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Wer schiesst anstelle von Shkelzen Gashi die Tore? Die Hoffnungen des FC Aarau ruhen auf Filip Stojilkovic. Der 20-Jährige hat bereits den vierten Klubwechsel hinter sich. Auswärts gegen Neuchatel Xamax will er den FC Aarau wie eine Woche zuvor gegen Winterthur zum Sieg schiessen (20 Uhr im AZ-Liveticker).
Bis ins Frühjahr 2021, vielleicht sogar länger, wird der erkrankte Shkelzen Gashi dem FC Aarau fehlen. Wer soll den Verlust des sechsfachen Torschützen auffangen? Die Antwort kann nur lauten: Filip Stojilkovic. Wer ist der junge Mann, der zu seiner Rolle als Gashi-Ersatz sagt: «Was mit Gashi passiert ist, bedauere ich sehr. Doch für mich ändert sich gar nichts. Ich bin von Anfang an zum FC Aarau gekommen, um der Mannschaft mit Toren zu helfen.»
Wir treffen den 20-Jährigen nach dem Mittwochstraining. Auf die in diesen Jahreszeiten rhetorische Frage, ob wir für das Gespräch reingehen, entgegnet er: «Lass uns draussen reden. Drinnen ist es viel zu warm.» Na gut, setzen wir uns also an einen Bartisch hinter der Brügglifeld-Haupttribüne, wo Stojilkovic, in Adiletten, kurzen Hosen und dünnem Pullover seine Geschichte bis dato erzählt. 15 Minuten reichen ihm dafür. Kurz, knapp – aber entwaffnend ehrlich.
Ein richtiger «Züri-Bueb» sei er, zuerst ohne genau sagen zu können, was einen solchen ausmache. «Doch», fügt er dann an, «mein Selbstvertrauen habe ich von der Kindheit im Kreis 4.» Als er fünf Jahre alt ist, schreiben ihn die Eltern bei den «Letzikids» ein, bei den Kleinsten der Kleinsten des FC Zürich. Er habe den Ball gut abdecken können und im Probetraining viele Tore erzielt, darum wohl habe er bleiben dürfen. Auch sein Bruder und seine Schwester waren beim FCZ, mussten ihre Profiambitionen jedoch begraben. Anders Filip, der erzählt, wie er problemlos alle Altersstufen übersprungen habe. «Für mich gab es nur Fussball, Fussball, Fussball. Mit etwa 15 rieten mir meine Lehrer zu einer Berufsausbildung. Ich habe nicht auf sie gehört, für mich war immer klar, dass ich Profi werde.»
Vielleicht hatten die Lehrer frühzeitig Signale von seinen Trainern erhalten. Denn in der U21 war er plötzlich nur noch Reservist. Als Zürcher vom Stadtklub aussortiert zu werden, das habe geschmerzt. Aber nur kurz, das Ziel habe er nicht in Gefahr gesehen: «Ich wusste, woanders geht eine Türe auf.»
Genua, Wolfsburg, Freiburg oder Hoffenheim – tatsächlich liegen im Sommer 2018 vier Angebote auf dem Tisch. Er wählt Hoffenheim, weil es der Klub mit dem modernsten Ruf sei. Und weil der Trainer der Profis dort Julian Nagelsmann heisst. Stojilkovic schwärmt von den Begegnungen mit dem heutigen Leipzig-Coach und Aushängeschild der jungen Trainergilde: «In den Länderspielpausen durften wir Nachwuchsspieler zu den Profis. Er hat jeden von uns im Detail gekannt, obwohl er als Bundesliga-Trainer so viel zu tun hatte.» Stojilkovic macht in 27 Spielen mit der U19 elf Tore, in der Champions League der Junioren trifft er gegen Manchester City und Real Madrid. Hoffenheim hat viel vor mit ihm, bietet ihm Ende Saison einen Platz in der U23 an, er wäre im Vorzimmer Bundesliga. Doch die Wege trennen sich.
Noch ein Jahr im Nachwuchs? Zu wenig für Stojilkovic. Er ist 19, strotzt vor Selbstvertrauen. Ab sofort sollen es die Profis sein, aber nicht irgendeine Mannschaft, ein Angebot aus der 2. Bundesliga schlägt er aus. Der Klub hätte wohl gegen den Abstieg gespielt, das sei nichts für ihn. Ohne Vertrag geht er in die Ferien.
