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Eigentlich wollte der Verwaltungsrat an seiner heutigen Sitzung vor dem Heimspiel gegen den FC Wil (20.30 Uhr im AZ-Liveticker) die Strategie der Zukunft beschliessen. Das wird er - doch nach dem 0:5-Desaster gegen GC wird in der Führungsriege auch über den Trainer diskutiert werden.
Es war im selben Monat des vergangenen Jahres, als Patrick Rahmen innert kurzer Zeit zwei Nackenschläge einstecken musste: Anfang Juni 2019 verspielte er mit dem FC Aarau im Barrage-Rückspiel gegen Xamax einen 4:0-Vorsprung und somit den sicher geglaubten Aufstieg in die Super League. Doch für Rahmen schien es dennoch eine Liga aufwärtszugehen, vom FC Basel bekam er einen unterschriftsreifen Vertrag vorgelegt. Als Basler Trainer beim FCB – was will man mehr? Doch auch dieser Traum platzte in letzter Sekunde. Worauf Rahmen zu Beginn der laufenden Saison versicherte, beide Rückschläge gut verkraftet zu haben und dass sie ihn nicht in seiner Arbeit hindern würden. Wirklich?
Klar, qualitativ und was die Siegermentalität betrifft, ist das heutige Kader weit entfernt von jenem der vergangenen Saison, was in erster Linie auf die Arbeit von Sportchef Sandro Burki zurückzuführen ist. Doch Spielanlage und Einstellung der Mannschaft sind Sache des Trainers. Und in diesen Punkten lässt der FC Aarau seit Beginn der Saison vieles zu wünschen übrig, Konstanz ist ein Fremdwort.
Dieser Eindruck wurde im ersten Spiel nach der 117-tägigen Coronapause untermauert: Statt befreit von den Vor-Corona-Problemen aufzuspielen, blieb Aarau beim 0:5 gegen GC alles schuldig. Kein Sinn für Abwehrarbeit, kein Plan im Aufbau und vor allem: Eine Körpersprache, die Fussballern, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, nicht würdig ist. Es spricht Bände, wenn nach dem Schlusspfiff mit dem 19-jährigen Goalie Nicholas Ammeter der drittjüngste Aarauer hinsteht und sich zu sagen traut: «Die beste Taktik der Welt bringt nichts, wenn die Mentalität nicht stimmt. In diesem Punkt müssen wir sehr, sehr viel ändern.» Die sogenannten Führungsspieler sassen während Ammeters Worten längst in der Kabine.
Der FC Aarau hat sich am vergangenen Freitagabend zur Lachnummer gemacht, vor den Augen der Schweizer Fussballnation, die nach der langen Pause gebannt vor dem TV sass. Kommt dazu: Die Art und Weise, wie sich die Aarauer von GC vorführen liessen, war ein Schlag in die Magengrube jener fast 2000 Fans, die in den vergangenen auf die anteilsmässige Rückerstattung ihres Saisonabonnements verzichteten und sogleich ein neues bestellten. Das Gleiche gilt für die in den Coronazeiten solidarische Sponsoren- und Gönnerschaft.
Andere Vereine greifen nach so einer Blamage zum einfachen Mittel und entlassen den Trainer. Zumal man die Blamage gegen GC nicht als Ausrutscher bezeichnen sollte, vielmehr hat sie sich nach den bisherigen Eindrücken von Qualität und Charakter der Mannschaft ein Stück weit abgezeichnet.
Die Verantwortlichen des FC Aarau halten in diesen Tagen an Patrick Rahmen fest, so, wie sie dies bereits im Krisenherbst 2018 getan haben und mit der Barrage-Qualifikation Recht bekamen. Doch wie damals ist nun der Punkt erreicht, an dem Rahmen liefern muss. Öffentlich spricht die Führung kein Ultimatum aus. An der heutigen Verwaltungsratssitzung vor dem Heimspiel gegen den FC Wil aber wird es gemäss AZ-Informationen kurzfristig ein Traktandum «Trainer» geben.
Hauptziel der Sitzung ist es, nach einer Präsentation von Sandro Burki die sportliche Strategie ab der kommenden Saison zu bestimmen und dem Sportchef ein Budget auf den Weg zu geben, mit dem er die neue Mannschaft zusammenstellen kann. Aber eben: Die Leistung im GC-Match war so erschreckend, dass von den Verwaltungsräten auch der kurzfristige Fahrplan besprochen wird für den Fall, dass es gegen Wil und am Freitag in Chiasso im ähnlichen Stil weitergehen sollte und der stolze FC Aarau endgültig sein Gesicht verliert. Die Mannschaft muss in diesen zwei Partien ein anderes, deutlich verbessertes Bild abgeben – ansonsten könnte es bereits Ende Woche zum Trainerwechsel kommen.
