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Sport (AZ, BT)
An der Schweizer Meisterschaft im Haidong Gumdo geht es um weitaus mehr als sportlich überzeugende Resultate. Die Kampfkunst steckt voller Traditionen und Rituale, die am Wettkampfwochenende in Widen ausgiebig zelebriert werden.
Mit viel Gebrüll stürzt sich ein grimmig dreinblickender Mann auf einen blonden Jungen. Sein Schwert schwebt gefährlich über dem Kopf des Kleinen, der keine Miene verzieht. Geschickt befördert er sich stattdessen aus der Gefahrenzone. Jeder Schritt ist genau gesetzt, jede Bewegung wohl überlegt.
Amüsiert beobachten die Zuschauer den ungleichen Zweikampf. Denn was gefährlich aussieht, entpuppt sich als harmloses Spektakel. Die Schwerter der beiden sind gepolstert, an der Schweizer Meisterschaft im Haidong Gumdo soll keiner zu Schaden kommen.
Bei dem Duo handelt es sich um Philipp Wenk und seinen elfjährigen Sohn Louis aus Wohlen. «Der Showkampf lief gut, das hat richtig Spass gemacht», sagt er über die Darbietung. Auch den Wettkampftag geniesst er: «Es ist sehr gut durchgeplant, auch was die Kinder betrifft. Als Vater macht das Freude.»
Obwohl das Programm mit Formenlauf, Papier-Präzisionsschnitt, Kerzenlöschen, Ball-Wurfschnitt und Zweikampf straff ist, taucht nie Chaos auf. Insgesamt 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wohnen der Meisterschaft bei. Speziell ist dabei, dass längst nicht alle aus der Schweiz kommen. Was in anderen Sportarten undenkbar ist, hat hier Tradition. Selbst die Jurorenposten werden so besetzt.
«Es geht darum, einen internationalen Austausch zu haben. Es ist eine grosse Familie, man kennt sich und trifft sich immer wieder», sagt Master Ralf Sommerfeld, OK-Präsident. Die Gäste besetzen nahezu die Hälfte des Teilnehmerfeldes. Einer davon ist Niccolò Tarlini aus Florenz (ITA). Der 29-Jährige war schon bei der ersten Meisterschaft mit dabei.
«Wir sind gut mit der Schweizer Mannschaft befreundet. Wann immer wir Zeit haben, nehmen wir hier teil. Auch die Schweizer besuchen uns in Italien. Wir sind wie eine Familie», sagt er.
Immer wieder fällt das Wort «Familie». Eine leere Floskel ist es trotzdem nicht. Respekt wird bei der aus Korea stammenden Sportart grossgeschrieben. Verbeugungen bei der Begrüssung, tosender Applaus und Juroren, die auch mal zu Spässen aufgelegt sind – in dieser Sportart geht es um weitaus mehr, als nur um die Beherrschung des Schwertes. Die Kunst in der Kampfkunst ist spürbar.
Vor allem die Showeinlage am Nachmittag, an der auch Headmaster Lee teilnimmt, vermag zu begeistern. Wie familienorientiert das Ganze ist, zeigt sich stattdessen im erstmals in diesem Jahr durchgeführten Familienwettkampf im Papierschneiden. Dort treten erfahrene Wettkämpfer mit einem Laien ihrer Wahl an.
Das führt teilweise zu kuriosen Szenen. Während ein etwas gar übermotivierter Vater gleich das ganze Blatt wegfegt, setzt sein Sohn einen sauberen Schnitt. Applaus bekommen trotzdem beide. Dass Familie ein loser Begriff ist, zeigen hingegen Sanja Milosavljevic und Maya Huber. Weil der Begleiter von Milosavljevic absagen musste, springt Huber kurzerhand als Zuschauerin ein.
«Ich fand das Ganze spannend und dachte mir: Das muss man mal erlebt haben», sagt die aus Berg-Dietikon stammende Huber. Auch wenn sie mit ihrer Leistung nicht ganz zufrieden ist, schwärmt sie vom tollen Erlebnis, das sie gerne wiederholen möchte. Selbst wenn in dieser Kategorie keine Medaille drin liegt, ist auch die aus Zürich-Oerlikon stammende Milosavljevic zufrieden.
«Die Stimmung ist entspannt, die Leute sind sehr freundlich und super organisiert», sagt sie über ihre erste Schweizer Meisterschaft. Mit dieser Meinung ist sie nicht alleine, von allen Seiten ist nur Lob zu hören. Die intensive Vorbereitung hat sich also gelohnt.
Am Ende des Tages packen noch einmal alle kräftig mit an, damit in der Halle genügend Platz für die Medaillenübergabe ist. Für diese wird auch die langsam aufkeimende Müdigkeit beiseitegeschoben. Milosavljevic und Tarlini dürfen sich gleich über mehrere Medaillen freuen, in neun Kategorien können Schüler der Wohler Schule Cheong und der durch Sommerfeld geleiteten Schule Shim Sang aus Dietikon überzeugen.
Nicht nur deswegen ist Ralf Sommerfeld zufrieden: «Bei Haidong Gumdo geht es nicht nur darum, sportlich zu brillieren, sondern auch um Respekt und Brüderlichkeit. Das war den ganzen Tag über spürbar.» So herrscht auch bei Philipp Wenk, der leer ausgeht, keine Wehmut. Mit der Goldmedaille seines Sohnes hat er trotzdem ein Highlight.«Ich habe im Papierschneiden nicht überzeugt, dafür hat mein Sohn das brillant gemacht», sagt er lachend.