück zu Hause, trugen die Schulkinder ein Lied vor, welches sie extra für ihre berühmteste Einwohnerin komponiert hatten.
Ansonsten war es aber Daniela Ryf selber, welche für die Musik sorgte. Sie spielte gewissermassen die erste Geige in einer Sportart, welche nie zuvor eine derart dominante Solistin erlebt hatte. Verständlich, dass auch Daniela Ryf selber im Rückblick auf ihre makellose Saison von einem «Traumjahr wie im Märchen» spricht. Doch wie in den meisten Märchen gibt es auch in der Geschichte der Daniela Ryf Schattenseiten, wenn man den Blick weitet.
Alles hatte so gut begonnen im Jahr 2008. Als U23-Weltmeisterin holte sie in Peking mit Rang 7 überraschend ein olympisches Diplom. Es folgte eine Saison mit vielen Top-10- und Podestplätzen im Weltcup, später, 2010, der Sieg in Seoul. Ryf war, im Alter von 23, ganz zuoberst angelangt. Ihren ersten Weltcup-Sieg musste sie jedoch teuer bezahlen. Ein Magen-Darm-Virus, welches sie im verschmutzten Gewässer von Seoul aufgelesen hatte, beeinträchtigte ihr sportliches Leistungsvermögen in den nächsten zwei Jahren.
Beinahe wäre ihr bis dato grösster Erfolg auch ihr letzter gewesen. Ryfs Gedanken kreisten ums Aufhören. Heute denkt sie zwar kaum mehr an diesen Zwischenfall zurück, die Konsequenzen wirken aber noch immer nach. Sie gibt seitdem besser acht, wenn in offenen Gewässern geschwommen wird, und meidet diese vor den Wettkämpfen konsequent. Langsam nur fand sie zu alter Stärke zurück, holte 2013 den EM-Titel über die Halb-Ironman-Distanz und startete Ende Saison die Zusammenarbeit mit Brett Sutton. Es war ein Entscheid, welcher ihre sportliche Laufbahn entscheidend prägen sollte.
Sutton entdeckte rasch die Vorzüge der kräftigen Sportlerin über die Langdistanz und legte innert eines halben Jahres den Grundstein dazu, dass aus der Kurz- und Mittelstrecklerin die mit Abstand stärkste «Ironwoman» der Gegenwart geworden ist. All die Jahre zuvor sei sie «im falschen Sandkasten» unterwegs gewesen, sagt Ryf selber über ihre sportliche Neuorientierung.
Bereits ihr Debüt über die Ironman-Distanz in Zürich 2014 hatte märchenhafte Züge. Erst am Mittwoch vor dem Rennen entschied sich Daniela Ryf dazu, sich erstmals über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 km Rad und gut 42 km Laufen zu probieren. Sie gewann den Wettkampf, obwohl sie am Vortag am selben Ort bereits das Rennen über die olympische Distanz absolviert und ebenfalls gewonnen hatte.
Im Nachhinein bezeichnet Ryf jenen Sonntag, den 26. Juli 2014, als das Schlüsselrennen in ihrer Karriere. Von da an war ihr auf einen Schlag bewusst, dass sie über die Langdistanz würde reüssieren können. Ihr Trainer war nicht nur für das ebenso verblüffende wie perfekte Timing bei der Umstellung, sondern auch die raschen Fortschritte auf der neuen Distanz verantwortlich. Im Wissen, dass sie 2015 bereits alle sportlichen Ziele auf den mittleren und langen Distanzen erreicht hat, kann Daniela Ryf das dritte Jahr mit Brett Sutton ohne Druck angehen. Oder in ihren Worten: «Ich bin selber gespannt, nach was ich Lust habe.»
Keine Lust hat sie zum Beispiel, sich einen strikten Fahrplan aufzuerlegen. Mehr als nur einen Gedanken verschwendet sie hingegen an die Olympischen Spiele 2016 in Rio, an welchen sie eine Teilnahme im Zeitfahren ins Auge fasst – sofern sie die Qualifikation, bis spätestens im Frühling, schafft. Doch daran mag man kaum zweifeln. Ebenso wenig wie daran, dass die märchenhafte Geschichte der Daniela Ryf noch lange nicht zu Ende geschrieben ist.