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Disziplinenchef Berni Schödler über sein Aushängeschild und die Erwartungen ans Schweizer Team. Im Interview spricht er über Simon Ammans Lage und schätzt seine Zukunftsperspektiven ein.
Berni Schödler kennt den Sportler Simon Ammann so gut wie kein anderer. Der 45-jährige Engadiner war von 2000 bis 2007 Ammanns Trainer und führt seit 2010 das Skisprungteam als Disziplinenchef. Wie sieht der Trainer des Jahres 2002 die Chancen der Schweizer Skispringer im WM-Winter?
Berni Schödler: Dass es eine Arbeit mit Menschen ist. Es geht um Gefühle, um Emotionen – so etwas wird nie langweilig. Jeder Tag in meinem Job ist anders. Der zweite Punkt ist, dass ich es als grosses Privileg empfinde, mein Geld im Bereich Wintersport verdienen zu können. Ich erachte es als nicht selbstverständlich, in einem Land leben zu dürfen, in welchem man sich einen solchen Luxus wie Sport auf diesem Niveau leisten kann.
Ja, es brauchte damals eine Veränderung. Ich erlebte zuvor sieben unglaublich schöne, aber auch intensive Jahre als Nationaltrainer mit den Erfolgen von Simon Ammann und Andreas Küttel. Ich wollte auch meinen Rucksack weiter mit Wissen füllen und war froh, dass ich mit Russland ein Land wählte, welches ein ganz anderes Umfeld bot. Dinge, die bei uns ganz normal sind, sind es bei den Russen überhaupt nicht. Es fängt bei den Essgewohnheiten an und, und, und, und ... Es war eine spannende Erfahrung, zu sehen, dass es ausserhalb der Schweiz Länder gibt, die vollkommen anders ticken, ganz andere Wertvorstellungen mitbringen. Diese Zeit in Russland hat mir sehr gut getan, ich konnte mich als Trainer und Mensch weiterentwickeln.
Wenn man zurückspult, würde man ziemlich erschrecken, wie sich alles entwickelt hat. Als ich angefangen habe, stand einzig die Performance der Athleten im Mittelpunkt. Heute ist auch der beste Springer ohne gutes Material schlicht nicht konkurrenzfähig. Was im Materialbereich in den letzten Jahren alles passiert ist, ist eindrücklich. Es wäre spannend, das Materialbudget von 2000 mit jenem von heute zu vergleichen.
Heute gibt man sicher 20-mal mehr für Material aus.
Simon Ammann reist mit einer gewissen Zuversicht zum Weltcup-Auftakt nach Kuusamo. Der vierfache Olympiasieger fühlt sich gut und hat sich dem angestrebten Telemark etwas angenähert. Wie sehr – vor allem mit einem positiven Gefühl im Kopf oder doch bei der effektiven Landung am Schanzenhügel – wird sich bei den zwei Springen am Freitag und Samstag weisen. Er trete nicht an, um sich auf Rang 15 zu platzieren, betont der 35Jährige. «Ich erwarte von mir einen Schritt in Richtung Weltspitze», sagt Ammann, «es muss sich etwas bewegen.» Für den Toggenburger gestaltete sich der Fusswechsel bei der Landung und die neue, auf den Telemark ausgerichtete Flugkurve dornenvoller und langwieriger als erhofft. Nach vorübergehendem Stillstand und Ratlosigkeit im Sommer gehe es jetzt wieder aufwärts, wobei auch Ammann weiss: «Weite Sprünge sollten im Wettkampf und nicht im Training stattfinden. Denn um weiterhin Freude am Skispringen zu spüren, muss es bei den Wettkämpfen einigermassen passen. Und Platz 15 gehört nicht dazu.» (rs)
In Salt Lake City ist man noch ganz anders gesprungen – auch punkto Reglement und Anzüge. Das kann man nicht vergleichen. Mit den Sprüngen von Vancouver 2010 wäre Simon immer noch ganz vorne. Ich habe sie mir erst kürzlich wieder einmal auf Video angeschaut. Das war technisch ganz grosse Klasse.
Es hat weniger damit zu tun, was ich glaube, sondern was erwartet wird. Wenn ein Skispringer Erfolg haben will, dann gehört eine Telemark-Landung schlicht dazu. Punkt, Schluss! Was nützt zum Beispiel einem Eishockeyspieler der schärfste Schuss, wenn er das Tor nie trifft? Auch Simon Ammann muss von sich eine Telemark-Landung erwarten. Sie darf kein Zufallsprodukt sein. Er muss sie zeigen, sonst wird er als Skispringer keinen Erfolg mehr haben.
Sein Entscheid, bei der Landung den Fuss zu wechseln, ist halt schon ein ziemlich grosses Unterfangen. Man weiss, dass es imSport x-tausend Bewegungswiederholungen braucht, bis ein gewisses Qualitätslevel erreicht ist. Und Simon hat dies eigentlich wieder zurück auf null gesetzt. Diese Herausforderung, die er sich selber auferlegt hat, ist auch für einen Weltklassespringer wie Ammann nicht ganz so einfach. Er ist mit grossem Engagement dran, muss dem Prozess aber Zeit geben. Er ist sicherlich noch nicht dort, wo er hin will. Schliesslich geht es am Schluss neben der Landung auch noch darum, weit zu springen. Ein Telemark nach einem kurzen Sprung ist auch für Simon Ammann nicht so schwierig.
Ich muss diese Frage nicht kommentieren.Nur so viel: Das erste Mal gestellt wurde sie mir 2005! Das Gespür für den richtigen Zeitpunkt muss der Athlet mitbringen, nicht sein Umfeld.
Es geht weniger um zutrauen als um erwarten. Ich brauche keinen Co-Trainer, der die Schanze runterfährt. Ich erwarte von ihm, dass er hungrig auf Erfolg ist und seine Wettkämpfe hoch professionell durchzieht. Die Resultate sind letztlich nur ein Produkt dieser Arbeit.
Für mich war es schockierend, dass seit dem Doppelolympiasieg von 2002 in der Schweiz mittlerweile 14 Kinderschanzen zurückgebaut wurden. Wie willst du Kinder für einen Sport begeistern, wenn du ihnen sämtliche Möglichkeiten raubst? Inzwischen gibt es einige positive Zeichen. Mit Kandersteg haben wir ein neues Skisprungzentrum, an einigen Orten wurden neue Anfängerschanzen installiert. Erfolg oben kann es erst geben, wenn unten ein Fundament besteht. Dazu kommt, dass wir immer wieder vielversprechende junge Springer mit Talent und Willen hervorbringen. Deshalb sehe ich für die Zukunft nicht nur schwarz! Aber klar ist auch, dass Skispringen nie ein Breitensport sein wird.
Ja, das hoffe ich schon. Es geht ja nicht darum, einen Ammann zu reproduzieren. Der ist weltweit einzigartig. Aber es hat einige interessante Typen im Kader.