Momentan läuft in Gabun der Afrika-Cup, das afrikanische Pendant zur Europameisterschaft. Reto Fehr, Reporter bei «Watson», ist vor Ort und berichtet, weshalb das Turnier in Zeiten von diversen (sich anbahnenden) Revolutionen im Fussball trotzdem Prestige ist.
Fussballromantiker und Abenteurer haben es im Jahr 2017 nicht leicht. Auf internationaler Ebene fällt eine Bastion nach der anderen. Die Champions League wird reformiert, die WM und EM aufgeblasen und am Sport selbst mit neuen (Attraktivitäts-)Vorschlägen, wie denjenigen von Marco van Basten, herumgebastelt.
Zum Glück gibt es da noch den Afrika-Cup. Aktuell befinden sich die Gruppenspiele in Gabun in der entscheidenden Phase. Der Fussball wirkt noch näher beim Volk. Eintrittspreise beginnen ab 80 Rappen für zwei Spiele. Das Niveau ist gegenüber der letzten Austragung zwar nicht gestiegen und die ganz grossen Stars fehlen.
Reto Fehr besucht für watson seinen dritten Afrika-Cup. Nachdem mit der Einreise alles geklappt hat, ist klar: Es wird in den nächsten drei Wochen in unregelmässigen Abständen Berichte aus Gabun geben. Dabei soll der Fussball nicht immer im Vordergrund stehen. Hier geht es zur gesamten Story-Sammlung aus Gabun.
Doch statt Taktikgeplänkel gibts meist offensives Tohuwabohu. Die berüchtigte afrikanische Härte sorgt für Würze und die Fans für Farbtupfer; Titelchancen rechnen sich fast die Hälfte der Mannschaften aus und kein Team ist vor Überraschungen gefeit.
Überraschungen erleben auch die Besucher. Die Reise zur Kontinentalmeisterschaft wird zum Abenteuer. Aus Informationsmangel war praktisch nichts planbar, die Tourismus-Infrastruktur steckt in den Kinderschuhen und man hört diverse Geschichten, wie etwas funktioniert oder eben nicht.
Bei der Anreise von der Hauptstadt Libreville nach Oyem reichen die Angaben etwa von: «Da fährt täglich ein Bus in neun Stunden hin» bis «absolut unmöglich auf dem Landweg». Über Umwege erfährt man, dass Journalisten gratis an die Spielorte geflogen werden. Details zum Flugprogamm und die Platzbestätigung gibt es am Abend des Vortages. Eineinhalb Stunden vor Abflug beim Check-in heisst es dann: «Leider mussten wir Verbandsoffizielle auf den Flug umbuchen – du darfst nicht mehr mit.»
Auch auf der Strasse macht man diverse spezielle Erfahrungen: Im Taxi auf dem Weg zu einem Spiel geht das Benzin aus, der (Medien-)Busfahrer lässt die Journalisten auf der Heimfahrt vom Stadion 300 Meter nach Abfahrt auf einem Parkplatz wieder raus und beim Sammeltaxi nach Lambaréné ist der Zündmechanismus des Motors kaputt.
Weil auch die Handbremse nicht mehr betriebstauglich ist, muss der Fahrer seinen Wagen darum vorne mühsam direkt am Motor starten. Das führt dann bei zwei Zwischenstopps in leichter Steigung dazu, dass jeweils Passanten oder Mitfahrer erst einen Stein für die Blockade eines Rads finden müssen, damit das Auto im Leergang bei laufendem Motor nicht davonrollt. Weil eben: Starten geht ja nur von ausserhalb des Gefährts. Aber worauf hier alle bestehen: Anschnallen – auch wenn die Gurten oft nur ausgefranste Restbänder sind.
Kurz: Ausser, dass das Runde ins Eckige muss, erinnert praktisch nichts – weder auf noch neben dem Platz – an die Hochglanzwettbewerbe in Europa. Nur das mit den austauschbaren Stadien, das hat hier auch Einzug erhalten. In den beiden abgelegenen Spielorten Port-Gentil und Oyem stellten Chinesen innert Rekordzeit Stadien hin, welche die Schwestern derjenigen in St. Gallen oder Luzern sein könnten.
Wobei: Im Dschungelnest Oyem reichte die Zeit nicht ganz. Geht man beispielsweise durch eine mit WC beschriftete Tür, landet man in einem leeren Raum. Die beiden 20 000-Zuschauer-Arenen dürften nach den je vier Afrika-Cup-Partien vor Ort zu sogenannten weissen Elefanten verkommen – Betonklötze, die ungenutzt vor sich hin modern. Denn die lokalen Vereine locken normalerweise keine 1000 Zuschauer an, das Niveau ist unter demjenigen der Schweizer Promotion League. Und die Betriebskosten kann eh niemand bezahlen.
Aber eben: Der Afrika-Cup ist auch Prestige. Und das braucht der angezählte Präsident Ali Bongo (Sohn des Vorgängers Omar, der 42 Jahre lang im Amt war, als er 2009 starb). So liess Bongo Lionel Messi zur Grundsteinlegung in Port-Gentil einfliegen.
Bonne action ou coup de com' pour Ali #Bongo? #Gabon #Messi pic.twitter.com/b9ZNwCCDUn
— KnPamouss (@knpamouss) 19. Juli 2015
Er sagt: Da floss kein Geld. Beobachter glauben: Der Argentinier habe Millionen für den Auftritt erhalten. Geld, das in Gabun an anderen Stellen bitter nötig wäre. Das durch Öl zu Reichtum gekommene Land geht seit 2014 und dem Fall der Ölpreise durch eine schwere Krise. Die Zukunft ist höchst ungewiss.
Lionel Messi soll für die Grundsteinlegung eines neuen Stadions in Port-Gentil in Gabun angeblich 3,5 Millionen Euro kassiert haben! #1
— NoTengoNombre (@7heSentinel) 22. Juli 2015
Das Geld für die Stadien hätte die Bevölkerung lieber als Investitionen für Schulen, Spitäler und Infrastruktur ausgegeben, als damit Verwandte der Weisse-Elefanten-Kolonien in Brasilien und Südafrika zu schaffen.
So ist es einmal mehr wie so oft in Afrika: Nichts scheint zu funktionieren, aber am Ende klappt doch alles irgendwie. Man liebt oder hasst es. Das Erlebnis ist auf jeden Fall grossartig und sehr empfehlenswert. Der ehemalige YB-Trainer Gernot Rohr, heute als Experte beim französischen TV tätig, sagt auch darum: «Der Afrika-Cup ist der letzte Anlass für Fussball-Romantiker.»