Startseite
Sport
Sport (AZ, BT)
Mit Sabine Eichenberger feiert ein Monument des Aargauer Sports ihren Abschied vom Wettkampfsport. In ihrem letzten Einzelrennen gab sie nochmals Vollgas, musste am Schluss aber mit dem fünften Rang zufrieden sein. Heute Freitag kämpft sie im Team noch ein letztes Mal um eine WM-Medaille.
Das Jurymitglied der Weltmeisterschaft ermahnt sie bereits: «Sabine, du musst rauskommen. Das Boot sollte noch kontrolliert werden», ruft er in Richtung Athletin. Doch das tosende Wasser der Muota schluckt seine Worte.
Sabine Eichenberger lässt sich nicht stressen. Betont lange bleibt sie hinter der Ziellinie der 4,4 km langen Wildwasser-Abfahrt auf dem Fluss. Sie schaut ihren Gegnerinnen zu, verschnauft, lässt ihr Rennen Revue passieren, vielleicht sogar die gesamte Karriere. Es sind beinahe schon intime Momente.
Im Blickfeld der Zuschauer zwar, und doch unerreichbar für all jene, die am Ufer sehnlichst auf sie warten. Alle sind sie gekommen zum letzten Auftritt dieser grossen Aargauer Sportlerin. Ihr Bruder, der Sabines Mutter im Rollstuhl bis ganz dicht hinunter zur Muota pilotiert. Das Fernsehen, dessen Kameramann sogar nasse Füsse kriegt bei der Jagd nach der besten Nahaufnahme.
Kolleginnen und Kollegen vom Kanuclub Brugg, die ihr beide Daumen drücken. Eine Delegation im gelben Einheits-Shirt aus Riniken, wo Eichenberger seit Jahren als Finanzverwalterin arbeitet, angeführt von Gemeindeammann Ueli Müller. Sabine Eichenberger wird bis zur Erschöpfung geherzt. Denn wer kennt sie hier nicht?
Während die 49-jährige Bruggerin unter der imposanten Holzbrücke im Talkessel des Muotatals immer wieder erklärt, dass sie Mühe hatte, ins Rennen zu finden, das Boot nicht zum Laufen brachte und im ersten Teil entscheidend Zeit verloren habe, kommen die ersten Fahrer des Senioren-Rennens ins Ziel. Selbst sie praktisch ausnahmslos jünger als Eichenberger.
Sabine Eichenberger ist eine Kanu-Legende. Vor einem Jahr holte sie als älteste Schweizer Sportlerin quer durch alle Sportarten einen EM-Titel. «Und eine Europameisterin sollte sich an der WM eine Medaille zum Ziel setzen», sagt die Bruggerin. Der fünfte Schlussrang ist deshalb im ersten Augenblick eine Enttäuschung. «Wenigstens nicht Vierte», sagt Eichenberger.
Zehnmal landete sie an einer WM auf diesem undankbaren Platz. Jetzt verliert sie 37 Sekunden auf Weltmeisterin Martins Satkova aus Tschechien, aber nur acht Sekunden auf den Bronzeplatz von Maren Lutz. Als die Deutsche auf die Welt kam, bestritt Sabine Eichenberger soeben ihren ersten internationalen Wettkampf.
Keine andere Athletin hatte es gestern so streng wie Eichenberger. Die Gratulationen für ihre einzigartige Karriere gab es à discrétion. Sie wird in Gedanken noch im Schlaf die letzten Hände schütteln. Untergebracht ist Sabine Eichenberger übrigens ganz zuhinterst im Muotatal. Im Gasthaus Hölloch unmittelbar vor der gleichnamigen Höhle und direkt ans Wasser gebaut.
Bis zum WM-Start sind es nur ein paar Steinwürfe. Sabine Eichenberger hat für ihren Rücktritt quasi die letzte Ausfahrt vor dem Hölloch gewählt.
