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Ruder-Weltmeisterin Jeannine Gmelin hält sich gerade in den slowenischen Bergen fit. Im Skype-Interview verrät sie, wie ihr Alltag aussieht, was sie nach der Karriere plant und warum sie sich vor kurzem die Sinnfrage gestellt hat.
Die Schweizer Ruderzentren sind verwaist. Jeannine Gmelin aber rudert weiter. Auf dem idyllischen Lake Bohinj im slowenischen Triglav-Nationalpark zieht die 29-Jährige ihre Bahnen. Tag für Tag, Schlag um Schlag.
In Ihrem Rücken glänzen die Berge der Julischen Alpen in der Sonne, von den Bäumen zwitschern die Vögel. Da haben Sie sich ja nicht den schlechtesten Platz für Ihr Exil ausgesucht.
Jeannine Gmelin: Ja, es ist ein sehr schöner Ort. Das Wetter ist top, die Temperaturen sind angenehm. Ich habe es sehr gut hier und kann super trainieren.
Die Wochen davor waren weniger entspannt. Anfang März mussten Sie fluchtartig Italien verlassen, weil die Grenze geschlossen wurde. Wenig später erlebten Sie die gleiche Situation in München. Hätten Sie auf dieses Abenteuer gerne verzichtet?
Es war eine stressige Zeit mit einem ziemlich hohen Adrenalin-Pegel. Mein Hauptfokus lag darauf, alles dafür zu tun, damit ich so gut wie nur möglich auf die Olympischen Spiele vorbereitet bin, die im Juli hätten stattfinden sollen. Dieser Fokus wurde durch die Lage in Italien und Deutschland gefährdet, darum musste ich auch schnell reagieren und abreisen.
Im Januar waren Sie in Australien, als die verheerenden Buschbrände gewütet haben. Hadern Sie manchmal damit, was 2020 für ein verflixtes Jahr für Sie ist?
Alles ist anders gekommen, als ich es mir je hätte ausmalen können – im negativen Sinne. Es ging aber nie so weit, dass ich gesundheitlich oder persönlich so stark beeinträchtigt war, dass ich mein Ziel aus den Augen verloren hätte. Ich bin auch jemand, der daran glaubt, dass alles aus einem Grund geschieht. Jetzt sehe ich diesen Grund noch nicht, aber vielleicht in ein paar Monaten.
Allein zu sein hat schon immer zu mir gehört. Das hilft in Situationen wie diesen.
Haben all diese Erlebnisse etwas in Ihnen ausgelöst?
Ich habe mir die Sinnfrage gestellt. Mir ist bewusst geworden, dass der Sport eine ziemlich egoistische Sache ist. Meinem Traum von den Olympischen Spielen ordne ich alles unter. Da nimmt man viele Dinge in Kauf. Wenn ich keine Athletin wäre, würde ich etwa niemals so viel fliegen. Andererseits weiss ich, dass Sport die Menschen verbindet und inspiriert. Auch deshalb bin ich Sportlerin geworden.
Vor einem Jahr ist aus der Einzelsportlerin Jeannine Gmelin eine Einzelkämpferin geworden. Nach Unstimmigkeiten löste sie sich vom Schweizerischen Ruderverband. Seither macht sie alleine weiter, bezahlt alles auf eigene Rechnung und organisiert ihr Training mit einem Privatteam.
Viele Athleten sind derzeit erstmals auf sich allein gestellt. Können Sie besser damit umgehen, weil Sie schon ein Jahr lang Ihr eigenes Ding durchziehen?
Vielleicht nicht besser. Aber ich glaube, allein zu sein ist eine Komponente, die schon immer zu mir gehört hat, auch weil ich im Einer rudere. Das hilft mir in dieser Situation sicher.
Sie haben jetzt ein Jahr mehr Zeit, sich für die Olympischen Spiele in Form zu bringen. Hat das Druck von Ihnen genommen?
Auf jeden Fall, der Druck ist viel kleiner. Ich trainiere wahnsinnig gerne und darf jetzt ein Jahr länger diese Freude ausleben.
Sie trainieren alleine und tragen die ganzen Kosten selbst. Können Sie sich die Verschiebung leisten?
Diese Frage hat mich in den vergangenen Wochen stark beschäftigt. Die eine oder andere Zusage von Sponsoren habe ich schon. Das ist sehr schön.
Werden Sie, ungeachtet Ihrer finanziellen Lage, über 2021 hinaus Spitzensportlerin bleiben?
Das weiss ich noch nicht. Ich musste mir schon im Hinblick auf diesen Juli überlegen, ob ich meine Karriere fortführe oder auf dem Höhepunkt aufhöre und sage, das wars. Das IOC hat mir diese Entscheidung vorerst abgenommen, indem es die Spiele verlegt hat.
Ich bin auch ein Genussmensch und versuche, mir nicht zu viele Sachen zu verbieten.
Wie könnte die Zeit danach aussehen?
Ich kann mir vorstellen, Athleten als Coach zu begleiten. Ich schreibe sehr gerne, bin in drei Sprachen fliessend. Vielleicht zieht es mich auch ins Marketing. Wichtig ist, mir genügend Zeit zu geben. Ich lebe als Profisportlerin in einer Parallelwelt. Den Wechsel ins normale Leben darf ich nicht unterschätzen.
Sie trainieren am liebsten mit schweren Gewichten. Diese fehlen Ihnen aber im Mietshaus in Slowenien. Wie halten Sie sich trotzdem fit?
Man vergisst oft, dass man mit dem eigenen Körpergewicht viel herausholen kann. Statt Kniebeugen mit 50 Kilo zu machen, reicht es auch, die Zahl der Wiederholungen hochzuschrauben. Das wird schnell anstrengend.
Haben Sie einen Ratschlag für all jene, die sich in der Selbstisolation besser ernähren wollen?
Man sollte sich nicht utopische Ziele setzen. Es ist besser, sich vorzunehmen, zu jeder Mahlzeit einen Salat zu machen. Ich bin auch ein Genussmensch und versuche, mir nicht zu viele Sachen zu verbieten.
Was ist Ihr Rezept gegen Langeweile?
Ich backe sehr gerne. Und neuerdings male ich Mandalas aus. Da kann ich richtig gut abschalten. Ich hatte schon immer eine künstlerische Ader und mag das Zusammenspiel von Farben.
Man spürt, Sie geniessen die Zeit in Slowenien. Wann sind Sie zurück in der Schweiz?
Das ist schwierig zu sagen. Momentan plane ich nicht, heimzukommen, da die Grenzen nach wie vor zu sind. In Slowenien darf man grundsätzlich drei Monate ohne Aufenthaltsbewilligung bleiben. Diese Frist läuft bei mir Mitte Juni ab.
Die Coronakrise stellt uns alle vor eine neue Herausforderung. Wie meistern die Spitzensportler die Pause? Wie trainieren sie im Moment? Und welche Tipps und Tricks geben sie? Diese Fragen stellen wir in unserer Coronaserie Schweizer Sportlern im Gespräch via Skype. Dieses Mal mit Jeannine Gmelin, Ruder-Weltmeisterin von 2017 und Europameisterin von 2018. (frh)