Dann ruft der FC Wil an. Stojilkovic sagt nicht ab, aber auch noch nicht zu, weil er bis Ende Sommer auf Anrufe anderer Klubs wartet. Diese bleiben aus, also unterschreibt er doch in der Ostschweiz. Challenge League statt 2. Bundesliga.
Nein, er glaube nicht, sich damals überschätzt zu haben: «Ich wollte in eine Profimannschaft. Aber in eine, die gepflegten Offensivfussball spielt.» Zudem hätten ihn die Gespräche mit dem damaligen Wil-Trainer Ciriaco Sforza begeistert. «Er hat dann auch wirklich gehalten, was er mir versprochen hat. Es war nur ein halbes Jahr, aber von keinem Trainer habe ich so viel gelernt wie von Sforza.»
Schon im Januar 2020 zieht Stojilkovic weiter, ins Wallis, FC Sion. Der Ruf des Geldes? Stojilkovic grinst – auch eine Antwort. Aber es war auch der chronisch klamme FC Wil, der auf den Transfer drängte. Andere Interessenten wollten Stojilkovic erst im Sommer, Sion war bereit, die von Wil geforderte Million auf den Tisch zu legen.
Mit nur drei Startelfeinsätzen in 20 Spielen war der Wechsel sportlich ein Reinfall. Stojilkovic diplomatisch: «Sion ist ein toller Klub, aber besser geeignet für ältere Spieler.» Wenigstens sei Fabio Grosso, seit Sommer Trainer im Wallis, ehrlich gewesen und habe ihm wegen der Konkurrenz zu einer Ausleihe geraten.
Das war im September, die Zeit, in der der FC Aarau Yvan Alounga nach Luzern verkauft und danach einen Mittelstürmer sucht. Trainer Stephan Keller ruft im September Stojilkovic an – und dieser ist sofort Feuer und Flamme. Nach zwei Monaten und zwei siegbringenden Toren für den FC Aarau, sagt er: «Ich hätte auch in die Super League gehen können, aber Sion-Präsident Constantin wollte mich nicht zu einem Konkurrenten ausleihen. Abgesehen davon spielt Aarau attraktiver und offensiver als die Hälfte der Super-League-Teams.»
Null Punkte vs. vier Punkte: Die Bilanz aus den vergangenen vier Ligaspielen spricht vor dem heutigen Aufeinandertreffen zwischen Xamax und Aarau für die Gäste. Doch aufgepasst: Der FCA muss in Neuenburg auf seine zentrale Figur Olivier Jäckle verzichten. Der Stratege im System von Trainer Stephan Keller ist nach seiner Gelb-Roten Karte gegen Winterthur gesperrt. Ebenfalls nicht zur Verfügung steht Linksverteidiger Bryan Verboom: Den Belgier plagen seit geraumer Zeit muskuläre Probleme, er wird in diesem Jahr wohl nicht mehr spielen. Fraglich ist der Einsatz von Innenverteidiger Jérôme Thiesson, der am Mittwoch und Donnerstag nicht trainieren konnte. (wen)
Zu einer Rückkehr nach Sion wird es kaum kommen. Einerseits lassen Stojilkovics Worte dies erahnen: Im nächsten Sommer, nach der EM mit der Schweizer U21, hoffe er auf «gute Offerten, ich möchte eine Auswahl haben. Ich träume von Deutschland oder Italien.» Kürzlich habe ihn ein Verantwortlicher von Ex-Klub Hoffenheim wissen lassen, dass er sich seit dem Abgang aus Deutschland gut entwickelt habe.
Auch der FC Sion scheint trotz Vertrag bis 2023 nicht mehr von einer gemeinsamen Zukunft mit Stojilkovic auszugehen: So überweist Constantin nicht wie bei einer Ausleihe üblich einen Teil oder den gesamten Lohn weiter an den Spieler, sondern hat die Zahlungen eingestellt. Und Stojilkovic musste mit Aarau seinen Lohn bis Ende dieser Saison aushandeln.
Weniger Geld gegen Spielpraxis – ein guter Deal? «Ich habe begriffen, dass Geld in meinem Alter nicht das Wichtigste ist. Ich muss viel und gut spielen, dann regelt sich der Rest von selbst.» Und noch etwas habe er gelernt durch den Wechsel nach Sion: «Nur wer sich wohl fühlt im Klub und in der Mannschaft, ist zu Höchstleistungen fähig.»