Auch Philipp Bonorand verliess am Freitagabend nach der 3:4-Niederlage des FC Aarau enttäuscht das Stadion. Was dem Klubpräsidenten jedoch noch viel mehr Mühe bereitete: Ein paar wenige Matchbesucher, die meinten, mit Kommentaren unter der Gürtellinie Spieler und Trainer angreifen zu müssen.
Tabellenführung, fünf Punkte Vorsprung auf die Konkurrenz, gute Chancen auf die Super-League-Rückkehr, sieben Jahre nach dem Abstieg: Man könnte meinen, nach vielen Jahren im Kriechgang hängt der Himmel über dem Aarauer Brügglifeld wieder voller Geigen.
Doch die Atmosphäre im Stadion deckt sich (noch?) nicht mit dem sportlichen Höhenflug. Genauer gesagt: Auf der Haupttribüne im Brügglifeld scheint der Wurm drin. Erst kürzlich hat Cheftrainer Stephan Keller mehr Unterstützung von den Leuten auf der Hauptrtibüne gefordert - und nun echauffiert sich Präsident Philipp Bonorand in einem emotionalen Facebook-Post über Dauernörgler im Stadion.
Knapp 48 Stunden nach dem spektakulären Schlagabtausch gegen Schaffhausen (3:4) sieht sich Bonorand zu einer Reaktion auf unschöne Vorkommnisse gezwungen. Mit emotionalen Worten wendet sich der FCA-Präsident an die gut Handvoll Matchbesucher, die während Heimspielen auf der Haupttribüne in Bonorands Hörweite sitzen und sich nicht zum ersten Mal komplett daneben benommen haben müssen - anders sind Bonorands Worte nicht zu interpretieren. Der Facebook-Post im Wortlaut:
«Eigentlich wollte ich schweigen, mir den aufgestauten Ärger verkneifen. Aber es gelingt mir nicht. Was ist passiert?
Wir haben am Freitagabend gegen einen offensivstarken und effizienten FC Schaffhausen verloren. Die erste Niederlage nach zehn Spielen und zuletzt fünf Siegen in Folge, die uns verdient auf Tabellenrang 1 der dieci Challenge League geführt haben. Niederlagen schmerzen immer, gehören aber im Sport wie auch im Leben dazu. Kann passieren. Die Mannschaft hat sich immer wieder ins Spiel zurück gekämpft, der (aus meiner Sicht verdiente) Ausgleichstreffer lag bis zum Schlusspfiff in der Luft. Hat nicht sollen sein. Gratulation nach Schaffhausen zum erkämpften Sieg.
Was ich aber nicht verstehen kann, ist das Verhalten von einzelnen Zuschauern im Stadion Brügglifeld. Wie kann man eine überdurchschnittlich motivierte und engagierte Mannschaft, die in den letzten Wochen mit wiederholt starken Leistungen erstmals seit neun Jahren wieder an die Tabellenspitze der Liga vorgestossen ist, über 90 Minuten durchgehend mit hämischen und abschätzenden Kommentaren eindecken?
Erlebt in meinem erweiterten Umfeld auf der Haupttribüne, im Minutentakt, unaufhörlich nörgelnd, oftmals unter der Gürtellinie beleidigend und auf den Mann gespielt. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Monaten, dieses Mal aber gefühlt besonders schlimm und deplatziert. Abschätzende, teils menschenverachtende Kommentare, die wohl auch dann nur schwer zu verdauen wären, würden wir anstelle des SC Kriens abgeschlagen am Tabellenende liegen.
Ich spreche nicht von vereinzelten Frustkommentaren, die jedem enttäuschten Fussballfan in den Emotionen einmal herausrutschen können. Nein, durchgehend, ohne Pause, über 90 Minuten, richtig darauf lauernd, dass Spieler X endlich wieder einmal einen Fehlpass spielt oder Spieler Y sich gegen einen Gegenspieler nicht durchsetzen kann. Bei positiven Aktionen herrschte hingegen Stille. Es war beschämend und stimmt mich immer noch traurig. Das hat unsere Mannschaft nicht verdient. Das hat keiner unserer Spieler verdient. Das hat unser Staff nicht verdient. Nicht nach den Leistungen in den vergangenen Wochen, nicht aufgrund des Einsatzes beim letzten Spiel und auch sonst nicht. Das hat überhaupt kein Fussballer, überhaupt kein Mensch verdient.
Ja, Fussballer sind auch Menschen. Wie Du und ich... geht manchmal wohl leider etwas vergessen. Zum Glück waren da noch die 4’150 anderen Personen im Stadion, die dem Spiel den Charakter und die Atmosphäre gaben, welche es verdient hatte. Eine tolle Kulisse. Schön waren sie alle da.
Viele von ihnen waren über die Niederlage enttäuscht, dem einen oder anderen ist sicherlich in den Emotionen auch einmal der eine oder andere Frustkommentar rausgerutscht. Das ist Fussball und gehört zum Spiel. Kenne ich, mir auch schon passiert. Wer verliert schon gerne? Wer ärgert sich nicht über ein gefühlt unnötig erhaltenes Gegentor? Ist absolut normal und menschlich.
90 Minuten menschenverachtende Häme und Beleidigungen gehen aber definitiv nicht... nie, niemals, nirgends... dies hat niemand verdient... schon gar keine Mannschaft auf Tabellenrang 1! #ZämeFörAarau»
Wer Bonorand kennt, weiss: Der 41-Jährige ist ruhig, besonnen und überlegt - Affekthandlungen sind ihm zuwider. Es muss also sehr viel passiert sein und der Frust riesig sein, dass er sich zu einem solchen Facebook-Post hinreissen lässt. Umso mehr, weil Bonorand einst selber mitten in der Fankurve stand und entsprechend mehr Verständnis aufbringen dürfte für Frustbekundungen von den Zuschauerrängen als andere Präsidenten.
Aber es gibt demnach Leute, an denen ist die sportliche Auferstehung und die neue Dynamik im und um den FC Aarau scheinbar vorbeigegangen. Oder diese Leute kommen nicht ins Stadion, um den FC Aarau anzufeuern und eine gute Zeit zu haben - sondern nur um zu schimpfen, beleidigen, wüten, nörgeln und zetern. Bei diesen Leuten hört auch Bonorands Verständnis auf. Zurecht.