Zum Abschied baten wir Sabine Eichenberger um spontane Antworten auf einige passende Stichworte:
Emotionen: «Die sind nach einem Rennen immer vorhanden. Heute ist im ersten Moment Enttäuschung spürbar. Aber ich wusste, dass es fürs Podest perfekt aufgehen musste. Ich denke, es wird auch für mich bald ein versöhnlicher Abschluss der Karriere sein.».
Dankbarkeit: «Ich bin vor allem jenen Personen dankbar, die mich während der letzten 30 Jahre stets unterstützt haben. Das ist nicht selbstverständlich. Auch mein allererster Nationaltrainer ist hierhergekommen. Das hat mich besonders gefreut.»
Medaillen: «Das wäre das letzte Ziel meiner Karriere gewesen. Leider hat es nicht ganz gereicht. Ich bin den ersten Teil der Strecke wirklich nicht gut gefahren, deshalb geht dieser fünfte Rang in Ordnung.»
Alter: (lacht) «Ich habe das Alter in den letzten Jahren im Sport gespürt. Vor allem auf dem Wildwasser wird es immer schwieriger für mich. Es gibt viele Details, die nicht mehr so selbstverständlich funktionieren wie früher. Bei meinen letzten Erfolgen profitierte ich davon, dass die Strecken nicht allzu schwierig waren. Aber hier auf der Muota, wo es von A bis Z Wellen drinhat, reicht es dann halt nicht mehr, um die Jungen herauszufordern.»
Olympische Spiele: «Schon lange her, aber meine Erinnerungen daran lassen mich glauben, dass es erst vor kurzem stattfand. Es ist ganz klar der schönste und grösste Erfolg, den ich hatte.»
Wasser: «Mein Element. Ich bin an der Aare aufgewachsen, Wasser hat mich mein Leben lang fasziniert. Und das wird sich nicht ändern.»
Zukunft: «Ich habe mich ganz auf diese Weltmeisterschaften konzentriert. Deshalb bestehen noch überhaupt keine Pläne für die Zeit nach meiner Karriere. Darum kümmere ich mich ab nächster Woche. Ich weiss aber, dass es mir sicher nicht langweilig wird.»
Rücktritt: «Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt stellt man sich so oft im Leben. Ich hatte ihn diesmal ganz klar vor Augen. Es ist ein Entscheid, der über längere Zeit gereift ist. Ich habe zuvor schon mehrmals gesagt, dass ich aufhören werde. Diesmal stimmt es für mich. Mit einer Heim-WM aufzuhören, ist nach 30 Jahren ein perfekter Abschluss.»
Trainerin: «Momentan steht das für mich nicht zur Diskussion. Ich möchte zuerst ein wenig runterfahren und andere Sachen in den Fokus rücken. Dinge, die ich lange vor mich hingeschoben habe. Vielleicht wird es eines Tages ein Thema, ein Plan ist es aber definitiv nicht.»
Selbst wenn der Fokus von Sabine Eichenberger bei ihrem letzten Wettkampf ganz klar auf dem gestrigen Rennen über die klassische Distanz im Canadier lag, ist ihre Karriere und damit auch ihr Medaillentraum noch nicht vollends vorbei.
Heute Freitag steht das Teamrennen mit dem Kajak auf dem Programm. Das Schweizer Trio zählt zu den Medaillenanwärtern. 2012 gab es für die Bruggerin mit der Mannschaft letztmals WM-Bronze. Auch diesmal ist die Ausgangslage vielversprechend.
Deshalb hatte es Sabine Eichenberger gestern nach dem Rennen und der ausgedehnten Gratulationstour auf einmal eilig. «Ich muss noch ein Training absolvieren. Ich sass schon seit zwei Wochen nicht mehr im Kajak.» Für Sabine Eichenberger auch nach 30 Jahren im Kanu-Sport noch immer eine halbe Ewigkeit.