Tennis
Belinda Bencic in turbulenten Zeiten: «Dann denkst du: Das Universum hasst dich»

Verletzungen, Lospech, Abnabelung vom Elternhaus: Bei Belinda Bencic geht es drunter und drüber. Im exklusiven Interview spricht die 20-Jährige über ihr Leben neben dem Tennisplatz, ihren neuen Trainer und den Fall Scharapowa.

Simon Häring und Silvan Hartmann
Drucken
Belinda Bencic stellt die Weichen nach schwierigen Monaten neu.

Belinda Bencic stellt die Weichen nach schwierigen Monaten neu.

Chris Iseli

Belinda Bencic, was macht Sie glücklich?

Oookay, das ist jetzt mal ein guter Anfang (lacht). Glücklich macht mich, wenn ich Tennis spiele. Wenn ich gesund bin. Wenn die Menschen um mich herum gesund und glücklich sind und wenn ich einen Tag habe, der Abwechslung bringt.

Was bringt Ihnen diese Abwechslung?

Wenn ich nach einem Turnier ein paar Tage frei habe und etwas unternehmen kann. In Miami zum Beispiel habe ich mir die Wynwood Walls (Openair Street Park mit Werken der weltbesten Graffiti-Künstler, d. Red.) angeschaut. Ich versuche, mir mehr Zeit für solche Dinge zu nehmen. Früher haben mich die Turniere so begeistert, dass ich immer bei den Plätzen sein wollte und Matches schauen. Heute sind mir andere Dinge wichtiger.

Haben Sie während Ihrer Verletzungspausen im letzten Jahr auch Neues ausprobiert?

Ich habe mit Yoga angefangen und ich male. Und ich habe Tanzstunden genommen. Das war manchmal peinlich, weil ich kein Talent habe und die anderen immer besser sind (lacht). Für mich ist es dann etwas unangenehm, wenn eine ältere Dame einen Spagat macht und ich schaffe es nicht. Da frage ich mich: Wer ist jetzt da der Spitzensportler?

Welche neuen Seiten haben Sie dabei an sich entdeckt?

Ich bin sehr ungeduldig. Mir wurde es sehr schnell langweilig. Am Anfang einer Pause fand ich das noch toll, konnte ausschlafen, mich mit Kollegen treffen und in den Ausgang gehen. Aber schon bald habe ich gemerkt, dass es nichts für mich wäre, eine Lehre zu machen und ein normales Leben zu führen. Ich denke, mein Leben passt zu mir.

Sie wurden zuletzt in den sozialen Medien angefeindet und als «verdammte Kuh» bezeichnet. Wie gehen Sie damit um?

Wenn ich gerade verloren habe, tut das schon weh. Aber ich fühle mich durch solche Meldungen nicht megabeleidigt, einen Text voller Hasswörter kann man doch nicht ernst nehmen. Wegen ein paar Idioten darf man die vielen positiven Nachrichten nicht vergessen.

Sie galten früh als Talent. Wie viel macht Talent wirklich aus?

Ich glaube nicht ans Talent. Wenn man mich bei anderen Sportarten sieht, oder ganz am Anfang beim Tennis, dann bin ich alles andere als ein Talent (lacht). Ich hatte null Ballgefühl. Ich habe das alles gelernt und ich denke, das ist für jeden möglich. Wille, Ausdauer und Leidenschaft haben nicht alle, ich schon. Ich habe gemerkt, dass ich dieses Leben will.

Was ist Ihr grösstes Talent?

Ich habe keins. Als kleines Kind wusste ich auch nicht, was es alles braucht. Mein Papa hat mir früher auch gesagt «geh joggen». Dann bin ich um die nächste Ecke gerannt, habe mich auf den Boden gesetzt und ging nicht joggen.

Sie spielten zuletzt ein kleineres Turnier in Paris. Wie war für Sie dieser Kontrast?

Ich geniesse es, wenn es für einmal nicht so viel Rummel hat. Ich hatte mehr Zeit für mich, das war wirklich schön, fast schon familiär. Die Bedingungen sind etwas schlechter, und ich muss mehr selber organisieren. Du bekommst keine Handtücher, keine Bälle, hast keinen fixen Platz in der Garderobe und es hat auch kein Fitnesscenter.

