Radsport
In geregelten Bahnen Richtung Tokio: Aline Seitz und Michelle Andres wollen an der Bahn-EM überzeugen

Die beiden Aargauerinnen Aline Seitz und Michelle Andres kämpfen an der Bahn-Europameisterschaft in Apeldoorn um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Beide verbindet dabei ihr Werdegang und ihre langjährige Freundschaft.

Larissa Gassmann
Drucken
Die Schweizer Bahnradrennfahrerinnen Aline Seitz, Lena Mettraux, Michelle Andres und Andrea Waldis (v.l.) messen sich im Tissot Velodrome in Grenchen.

Die Schweizer Bahnradrennfahrerinnen Aline Seitz, Lena Mettraux, Michelle Andres und Andrea Waldis (v.l.) messen sich im Tissot Velodrome in Grenchen.

Keystone

Ein Rad nach dem anderen brettert über das Oval im Velodrome in Grenchen. An der Spitze des Pulks fährt ein Motorrad, das gejagte Objekt wird von den Fahrerinnen nicht aus den Augen gelassen.

Dicht sind sie ihm auf den Fersen. Fast wird dem Zuschauer dabei schwindlig.
Anders geht es den Frauen auf den Rädern. «Schwindlig wird mir nie. Auf gewissen Bahnen verliere ich manchmal aber etwas die Orientierung», sagt Aline Seitz grinsend. An diesem Tag passiert ihr dies nicht.

Aline Seitz.

Aline Seitz.

Keystone

Die Orientierung soll im Team von Swiss Cycling keiner verlieren. Alles soll in geregelten Bahnen verlaufen. Vor den Olympischen Spielen 2020 ist das Ziel klar. Gewöhnlich ist an Seitz und ihrer Karriere trotzdem nicht viel. Zum einen wäre da ihr Werdegang. Zum anderen auch ihre Freundschaft zu Michelle Andres. Wie Seitz gehört diese zur Delegation, welche an die EM nach Apeldoorn (NLD) reist.

Auf dem Mountainbike gross geworden

Seitz wird sich dort den olympischen Disziplinen Omnium und Madison stellen, dazu auch im Scratch antreten, Andres ist als Reservefahrerin dabei. Beide sind 22 Jahre alt, Seitz ist aus Buchs, Andres aus Baden. Beide widmen sie sich erst seit drei Jahren dem Fahren auf der Bahn, gross geworden sind sie auf dem Mountainbike.

Um ihrem Traum von Tokio näher zu kommen, setzen die zwei nun ganz auf die Bahn. Der grenzenlosen Freiheit, die das Fahren in der Natur bietet, trauern sie kaum nach. «Den Regen vermisse sie sicherlich nicht», sagt Andres lachend. «Ausserdem ist ja auch nicht jede Bahn gleich.»

Als blutige Anfängerinnen auf Erfolgskurs

Oft sind die Rennen kaum voraussehbar, schnell kann sich eine Eigendynamik entwickeln. Immer wieder stehen die beiden vor Herausforderungen. Auch, weil sie sich noch als Anfängerinnen bezeichnen.

Michelle Andres.

Michelle Andres.

Keystone

«Ich bin der Meinung, dass ich instinktiv auf der Bahn noch weniger gut entscheiden kann als andere», sagt Seitz. Auch Andres sieht bei sich Nachholbedarf: «Du musst jedes Szenario einmal abgearbeitet haben, um richtig reagieren zu können.»

Grosses Potenzial attestiert ihnen dafür der Trainer des Frauenteams, Scott Bugden. Andres beschreibt er als eine der technisch konstantesten Fahrerinnen. Die grösste Stärke von Seitz sei der Sprint. Vor allem im Scratch räumt er ihr an der EM gute Chancen ein. Doch auch im Omnium und Madison soll fleissig gepunktet werden, Tokio so ein bisschen näher rücken.

Ein Leben im Extremzustand

Doch wie realistisch schätzt Bugden eine Qualifikation für die Olympischen Spiele überhaupt ein? «Wenn ich jetzt darauf wetten müsste, würde ich sagen, dass wir uns qualifizieren. Aber es wird keine einfache Aufgabe», sagt er.

Das wissen auch die beiden Aargauerinnen. Seit sie sich für eine Karriere auf der Bahn entschieden haben, führen sie ein Leben im Extremzustand. «Es ist intensiv, wir sind fast nur noch unterwegs. Wir fahren Rennen, sammeln Punkte», sagt Seitz. Je näher der Traum rückt, desto surrealer wird das Ganze. «Es fühlt sich irreal an, wenn wir über Tokio reden», sagt Andres.

Zählen können die beiden auf ihre Freundschaft. Seit sie acht Jahre alt sind, treten sie gegeneinander an, doch Neid kennen sie nicht. «Man lernt zu akzeptieren, wie Selektionen funktionieren», sagt Seitz. Viel mehr überwiegt das Positive. «Wenn du wochenlang unterwegs bist, ist es schön, eine Art Familienmitglied dabeizuhaben», sagt Andres.

Ähnlich sieht es Trainer Bugden: «Ihre Freundschaft ist für uns sehr wertvoll, ein Vorteil für den Teamspirit.» Vielleicht ist sie genau das Zünglein an der Waage auf dem Weg zum Ziel. Wenn nicht die Bahn Schwindelgefühle auslöst, dann vielleicht der Erfolg in Apeldoorn.