Ratlosigkeit, ja Fassungslosigkeit nach dem heftigen 0:7 gegen Schweden. 2018 hatten wir doch im Final mit Leonardo Genoni erst nach Penaltys gegen diesen Gegner verloren. Zum ersten Mal seit zehn Jahren kein Tor gegen die Schweden. Leonardo Genoni, unser bester Goalie, nach vier Gegentreffern ausgewechselt. Wo stehen wir? Sind wir nun Titelanwärter, oder müssen wir froh sein, wenn wir überhaupt den Viertelfinal erreichen?
Die WM-Vorrunde ist so lang (7 Spiele), dass während des Turniers eine Reaktion auf einen Rückschlag möglich ist. Ja, sogar zwei oder drei Niederlagen führen nicht zwingend zum Ausscheiden. Das unterscheidet eine Eishockey-WM beispielsweise von den Titelkämpfen im Fussball.
Die Frage ist also: Können die Schweizer auf dieses 0:7 reagieren? Ein Blick zurück hilft uns bei der Suche nach einer Antwort nur bedingt. Zwar gelingt etwa am 18. Februar 2006 beim olympischen Turnier ein historisches 2:0 gegen die kanadischen NHL-Profis nur drei Tage nach einem 0:5 im Startspiel gegen Finnland.
Aber diese Situation ist nicht mit der Lage nach dem 0:7 gegen Schweden vergleichbar. Damals waren die Erwartungen bei weitem nicht so hoch wie heute. Die Schweizer hatten nichts zu verlieren und alles zu gewinnen.
Inzwischen sind die Ansprüche nach den zwei WM-Finals von 2013 und 2018 enorm gestiegen. Nun ist es so, dass wir in einer WM-Vorrunde sehr viel zu verlieren und nichts zu gewinnen haben. Der Viertelfinal ist Pflicht.
Riga beschert uns also eine neue Ausgangslage: Eine so klare Niederlage nach zwei Startsiegen (5:2 Tschechien, 1:0 Dänemark) hat es in der ruhmreichen Neuzeit noch nie gegeben. Rein rechnerisch ist die Lage nicht dramatisch: Mit zwei Siegen in den restlichen vier Partien gegen die Slowakei, Russland, Weissrussland und Grossbritannien ist der Viertelfinal erreicht.
Noch nie hat ein so talentiertes Schweizer Team bei einer WM so klar verloren. Aber die spielerischen und taktischen Voraussetzungen für eine Reaktion sind gegeben. Ein Sieg am Donnerstag gegen die Slowakei (15.15 Uhr) wäre also nur logisch. Und eine Niederlage eine Überraschung.
Zwei Punkte sind für den weiteren Turnierverlauf entscheidend: erstens eine bessere Torhüterleistung. Leonardo Genoni ist nach der Auswechslung gegen Schweden keineswegs aus dem Spiel. Er ist ein «Comeback-Goalie»: mental so robust, dass er einen verunglückten Abend wegzustecken vermag. Er kann im Laufe des Turniers nach wie vor ein WM-Held werden.
Zweitens die Rolle des Nationaltrainers. Der Umgang mit solchen Rückschlägen wie diesem 0:7 erfordert für den Leitwolf der WM-Delegation viel Gespür. Patrick Fischer ist ein Mann für solche heiklen Situationen. Wenn einer das Selbstvertrauen wieder aufzurichten vermag, dann er.
Die Chancen für eine starke Reaktion stehen also gut. Nach wie vor können wir sagen: dem WM-Titel so nah und doch so fern.
Aber dieses 0:7 ist mehr als eine Momentaufnahme. Dieser Untergang gegen Schweden gibt über diese WM hinaus Anlass zur Sorge. Leonardo Genoni ist 33, Reto Berra 34. Nach wie vor sind die beiden in der nationalen Hierarchie die Nummer 1 und 2.
Unsere Hockey-Kultur wird seit bald 100 Jahren geprägt von grossen Torhütern. Wir wissen aus unserer Geschichte nicht, was ein Torhüterproblem bei einer WM bedeutet. Von Albert Künzler über Hans Bänninger, Gérald Rigolet, Olivier Anken, Reto Pavoni, Martin Gerber, David Aebischer, Jonas Hiller bis Reto Berra oder Leonardo Genoni: Unsere Geschichte auf der wichtigsten Position ist so lang und ruhmreich wie die aller grossen Nationen.
Es ist kein Zufall, dass lange vor den Feldspielern unsere Goalies die NHL erobert und den Stanley Cup gewonnen haben.
Wer kommt nach Genoni und Berra? Das ist die Frage nach dem 0:7. Ohne Torhüter von Weltformat haben wir bei einer WM keine Chance. So gesehen war das 0:7 gegen Schweden ein warnender Hinweis. Das bange Warten auf den nächsten Leonardo Genoni hat begonnen.