Startseite
Sport
Sport (AZ, BT)
Der Aargauer Sportminister Alex Hürzeler interviewt den Aargauer Radrennfahrer Silvan Dillier. Dieser erklärt, warum er zwar ein Fan von Maurice Green war, aber trotzdem kein Sprinter wurde, und wie er seine Rolle im Profi-Team von BMC sieht.
Lieber Silvan, zuerst herzliche Gratulation zum jüngsten Erfolg an den Sixday Nights in Zürich. Wir sitzen hier auf der Tribüne des Brügglifelds. Verfolgen Sie den Fussball, sind Sie allenfalls sogar Fan des FC Aarau?
Silvan Dillier: Ich freue mich natürlich, wenn ich von Erfolgen des FC Aarau vernehme. Aber ich muss zugeben, ich sitze heute erstmals in meinem Leben in einem Fussballstadion. Ich verfolge die Sportart nicht aktiv.
Welche Sportarten neben dem Velofahren interessieren Sie oder wären vielleicht sogar eine Alternative zum nun gewählten Karriereweg gewesen?
Ich war als Kind grosser Fan des Sprinters Maurice Greene. Ich wollte auch so schnell sein wie er und wählte im Schulsport die Sportart Leichtathletik, kam aber nie in einen Verein. Daneben spielte ich in Schneisingen zum Plausch und zum Ausgleich lange Unihockey mit Kollegen, aber ohne grosse Ambitionen und ohne Lizenz. Welche sportlichen Aktivitäten verfolgen Sie? Ist Velofahren auch ein Thema?
Ich bin vor allem der Vereinssportler. Leider lässt das Amt des Regierungsrates nur noch wenige sportliche Aktivitäten zu. Ich spiele im Turnverein Oeschgen mit Kollegen Faustball. Früher war ich aktiver Turner, spielte Handball und betrieb Leichtathletik. Mit den Kollegen unternahm ich auch Velotouren über so manche Jurahöhe. Ich war aber nie der typische Einzelsportler. Es fehlte mir der Ehrgeiz und die Trainingsmotivation, um es in einer Einzeldisziplin weit zu bringen. Wie wurde Ihre Karriere lanciert?
Angefangen hat es mit den kleinen Velorennen am Eierlesen in Schneisingen. Vor rund zehn Jahren organisierte der Veloclub dann ein Probetraining und ich nahm mit dem alten Rennvelo meines Vaters, das im Keller stand, daran teil. Alle anderen hatten moderne Velos ohne Schutzblech, da musste ich dieses auch abmontieren und ging fortan jede Woche in die Trainings. Die ersten Wettkämpfe waren Quer-Rennen im Winter.
Sie blicken auf die erfolgreichste Saison der Karriere zurück. Nun folgt als nächster Schritt das Profitum beim BMC-Team. Welche Erwartungen haben Sie für die kommende Saison?
Ich werde sicher Rennen haben, in denen es meine Aufgabe sein wird, den Teamleadern zu helfen. Die Teamleitung sieht aber auch mein Potenzial und will mir die Chance geben, auf meine Rechnung zu fahren und selber Rennen zu gewinnen. Ich erhalte bei BMC Freiheiten, auch um meinen Siegerinstinkt beizubehalten.
Wo sehen Sie Ihre Stärken? Sind Sie ein Sprintertyp?
Ich bin ein Allrounder, ich kann alles ein wenig, aber nichts richtig (lacht).
Das gäbe dann einen Spezialisten für Rundfahrten?
Es gibt verschiedene Rundfahrten – solche, an denen am Schluss die Bergfahrer die besten Karten haben, oder solche, die auf Sprinter ausgerichtet sind. Man muss nicht unbedingt ein Allrounder sein, um Rundfahrten zu gewinnen.
Wo liegen Ihre privaten und beruflichen Stärken? Was wäre aus Silvan Dillier geworden, hätte er nicht auf den Profisport gesetzt?
Ich habe eine abgeschlossene KV-Lehre mit Berufsmatur ...
... da haben wir eine Gemeinsamkeit. Ich habe auch den KV-Abschluss. Ich habe die Lehre auf einer Bank gemacht, wo haben Sie das KV gemacht?
Ich habe das KV bei Bucher-Guyer im Fahrzeug- und Maschinenbau gemacht. Der Arbeitgeber hat mir ermöglicht, parallel zur Lehre im Leistungssport zu bleiben. Zu meinen Stärken würde meine Mutter wohl sagen, ich habe einen sturen Kopf. Wenn ich mir etwas vornehme, dann will ich es durchziehen. Diese Zielstrebigkeit hat mir im Sport viel gebracht, und auch dabei, eine Lehre mit Berufsmatur abzuschliessen. In der Schweiz ist eine abgeschlossene Ausbildung wichtig. So kann man sich voll auf den Sport konzentrieren und hat im Hintergrund eine Möglichkeit, wenn es mit der Karriere nicht klappen sollte.
