Cup-Halbfinals
Vier Teams, ein Traum: Die Realität ist verrückt und sie sieht den FC Aarau als Cupsieger

Am Dienstag Aarau gegen Luzern, am Mittwoch Servette gegen St.Gallen: In den Cup-Halbfinals stehen Klubs, die sich schon lange nach einem Titel sehnen. Wer macht das Rennen? Unsere Fussballreporter wissen es bereits jetzt.

Fussballredaktion CH Media
Drucken

Der FC Aarau - weil es in verrückten Zeiten einen verrückten Cupsieger braucht

Alexandra Wey / KEYSTONE

Seit 2009 musste kein Aufsteiger in die Super League direkt wieder runter. Gut möglich, dass diese Serie anhält: Vaduz, obwohl vom Aufstieg überrumpelt, hat gute Chancen auf den Ligaerhalt. Der zweite Aufsteiger Lausanne schnuppert an den Europacup-Rängen. Und: Servette greift im zweiten Jahr nach dem Aufstieg nach der Auszeichnung «der Beste hinter YB».

Sebastian WendelFussballredaktor Aargauer Zeitung

Sebastian Wendel
Fussballredaktor Aargauer Zeitung

In der laufenden Cup-Saison sind vier Klubs aus der Super League an solchen aus der Challenge League gescheitert: der FCZ an Chiasso, Sion an Aarau, Basel an Winterthur und Lausanne an GC.

Die zwei höchsten Schweizer Profiligen haben sich in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt angenähert. Die Super League ist schlechter geworden, die Challenge League besser. Die Zeiten, in denen der Unterklassige als krasser Aussenseiter in das Duell mit einem Super-League-Verein geht, sind vorbei. Der FC Basel, im vergangenen Sommer noch im Viertelfinal der Europa League, hat gegen Winterthur 2:6 verloren – 2:6! «Winti» ist Tabellensiebter in der Challenge League...

Jetzt, wo auch Übermacht YB nicht mehr im Wettbewerb ist, sehen nur Realitätsblinde im FC Aarau keinen ernsthaften Anwärter auf den Cup-Sieg. Seit dem Totalumbruch im vergangenen Sommer (neuer Präsident, neuer Trainer, neue Strategie) hat sich die junge Mannschaft unter der Führung von Stephan Keller schneller entwickelt als erhofft, sie spielt den schönsten Fussball der Liga und liebäugelt nach dem furiosen 2:1 am Wochenende gegen GC weiterhin mit der Barrage. Kommt dazu: Kein Team trifft häufiger in der Challenge League als der FCA – Gast im Cup-Halbfinal im Brügglifeld ist mit Luzern ausgerechnet die Schiessbude der Super League.

Mal ehrlich: In diesen verrückten Zeiten braucht es doch einen verrückten Cup-Sieger.

Der FC Luzern - weil die Luzerner ein verschworenes Team sind

Martin Meienberger

Der FC Luzern hat sich in den letzten Jahren zu einem Cup-Spezialisten gemausert – ohne dabei mit der Sandoz-Trophäe auf Tuchfühlung zu gehen. In den acht Austragungen des K.o.-Wettbewerbs seit 2014 stehen die Innerschweizer bereits zum fünften Mal im Halbfinal. Vier Mal war Endstation in der Vorschlussrunde; der FCL schied gegen Basel (2014), Lugano (2016), Sion (2017) und Thun (2019) aus. Vom unterklassigen FC Aarau wird sich die Mannschaft von Fabio Celestini aber nicht ausbremsen lassen.

Daniel WyrschFussballredaktor Luzerner Zeitung

Daniel Wyrsch
Fussballredaktor Luzerner Zeitung

Philipp Schmidli / PHILIPP SCHMIDLI | Fotografie

Der FC Aarau repräsentiert den Kantonsnachbar Aargau – er ist ein spezieller FCL-Gegner. Dazu kommt die aussergewöhnliche Spielstätte Brügglifeld. Ein Ort für Fussball-Romantiker, wo zusätzlich zu den erlaubten 100 Zuschauern weitere 150 bis 200 Fans von einer Mauer den Blick frei auf den Rasen haben. Ein Plus an Atmosphäre für beide Teams.

Die Statistik spricht für Luzern: Je die letzten drei Direktvergleiche im Cup und in der Liga gewannen in Aarau die Gäste aus der Innerschweiz. Als Oberklassiger ist der FC Luzern sowieso Favorit, dazu stimmt die Form: Das Team reist mit dem Erfolgserlebnis von erstmals in dieser Saison drei Siegen in Folge an, damit sind alle Abstiegssorgen weg, der Kopf ist frei für den Cup.

Den FCL trennen noch zwei Siege vom dritten Cuptriumph nach 1960 und 1992. Celestini kündete bereits vor dem Viertelfinal in Lugano an, dass er mit Luzern Geschichte schreiben will. Sein Team hat die Fähigkeiten, diesen vierten Titel der Klubhistorie – inklusive der Meisterschaft 1989 – zu gewinnen. Es ist eine verschworene Gruppe garniert mit den Könnern Schaub, Sorgic und Tasar, die auch im Cupfinal den Unterschied machen können. Zudem zählt der FCL mit Marius Müller auf den wohl besten in der Schweiz tätigen Torhüter und hat mit Pascal Schürpf den wirkungsvollsten Mentalitätsspieler.

