Der Trainer Andy Reid führt die Kansas City Chiefs nach 50 Jahren wieder zu einem Superbowl-Titel. Im Moment des Triumphs gedenkt der Familienvater seinem an einer Heroinüberdosis verstorbenen Sohn.
Als alles vorbei war, der Konfettiregen, der Interviewmarathon, die Gatorade-Dusche, traf sich die Reid-Familie im Hard-Rock-Stadium von Miami zu einer emotionalen Gruppenumarmung. Andy Reid, 61, der rührselige Coach hatte mit den Kansas City Chiefs gerade den Superbowl gewonnen, 31:20 gegen die San Francisco 49ers, aber für einen Moment waren seine Gedanken anderswo. Mit seiner Frau Tammy und seinen vier Kindern Britt, Spencer, Crosby und Drew steckte Reid die Köpfe zusammen; die Tochter Crosby sollte später darüber sagen: «Es war ein Moment für unsere Familie, in dem wir alle weinen konnten und wirklich fühlten, wie mein Bruder von oben auf uns herabschaut.» Sie sprach von Garrett, dem im August 2012 verstorbenen Sohn der Familie, dem eine Überdosis Heroin zum Verhängnis geworden war. Die Tragödie hinterliess Spuren – Reid ist ein Familienmensch, schon 38 Jahre ist er mit Tammy verheiratet, die beiden lernten sich am Mormonencollege Brigham-Young-Universität kennen.
Auch im Job ist Reid ein Muster an Beständigkeit: 21 Jahre ist er inzwischen Cheftrainer in der NFL, eine Ewigkeit in einem Sport, der sich rasant wandelt, und war dabei nur für zwei Organisationen aktiv: von 1999 bis 2012 für die Philadelphia Eagles, seither für die Chiefs. Bis Sonntag gab es einen dritten Strang, was Konstanz in Reids Wirken angeht: Zuverlässig versagten er und seine Teams im Playoff, sein Zeitmanagement in grossen Spielen war oft rätselhaft. Aber in Miami war alles anders – sein 222. Sieg in der NFL wurde zu Reids persönlichem Opus Magnum. Es ist auch sein Eintrittsticket in die Hall of Fame in Canton, Ohio, sobald seine illustre Karriere endet. Auf die Frage, wie er den Triumph feiern werde, sagte er: «Ich werde einen doppelten Cheeseburger bestellen, mit Extrakäse.» Reids Humor ist ein Teil seines Erfolgsgeheimnisses, er ist mitverantwortlich dafür, dass er fast universell gemocht wird. Doch so gelassen er oft wirkt: Es gibt nicht viele Menschen, die ihren Job vergleichbar ernst nehmen wie er. Patrick Mahomes, der gefeierte Quarterback der Chiefs, sagte: «Ich glaube, er schläft nie. Er ist morgens um 3 Uhr im Büro und geht abends um 11 wieder. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so hart arbeitet. Wir wollten diesen Sieg für ihn holen, und ich bin verdammt glücklich, dass uns das gelungen ist.»
Es war ein hartes Stück Arbeit, bis es so weit war. Auch in ihrem dritten Playoffspiel der Saison lagen die Chiefs zwischenzeitlich zweistellig zurück. Doch einmal mehr erwiesen sich Reid, Mahomes und Co. als Entfesselungskünstler nach dem Schlag des Jahrhundertmagiers Harry Houdini; sie gewannen am Ende überlegen, weil sie auf alles eine Antwort fanden. Der Auftritt unterstrich einmal mehr Reids Ruf als fast pedantischer, perfektionistischer Planer, der nichts dem Zufall überlässt.
Es ist ein Rührstück, dass Reids Ethos ihn nach all den Jahren des Wartens und Scheiterns in der Nahrungskette der NFL doch noch ganz oben gebracht hat. Reid ist ein Workaholic, in seinen 13 Jahren in Philadelphia nahm er sich einen einzigen Tag frei: als innerhalb von wenigen Stunden nacheinander Garrett und Britt verhaftet wurden. Beide waren nach der Einnahme von Schmerzmitteln in die Drogensucht abgerutscht, so wie Hunderttausende Amerikaner. Reid versuchte, ihre Tage zu füllen, indem er sie zu Trainings mitnahm, auf Scoutingreisen. Garrett fuhr er in eine Entzugsklinik nach der anderen, doch am Ende verlor er diesen Kampf. In der Stunde der Trauer rieten ihm Freunde, ein Sabbatjahr einzulegen, abzuschalten. Reid weigerte sich, unterschrieb bei den Chiefs und sagte später: «Trainer zu sein, war für mich die beste Medizin.»
21 Jahre wartete Reid auf den Superbowl-Triumph, darauf, dass es mit der Stigmatisierung seiner Karriere vorbei ist. Nachdem es ihm in diesem mitreissenden 54. Superbowl gelungen war, sprach Reid über Garrett, er sagte: «Ich kann nicht anders, als an ihn zu denken.»