Und das Hotelzimmer?

Ich habe im Disney-Hotel übernachtet, das für Familien gebaut wurde. In allen Zimmern hatte es ein Bett für die Eltern und ein Kajütenbett für die Kinder. Das war witzig, wie im Legoland. Dort hatten wir einmal drei Zimmer gebucht und dann gemerkt, dass ein Zimmer auch gereicht hätte (lacht).

Wie sehen Sie die ersten knapp vier Monate des Jahres?

Die erste Woche mit Roger war super. Dann ging es abwärts. Das Selbstvertrauen ist schon angeschlagen, darum spiele ich jetzt auch kleinere Turniere. Ich bin um jeden Match froh, der mir Selbstvertrauen gibt, um aus dieser Negativspirale rauszukommen.

Bencic mit Roger Federer am Hopman Cup in Perth:

Roger Federer und Belinda Bencic am Hopman Cup in Perth
6 Bilder
Handschlag nach Punktgewinn: Bencic und Federer verstehen sich.
Das Publikum in Perth ist voll dabei.
Federer war am Hopman Cup wieder vollständig fit.
Ein Lachen für das Publikum.
Bencic und Federer sprechen sich ab.

Roger Federer und Belinda Bencic am Hopman Cup in Perth

Screenshot

Bei Auslosungen hatten Sie zuletzt wenig Glück.

Manchmal hast du einfach eine Scheissauslosung und denkst: Das Universum hasst mich (lacht). In Paris musste ich gegen Antonia Lottner spielen, eine meiner besten Freundinnen. Da dachte ich: Jetzt reichts aber. Aber ich kann es mir nicht auswählen. Zu jammen, dass es unfair ist und alles gegen mich läuft, hilft auch nicht. Das sagt mir auch mein Trainer.

Was ist Ihr Trainer, Maciej Synowka, für ein Typ?

Sehr positiv, ruhig, er macht alles mit mir. Wir trainieren viel. Wir gehen gemeinsam joggen, in den Fitnessraum. Es ist nicht so, dass er einfach auf dem Platz steht und mir sagt, ich solle eine Stunde spielen und geht danach nach Hause. Er unterstützt mich in allem, den ganzen Tag. Er lernt mich und mein Spiel erst kennen. Das ist das, was ich brauche.

Er gilt als Schleifer.

Das habe ich auch gelesen, als ich mich schlau gemacht habe (lacht). Ich habe mich für ihn entschieden, weil er sehr hart arbeitet und das Tennis liebt. Das ist gut. Wenn einer nicht so viel Bock hat, ist es schwierig. Ich brauche jemanden, der mich antreibt.

Trainieren Sie jetzt mehr?

Ich habe schon immer viel trainiert. Es geht jetzt darum, nicht aufzugeben. Wenn ich verliere, kommt schnell der Gedanke: Warum mache ich das eigentlich? Du sagst dir: Okay, jetzt gehe ich mal zwei Tage nicht rennen. Es ist wichtig, dass jemand da ist, der mich nicht in dieses Loch fallen lässt und sagt: Nein, morgen gehen wir wieder rennen.

Wie ist es für Sie, dass Ihr Vater nicht mehr Haupttrainer ist?

Es ist nicht gross anders. Ich wohne ja noch zu Hause. Mein Vater ist jetzt
einfach weniger bei den Turnieren dabei und hat mehr Zeit für meine Mutter. Ich wollte das auch so. Es ist schön, dass er manchmal mitkommt, aber eben nicht immer. Dass wir ein wenig Abstand haben und uns gegenseitig Luft geben. Dass die Ablösung kommt, ist ja normal. Ohne ihn geht es schon nicht, ich brauche ihn, aber nicht mehr so viel wie früher.

Trainieren Sie noch bei Martina Hingis’ Mutter, Melanie Molitor?

