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Der TV Wettingen brilliert im Vereinswettkampf und wird trotzdem geschlagen. Am Sonntagmorgen bei der Siegerehrung sind die Aargauer Turnerinnen und Turner faire Verlierer. 0.02 Punkte fehlten zum Sieg.
Es tut weh. Auch am nächsten Morgen noch. «Und es wird noch ein paar Tage so bleiben», sagt Fabio Moser, Oberturner des TV Wettingen. 0,02 Punkte fehlten. Eigentlich nichts. Und eben doch alles. Der Eidgenössische Turnfestsieger heisst nicht Wettingen. Zum ersten Mal nach drei Siegen in Serie. Weil der TV Wangen 29,92 Punkte holte. «Das ist brutal», sagt Moser.
Und doch stehen sie alle da, morgens um 8.30 Uhr am Sonntag, nach einer Nacht mit wenig Schlaf. 52 Turnerinnen und Turner des TV Wettingen klatschen, als die neuen Könige des Vereinsturnens auf der Bühne am Bahnhof Aarau geehrt werden. Die Niederlage steckt ihnen in den Knochen, aber der Respekt gegenüber dem Gegner hält die müden Körper auf den Beinen.
Es waren harte Wochen. Zweimal in der Woche Training, optional ein drittes, dazu in den vergangenen zwei Monaten fast jedes Wochenende Zusatzeinheiten. Der TV Wettingen hatte eine Mission. Die Frage in der Turnszene war eigentlich nie, ob die Aargauer erneut gewinnen, sondern nur, ob es für die Maximalnote reicht. «Ich habe es so oft gehört: Ihr holt sowieso dreimal eine 10», sagt Moser. «Dabei geht vergessen, wie viel Arbeit dahinter steckt. Wie wenig es braucht und eine Übung gelingt nicht optimal.»
Die Erwartungshaltung, aber auch die eigenen Ansprüche, sorgten beim TV Wettingen für gewaltigen Druck. Zu viel? Die Frage war am Samstag schnell beantwortet. Mit einer Bodenübung zu Beginn des dreiteiligen Wettkampfs, die alle verzauberte: ob langjährige Beobachter der Turnszene, Kampfrichter oder Zuschauer. Und wäre die Note 10.00 nicht das Maximum – es gäbe wohl keine Grenze.
Simon Müller, bester Wettiger Turner im Einzelwettkampf vor einer Woche, sagt: «Das Niveau wird immer höher. Und wir müssen mithalten.» Fabio Moser sagt: «Wir müssen bereits im Nachwuchsbereich gut arbeiten. Es braucht ein sehr hohes Niveau, damit man hier eine gute Note turnen kann.» Von wegen nur Party. Im leistungsorientierten TV Wettingen überstrahlt der Wettkampf alles.
War die Bodenübung zum Auftakt die mentale und turnerische Meisterprüfung, so bestanden diese die Wettiger mit Auszeichnung. Es war ein Spektakel. Und um 16 Uhr am Samstag deutete wenig darauf hin, dass der Tag mit einer Enttäuschung enden würde. Besonders, als wenig später auch die Sprung-Vorführung das Publikum begeisterte und bei Moser den Einruck hinterliess, «dass das ebenfalls für eine 10 reichen sollte».
Die zweite 10 des Tages gab es dann aber für die Übung an den Schaukelringen. «Obwohl ich eher dort das Gefühl hatte, es sei nicht ganz optimal gewesen», sagt Moser. Bei den Sprüngen mit dem Minitrampolin beanstandeten die Kampfrichter die Einzelausführungen bei der Landung. Und das sehr streng, waren sich die Experten einig. «Die 9.90 war eine ziemliche Überraschung», sagt Moser. Im negativen Sinn. Doch so ist jeder Sport, der von Richtern gewertet wird. Garantien gibt es keine, bis die Note kommt. «Wenn man gewinnt, ist es einfacher, zu akzeptieren, dass bei uns gewertet wird, während in anderen Disziplinen messbare Werte bestimmen, ob es für die Maximalnote reicht», sagt Moser.
Der Wettiger Oberturner weiss, dass es die Diskussionen auch in die andere Richtung gibt. Zum Beispiel ist der BTV Aarau vor dem Eidgenössischen in Biel aus dem Schweizerischen Turnverband ausgetreten, weil Leichtathletik-Vereine mit messbaren Disziplinen benachteiligt würden. In Aarau gewann nun aber mit Wangen ein Verein, der zum Grossteil auf eben solche Sportarten setzt. «Man vergleicht im Vereinswettkampf so viele verschiedenen Sportarten. Es ist klar, dass es da immer zu diskutieren gibt», sagt Moser und stellt klar: «Wangen hat den Sieg verdient.»
Lange sah es aber trotzdem danach aus, als ob es für den vierten Wettiger Sieg in Folge reichen würde. Als die Aargauer um 18 Uhr ihren Wettkampf beendeten, fielen sie sich glücklich in die Arme. «Es war eine grosse Last, die in diesem Moment von uns abfiel», sagt Moser. «Wir haben einen guten Wettkampf gezeigt, mehr konnten wir nicht tun.»
Der TV Wangen war da noch Mitten im Wettkampf. Und so machte um kurz vor 21 Uhr plötzlich das Gerücht die Runde, dass die Schwyzer Turnfestsieger seien. Für die Wettiger stand die Welt Kopf. Und als die Bestätigung eintraf, dass sie entthront wurden, tat es vor allem weh. Das Gefühl wird noch etwas anhalten.