Der FC St. Gallen - weil der Rest Komplexe hat

Claudio Thoma / freshfocus

Betrachten wir das Ganze aus Ostschweizer Optik doch mit einem Augenzwinkern: Der FC Aarau mag zwar cool sein, die Fussballromantiker bezirzen mit seinem maroden Brügglifeld, solange es noch steht. Aber wie, bitte schön, soll ausgerechnet ein kleiner Klub dem FC St.Gallen gefährlich werden, der es nicht einmal schafft, ein 4:0 über die Runden zu bringen, und daran bis heute zu beissen hat?

Christian Brägger Fussballredaktor St. Galler Tagblatt

Christian Brägger
Fussballredaktor St. Galler Tagblatt

Hanspeter Schiess

Und die Luzerner, die schon immer ein bisschen sein wollten wie die St.Galler. Im Stadionbau haben sie es mit ihrem goldigen Käfig ja beileibe nicht geschafft, beim Zuschaueraufkommen hinken sie sowieso hinterher, immerhin haben sie ihren Präsidenten aus unseren Reihen abgezwackt, und vielleicht haben sie mit Celestini einen Coach, den man gut und gern auch bei uns laufen lassen könnte. Und sonst? Fehlt schlicht der Tatbeweis, dass die Zentralschweizer es genau jetzt auf die Reihe kriegen und «leuchten».

Bliebe Servette: Wahrlich noch der härteste Widersacher, dies bereits im Halbfinal, und wie St.Gallen heuer YB-Besieger. Dazu mit Leibchen in der Farbe eines formvollendeten, mundenden Rotweines. Das macht Lust – auf den Wein. Doch wie will ein Kanton im absoluten Puckfieber ausgerechnet jener Region gefährlich werden, die den Ball im Cup am höchsten hängt?

So ist für jeden nachvollziehbar, weshalb die Cup-Trophäe in den Osten geht. Gewiss, anhand der schwachen Leistungen in der Meisterschaft eine etwas verwegene Haltung. Doch vom Quartett der Halbfinalisten warten sie hier am längsten auf diesen Erfolg, der Wettbewerb ist ihr Sehnsuchts- und noch mehr Zufluchtsort. «Der Cup, der Cup!», schreien Hüppi und Co. unentwegt, und umso mehr werfen sie alles Erdenkliche in die Waagschale, damit am Pfingstmontag «FC St.Gallen 1879» auf den mit grünweissem Band verzierten Kübel geritzt wird – er soll ja endlich schön aussehen.

Servette - weil es spielerisch schlicht überlegen ist

Claudio De Capitani / Claudio de Capitani/freshfocus

«Oh Maman, Maman, Maman. Sais-tu pourquoi mon cœur est grenat. J’ai vu jouer le Servette. Eh Maman: J’suis tombé amoureux.»

Jakob WeberSportredaktor bz Basel - ist in Genf aufgewachsen

Jakob Weber
Sportredaktor bz Basel - ist in Genf aufgewachsen

Sandra Ardizzone / INL

Diese Liebeserklärung singen die Genfer Fans gerne und immer dann, wenn Servette verzückt. Und sie wird auch am Mittwoch nach dem Cup-Halbfinal und am Pfingstmontag nach dem Final überall, wo sich Genfer Fans aufhalten, lautstark zu hören sein.

Servette ist der Favorit, weil dort seit sechs Jahren überdurchschnittlich gut gearbeitet wird. Nach Chaos-Jahren mit Doppelinsolvenz und sportlichem Niedergang hat Ex-Präsident Didier Fischer den Klub 2015 gerettet und seitdem kontinuierlich entwickelt. Heute kümmert sich Fischer um die Fondation 1890. Die Stiftung hält die -Servette-Aktien, beglich damals die Verbindlichkeiten und deckt heute das jährliche strukturelle Defizit von sechs Millionen.

Die finanzielle Sicherheit überträgt sich auf den Rasen. Es macht Spass, dem Genfer Spiel zuzusehen. Der Aufsteiger landete vergangene Saison direkt in Europa und ist auf dem besten Weg, dies 2021 zu bestätigen. Von den vier Cup-Halbfinalisten hat Servette unbestritten die grösste Qualität. Jeremy Frick gehört zu den besten Torhütern der Liga. Gael Clichy bringt reichlich Champions-League-Erfahrung mit. Im Mittelfeld räumen Gael Ondua und Théo Valls ab, gleichzeitig beherrschen aber auch sie das schnelle Passspiel, was ganz Servette auszeichnet.

Aus dem guten Kollektiv sticht Miroslav Stevanovic heraus. Der Bosnier war ein Weltenbummler, ehe er 2017 zu Servette kam. Seitdem hat er in 133 Spielen 79 Skorerpunkte gesammelt. Stevanovic sorgt nicht nur offensiv für Gefahr, er ackert auch defensiv mit und hat damit eine Qualität, die den meisten Flügelstürmern abgeht. Er ist Servettes Trumpf auf dem Weg zum achten Cupsieg und dem ersten Titel seit 2001. Und er wird die Fans zum Singen bringen.