Hätten Sie sich als Nachwuchssportler vom Kanton Aargau mehr Unterstützung erhofft?
Wenn man als junger Sportler noch keinen Namen hat, dann sind es zumeist die Eltern, welche die Karriere finanzieren. Sie boten mir die Möglichkeit, auf den Sport zu setzen. Nach meiner Bronzemedaille an der Junioren-WM bekam ich von Swiss Olympic eine Talent Card. Dadurch erhielt ich auch Geld vom Kanton Aargau. Ich musste für 2000 Franken selber Sponsoren suchen und danach wurde dieser Betrag aus kantonalen Fördergeldern verdoppelt. So lernte ich letztlich, mein eigenes Sponsoren-Netzwerk aufzubauen und mir damit mein Leben zu finanzieren.
Sie haben unser Leistungssportkonzept angesprochen, mit dem wir Aargauer Teams aus den höchsten Ligen und Einzelsportler mit internationalen Erfolgen unterstützen. Mit dem neuen Profivertrag bei BMC können Sie nun aber gut vom Sport leben?
Ziel des Teams ist es, den Fahrern ein Leben zu bieten, sodass sich diese auf den Sport konzentrieren können. Ich kann mich jetzt ganz auf das Velofahren fokussieren und muss nicht noch finanziellen Mitteln hinterherrennen.
Was ist das grosse sportliche Ziel?
Es ist für mich derzeit nicht einfach zu sagen, wohin meine Karriere führen wird. Vielleicht entwickle ich mich zu einem Rundfahrtenspezialisten, vielleicht eher in Richtung Eintagesrennen. Ich muss für mich und zusammen mit dem Team in den nächsten ein, zwei Jahren herausfinden, wo meine wirklichen Stärken liegen. Schön ist immer, wenn man als Sportler Wettkämpfe gewinnen kann. Das ist mein Hauptziel. In welchen «Rennen» gibt es eigentlich für einen Regierungsrat taktische Manöver?
Politik hat durchaus wie Velofahren manchmal mit Taktik zu tun und es braucht auch eine Mannschaft, die mitarbeiten muss. Vor allem, wenn es um Gesetzesvorlagen und politische Botschaften geht. Man möchte ja mit einem politischen Geschäft in einer Volksabstimmung wie auch im Sport reüssieren. Da spielt Taktik vor dem Schlussspurt eine grosse Rolle. Der Sprint ist dann meist die Abstimmung. Und wie beim Velofahren weiss man nicht genau, wie es auf der Ziellinie aussehen wird. Oft entscheiden auch in der Politik wenige Zentimeter. Zurück zu Ihnen. Als Velofahrer ist die Verkehrssicherheit stets ein Thema. Haben Sie schon selbst schlimme Unfälle erfahren oder miterlebt?
(Nachdenklich) Vor einer Woche ist mit Felix Baur ein guter Kollege von mir nach einem Trainingsunfall in Spanien, bei dem er von einem Auto angefahren wurde und schwere Kopfverletzungen erlitt, gestorben. Es ist nun mal so, dass wir auf der Strasse zu den schwächsten Verkehrsteilnehmern gehören. Ich bin hier eher ein vorsichtiger Typ, gehe schon auf die Bremse, wenn ich in einer Ausfahrt schon nur ein Auto stehen sehe. Zum Glück musste ich selber noch nie so etwas Schlimmes miterleben.
Ich habe als Gast bei der Tour-de-Suisse-Etappe in Wettingen einen Massensturz auf der Zielgeraden miterlebt. Muss man im Sprint mit diesem Risiko einfach leben?
Man sagt den reinen Sprintern nach, dass sie den Kopf in diesen Momenten «abschalten» können und in Lücken hineinfahren, die es dort eigentlich gar nicht gibt. Ich bin hier wohl etwas vorsichtiger und vielleicht deshalb auch nicht so ein erfolgreicher Sprinter.
Wie beurteilen Sie Ihr derzeitiges Leben, das dem eines Nomaden gleicht?
Ich mache gerne Sachen, die mich körperlich fordern. Als Rennvelofahrer kann man fast täglich an seine Leistungsgrenze gehen. Zudem bin ich als Profi im Jahr mehr als 200 Tage unterwegs. Da ist es wichtig, dass Familie und Freunde dieses Leben unterstützen. Man kommt ja ab und zu zurück nach Hause und möchte dann nicht ganz allein auf dem Sofa sitzen. Aber auch das Team wird für einen Fahrer zu einer Familie. Man ist so oft miteinander unterwegs, da ist es wichtig, dass man sich versteht.
Ist man als Veloprofi eigentlich vor allem Team- oder Einzelsportler?
Es gibt meiner Meinung nach kaum einen grösseren Teamsport als den Strassenradsport. In keiner anderen Disziplin fährt ein ganzes Team für einen einzigen Fahrer. Und am Schluss holt sich nur dieser Fahrer den Erfolg. In den Medien gibt es dann nur den einen Namen.
Aufgezeichnet von Rainer Sommerhalder.