Marco Thaler, Shkelzen Gashi, Kevin Spadanuda und nun auch Nicolas Schindelholz: Ausgerechnet in Zeiten, in denen alle drei bis vier Tage ein Spiel stattfindet, gehen dem FCA die Spieler aus. Schindelholz plagen Achillessehen-Probleme, der Innenverteidiger fällt bis auf weiteres aus. Dafür kehrt gegen den Tabellennachbar FC Wil Olivier Jäckle nach seiner Sperre ins Kader und wohl auch in die Startelf zurück. (wen)
Rahmen würde der steile Abwärtstrend zum Verhängnis. Und auch statistisch gehen ihm langsam aber sicher die Argumente aus: nur sechs Siege nach 24 Spieltagen, 13 Punkte Rückstand auf das Minimalziel Rang vier. In den letzten 14 Partien nur zwei Siege, beide gegen Aufsteiger Stade Lausanne-Ouchy. Kein Heimsieg mehr seit dem 21. September 2019 (3:1 gegen Schaffhausen). 49 Gegentore in 24 Spielen, mehr als zwei pro Spiel. Statistische Werte eines Abstiegskandidaten, zu dem der FC Aarau dank des Saisonabbruchs der Amateurliga nicht mehr werden kann.
Die Schnelllebigkeit des Fussballs wird in diesen Tagen noch deutlicher werden als eh schon: Vergangene Woche war eine Entlassung von Patrick Rahmen noch kein Thema, nun, nach der GC-Schmach, geistert sie durchs Brügglifeld. Doch Rahmen kann die bösen Geister auch schnell wieder verscheuchen, indem er gegen Wil und Chiasso die Mannschaft taktisch und mental besser aufstellt als gegen GC, Mut zeigt für unpopuläre Personalentscheidungen und demzufolge ein FC Aarau auf dem Platz steht, der sich gegen Widerstände wehrt.
Für Rahmen geht es vorerst darum, seinen Job bis Ende Saison zu sichern. Die Frage, ob er auch in der nächsten Saison den FC Aarau trainieren wird, ist eine andere: Sie hängt von der Strategie ab, die heute von der Klubführung beschlossen wird. Die Tendenz geht in Richtung langfristiger Aufbau mit jungen Spielern und einem schlanken Gerüst aus erfahrenen Führungsspielern – passt Rahmen trotz Vertrag bis 2021 zu einer solchen Strategie? Als langjähriger Nachwuchstrainer beim FC Basel hat er bewiesen, Talente für den Sprung auf die grosse Bühne vorbereiten zu können. Und mit seiner Bundesliga-Erfahrung, Bodenständigkeit und Empathie ist er gemacht für den Umgang mit gemachten Profis.
Das soll heissen: Wer meint, der FC Aarau habe nur ein Trainerproblem, denkt viel zu kurz. Genauso «mitschuldig» an der Krise ist die Zusammenstellung des Kaders, in erster Linie verantwortet vom Sportchef. Darin tummeln sich klangvolle Namen mit ruhmreicher Vergangenheit, weshalb es schnell einmal heisst, wer einen Gashi, Neumayr, Affolter, Schneuwly, Thiesson und Zverotic in seinen Reihen hat, müsse in der Challenge League vorne mitspielen. Doch beim FC Aarau wird in dieser Saison deutlich, dass irgendwann jeder Star seinen Zenit überschritten hat und ohne die richtige Einstellung zum beruflichen Umfeld auch das beste Ballgefühl nichts bringt.
Um die verbleibenden zwölf Partien einigermassen versöhnlich über die Bühne zu bringen, ist man auf das vorhandene Personal angewiesen. Doch die Prognose ist nicht gewagt: Um mit Beginn der neuen Spielzeit wieder einen FC Aarau auf dem Platz zu haben, der Begeisterung versprüht, muss das Kader kräftig ausgemistet werden. Und mit frischen Kräften, die inspiriert ans Werk gehen, kämen auch die Qualitäten und der Fleiss von Patrick Rahmen wieder zur Geltung. Dies muss und wird in die Beurteilung einfliessen, wenn die Verantwortlichen heute die Trainerfrage diskutieren.