Frauenfussball
Charly Grütter: Der Mann, der weiss, wie die Frauen ticken

Der Egerkinger Charly Grütter hat im Frauenfussball seine späte, wahre Trainerberufung gefunden. Mit den Girls der Berner Young Boys ist er auf Erfolgskurs, kämpft leidenschaftlich um Anerkennung für seinen Sport und träumt von der Champions League.

Marcel Kuchta
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YB-Trainer Charly Grütter.

YB-Trainer Charly Grütter.

Freshfocus

Wenn Charles «Charly» Grütter von «seinen» Frauen erzählt, dann kommt er ins Schwärmen. Man merkt sofort: Hier hat einer seine Berufung im Trainer-Metier gefunden. Der 57-Jährige steht seit dem Februar dieses Jahres an der Seitenlinie der Berner Young Boys. Es ist fast eine Ironie des Schicksals, dass er die Geschicke einer Frauenequipe leitet, in deren Namen sich die «jungen Männer» verbergen.

Die jungen Männer und vor allem deren Hinterleute waren es, die den gebürtigen Oltner im Fussball vor ein paar Jahren weg von den Jungs und hin zu den Mädels getrieben haben. Als U21-Trainer des Teams Aargau, der Nachwuchsorganisation der grössten Aargauer Fussballklubs, hatte er genug von den Ansprüchen und Bedürfnissen der heranwachsenden Möchtegernstars und deren Beratern. Gleichzeitig suchte der Schweizerische Fussballverband Diplomtrainer für Assistenz-Jobs in den Frauen-Nationalteams.

Nach einem Gespräch mit der damaligen Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg erhielt Charly Grütter das Amt als Assistent der U16-Auswahl. Gleichzeitig übernahm er auch Scouting-Aufgaben. Und es nahm ihm sprichwörtlich den Ärmel rein im Frauenfussball: «Zu sehen, mit welchem Engagement diese Frauen ans Werk gehen, das hat mir extrem gefallen», erinnert sich Grütter.

Wenn sich plötzlich neue Türen auftun

Kein Wunder, fand er bald auch den Einstieg auf Klubebene. Die Frauen des FC Aarau stabilisierte er nach deren Abstieg aus der NLA in der zweithöchsten Spielklasse und bildete damit die Basis dafür, dass die Aarauerinnen heuer wieder in Richtung Aufstieg schielen. Dann wäre eigentlich Schluss gewesen mit der (Klub-)Trainerkarriere, die er parallel zu seinen Aufgaben im Nationalteam bewältigte. «Der Aufwand ist mir zu gross geworden», erzählt Grütter, der hauptberuflich in Aarau in einer Bank als Anlageberater tätig ist. Aber eben: Wie das Leben so spielt. Wenn man nicht mehr damit rechnet, tun sich plötzlich wieder neue Türen auf.

Die Berner Young Boys klopften an bei Charly Grütter, der dort auch schon erfolgreich im Nachwuchs tätig gewesen war. Am 1. Februar dieses Jahres übernahm er bei den NLA-Frauen das Amt des Cheftrainers – «als Feuerwehrmann», wie er erzählt. Die Rückrunde war, coronabedingt, nach drei Spielen zu Ende. «Die Meisterschaft wurde abgebrochen. Ich erhielt Lohn, und konnte nichts mehr dafür leisten», sagt Grütter. Das Gefühl, den Job doch noch erledigen zu wollen, bekräftigte schliesslich beide Parteien im Sommer, die Zusammenarbeit fortzusetzen.

Neue Perspektiven auf der Zielgeraden

Für Charly Grütter eröffneten sich so auf der Zielgerade seiner Trainerkarriere noch einmal ganz neue Perspektiven. Der Frauenfussball erlebt in der Schweiz einen echten Aufschwung. Die NLA hat einen Titelsponsor, die Spiele werden teilweise im Fernsehen übertragen. «YB ist auch bei den Frauen sehr professionell aufgestellt», schwärmt Grütter, der einen Staff von acht Mitarbeitern um sich weiss. «Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich unter diesen Umständen etwas bewegen kann.» Wichtig für ihn war in diesem Zusammenhang natürlich auch, dass sein Arbeitgeber mitmacht. «Da der sich auch stark für die Frauenförderung einsetzt, habe ich nicht das Gefühl, dass man mir Steine in den Weg legen wird, wenn ich meinen Job erledige.»

Zumal er mit seinen YB-Frauen derzeit beste Werbung in eigener Sache macht. Die Bernerinnen halten sich etwas überraschend in Reichweite der Tabellenspitze und besiegten höher eingestufte Teams wie den FC Zürich oder den FC Basel. Zuletzt gab’s gegen die starken Leaderinnen von Servette ein 2:2. Offensichtlich ist es Charly Grütter gelungen, das Potenzial seiner jungen Spielerinnen auszuschöpfen. «Wir lassen einen modernen, attraktiven Fussball spielen. Bei uns läuft immer etwas. Das kommt bei der Equipe – so glaube ich – gut an», erzählt Grütter.

Überhaupt: Charly Grütter schafft es offenkundig, im Umgang mit seinen Sportlerinnen die richtigen Töne zu treffen. «Man muss sehen: Die Frau ist ein komplett anderes Individuum als der Mann.» Man absolviere zwar die identischen Übungen und Einheiten wie die Männer. «Aber wenn man nicht weiss, wie die Frauen ticken, dann kann man als Trainer keinen Erfolg haben.» Ein Beispiel gefällig? «Wenn ich im Training eine meiner Spielerinnen für einen schlechten Pass zusammenstauche, dann habe ich das halbe Team gegen mich. Die Jungs hingegen sind in so einer Situation primär froh, wenn sie nicht Schuld sind», zieht Grütter einen spannenden Vergleich.

Die Tipps der Martina Voss-Tecklenburg

Charly Grütter der Frauenversteher? «Ich musste erst sehr viel lernen und in allen Jobs meine Erfahrungen sammeln. Gerade Martina Voss-Tecklenburg hat mich zu Beginn ab und zu korrigieren müssen. Einen Frauenversteher würde ich mich nicht nennen. Aber ich weiss inzwischen sicher, wie sie funktionieren.» Generell sieht sich Grütter auch als Botschafter für einen Sport, der hierzulande erst schleichend aus seinem Mauerblümchendasein herausfindet. «Die Leute bekommen langsam mit, dass Frauenfussball sehr attraktiv sein kann. Plötzlich hauen mich Bekannte in meinem Umfeld an, dass sie ein YB-Spiel im Fernsehen gesehen haben. Wir werden immer mehr wahrgenommen. Das freut mich sehr.»

Bleibt die Frage, wohin der Weg der in Egerkingen wohnhaften, regionalen Fussballlegende noch führt. «Ich mache mir keine Illusionen. Mit 57 werde ich kaum mehr Profi-Trainer», sagt er. «Aber ein Szenario, von dem ich träume, ist, einmal an der Seitenlinie die Champions-League-Hymne zu hören.» Die beiden Erstplatzierten NLA-Teams qualifizieren sich für den begehrten europäische Klub-Wettbewerb. Vielleicht geht für Charly Grütter dieser Traum also früher in Erfüllung, als gedacht ...