Ich war jetzt schon länger nicht mehr dort. Aber ich hoffe, dass ich immer mal wieder vorbeikommen kann. Zuletzt habe ich mit meinem Papa und meinem Trainer gearbeitet.

Haben Sie noch Kontakt?

Ab und zu. Wir schreiben nicht jeden Tag. Ich war jetzt auch lange unterwegs und nicht mehr in der Schweiz.

Sie hat in einem Interview gesagt, Sie seien im November Hals über Kopfabgereist und seither habe sie nichts mehr von Ihnen gehört.

Alle waren überrascht davon. Ich hatte einfach das Bedürfnis, das alleine auszuprobieren, aber ich habe das jedem erklärt. Ich habe Melanie das später auch noch erklärt.

Von aussen hat man den Eindruck, dass es in der Weltrangliste sehr schnell nach oben, aber auch nach unten gehen kann. Teilen Sie diese Ansicht?

Ja, ich bin ja der beste Beweis dafür. Es kommen viele Junge nach und lösen die ältere Generation ab, die Karten werden völlig neu gemischt. Für mich geht es darum, möglichst schnell wieder nach oben zu kommen, aber es hilft auch nicht, dauernd auf die Klassierung zu achten. Mir ist egal, ob ich die Nummer 60 oder 80 bin. Das Ziel ist es ja, an der Spitze zu sein.

Dass Bencic erst 20 ist, geht manchmal zu schnell vergessen.

Dass Bencic erst 20 ist, geht manchmal zu schnell vergessen.

Chris Iseli

Egal nicht. Sie müssen derzeit in der Qualifikation antreten.

Das macht mir nichts aus, so lange mein Ranking dafür reicht. Zudem kann ich ja noch eine Wildcard in Anspruch nehmen. Ich spiele gerne kleinere Turniere, damit ich zu Matches komme und mich so wieder nach vorne arbeiten kann, auch wenn ich mal gegen Spielerinnen verliere, die ich eigentlich schlagen sollte. Das ist sicher besser, als mit einer Wildcard zu spielen und dann wieder Pech bei der Auslosung zu haben. Sie sind eben erst 20 geworden.

Haben Sie das Gefühl, dass das manchmal vergessen geht?

Ja, definitiv. Die Leute denken schnell: Aha, sie fällt weiter zurück, ihre Karriere ist vorbei. Bei Lara Gut war das ähnlich, weil sie mit 17 schon so gute Resultate hatte und so erwachsen aufgetreten ist. Aber wir Jungen haben auch das Recht, einmal eine schlechte Phase zu haben, einen Durchhänger.

Geniessen Sie es auch, nicht mehr so sehr im Fokus zu stehen?

Es war mir manchmal schon zu viel, aber man gewöhnt sich auch daran, weil es Teil des Geschäfts ist. Ich habe gelernt, nicht alles zu lesen und mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, was andere über mich denken.

Sind Sie froh, dass man jetzt sieht, wie viel Arbeit hinter Ihrem Aufstieg steckt?

Es hat vielleicht leicht ausgesehen, aber das war es nicht. Früher war ich sicher unbeschwerter. Jetzt denke ich zu viel nach, vor allem, wenn es nicht gut läuft. Das ist normal und auch kein Drama. Ich muss lernen, das zu akzeptieren.

Wie geht es Ihrem Handgelenk?

Mal tut es zwei Tage weh, dann wieder eine Woche lang nicht. Ich habe gelernt, mein Training anzupassen. Manchmal ist es auch besser, ein Tennistraining auszulassen, es durch eine Konditionseinheit zu ersetzen, joggen zu gehen, oder nur die Vorhand zu schlagen.

Wie sehen Sie den Fall Scharapowa?

Es war sicher richtig, dass sie gesperrt wurde. Ich schaue immer auf der Liste nach, ob etwas Verbotenes drin ist, selbst bei einem Nasenspray. Es ist klar, dass alle Turniere sie jetzt haben wollen und ihr Wildcards geben. Aber es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen. Und wenn Sie in einer Startrunde auf Scharapowa treffen sollten? Vielleicht ist sie ohne Meldonium ja nicht mehr so gut (lacht).