Seit dem Wiederaufstieg in die Nationalliga A wurde der HSC Suhr Aarau kontinuierlich besser. In diesem Jahr könnte der Flug der Himmelsstürmer erstmals gebremst werden. Die Analyse zum Saisonstart.
2016 ist der HSC Suhr Aarau in die Nationalliga A aufgestiegen. Seither ging es jedes Jahr ein wenig aufwärts. Das liess sich tabellarisch nachvollziehen, entging dem Fan aber auch an Heimtagen oder auf Auswärtsfahrten nicht.
Von den Ingredienzen, die erfolgreichen Handball ausmachen, waren dem HSC-Kuchen immer weitere hinzugefügt worden. Die Offensive wurde flüssiger, die Spielanlage reifer. Die Verteidigung wurde härter, die Lücken zwischen den Abwehrspielern enger. Ohnehin ist die Defensive zum Prunkstück dieser Mannschaft geworden. Die Glasur auf dem Kuchen.
Vor jeder Saison hatte man diesem Team den nächsten logischen Entwicklungsschritt vorhergesagt. Der dann auch zuverlässig eintraf. Warum sollte der HSC auch schlechter werden?, fragte man sich. Das Motto «besser als letztes Jahr» verkam zu einer Art Garantie, zu einer sicheren Wette auf die Zukunft.
Die Verantwortlichen taten ihr Übriges, indem sie das Kader klug ergänzten und sich auch höheren Investitionen nie verschlossen haben. Die Saison 2020/2021 war der vorläufige Höhepunkt der beeindruckenden Entwicklung. Die Mannschaft schaffte den Sprung unter die besten Vier der Schweiz und erreichte erstmals unter neuem Namen ein Playoff-Halbfinal. Einige Monate zuvor jubilierten die HSC-Spieler über den Supercup.
Nun aber ist man sich erstmals seit fünf Jahren nicht mehr so sicher, ob der Weg auch dieses Mal derart steil nach oben führt. Da folgt kein deutliches «Ja, natürlich» auf die Frage, ob der HSC Suhr Aarau erneut in die Vorschlussrunde der Playoffs einziehen wird. Der Verein steht vor einem heiklen Neubeginn. Das hat viel mit dem HSC selbst zu tun, aber auch mit denen, die ebenfalls um die Meisterschaft spielen.
Diogo Oliveira, David Poloz, Mathias Müller, Jan Peter und Dario Ferrante haben den Klub in diesem Sommer verlassen. Das sind fünf Spieler, was sich erst einmal nach wenig anhört, bei einem Kader von etwa 20 Personen aber doch einen Viertel ausmacht.
Frei von jeglicher Arithmetik lohnt sich auch der Blick auf die verloren gegangene Qualität. Poloz ist wahrscheinlich der beste Rechtsaussenspieler der Liga. Oliveira ist ein variabler Rückraumspieler mit einem Handgelenk wie aus Gummi, der sich vor Verantwortung nie gescheut hat. Ihre Absenz wiegt schwer.
Torhüter:
Leonard Grazioli (20 Jahre alt)
Jannis Scheidiger (19)
Dragan Marjanac (36)
Rückraum Mitte:
Tim Aufdenblatten (25)
Sergio Muggli (28)
Manuel Zehnder (21)
Dylan Brandt (21)
Rückraum links:
Jonas Kalt (21)
Rückraum rechts:
João Ferraz (31)
Daniel Parkhomenko (20)
Onelio Gomboso (19)
Kreisläufer:
Martin Slaninka (32)
Leonard Pejkovic (30)
Lukas Laube (21)
Joël Willecke (17)
Flügelspieler links:
Timothy Reichmuth (22)
Nikos Sarlos (16)
Flügelspieler rechts:
Gian Attenhofer (19)
Lars Hofer (21)
Thomas Bieri (18)
Patrick Strebel (29)
Durchschnittsalter: 23 Jahre
Staff:
Misha Kaufmann (Cheftrainer)
Tom Reichmuth (Assistenztrainer)
Milos Cuckovic (Torhütertrainer)
Ersetzt werden die Abgänge durch Spieler, die schon da waren. Am rechten Flügel steht der 19-jährige Gian Attenhofer bereit, im Rückraum soll der 21-jährige Dylan Brandt gefördert werden, der das letzte Jahr mehrheitlich beim Partnerverein Solothurn verbrachte.
Onelio Gomboso, Nikos Sarlos, Lars Hofer, Joël Willecke und Jonas Kalt, die schon länger im Dunstkreis der ersten Mannschaft waren, wurden aus dem eigenen Nachwuchs hochgezogen. Die einzigen richtigen Neuzuzüge sind der Kreisläufer Leonard Pejkovic und der Torhüter Jannis Scheidiger.
Bei allem Erfolg hat es den HSC immer ausgemacht, dass er junge Spieler gefördert und überhaupt erst zutage gebracht hat. Ihr Vorteil war es stets gewesen, dass sie im Schatten der erfahrenen Kräfte erste Erfahrungen machen konnten – ohne den immensen Druck, an jedem Spieltag die beste Leistung abrufen zu müssen. Fehler waren erlaubt, und zu Ausbildungszwecken sogar erwünscht.
Dieser Vorteil fällt für einige dieser Jungen ab sofort weg. Jetzt sind es die Attenhofers, die Brandts, ja auch die Parkhomenkos, Zehnders und Graziolis, die sich in wiederkehrender Regelmässigkeit beweisen müssen. Dass die Vereinsführung ihnen keine grossen Namen vor die Nase setzt, ist ein Vertrauensbeweis und ein interessanter Poker auf ihre Fähigkeiten. Aber auch einer, der unangenehm enden kann, wenn sportliche Ziele plötzlich in Gefahr geraten.
Misha Kaufmann spricht weiter offensiv davon, dass er mit dem HSC Titel gewinnen will. Nach dem Maximum zu streben macht den Trainer aus. Es färbt ab auf den gesamten Klub, wenngleich dieser als offizielle Losung den Halbfinaleinzug kommuniziert. Angesichts der Konkurrenz wird es jedoch keineswegs eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich der HSC am Ende der Saison ins Spitzenquartett eingliedern wird.
Es ist denn auch die Stärke der anderen, die den eigenen Zweifel nähren lässt. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Kadetten aus Schaffhausen derart wechselhaft auftreten werden wie im vergangenen Jahr. Selbiges gilt für Wacker Thun und mit Abstrichen auch für den BSV Bern, die der HSC in der Tabelle weit hinter sich gelassen hatte.
Und da wäre ja auch noch Pfadi Winterthur, der Schweizer Meister, der mit Gewissheit nicht schwächer geworden ist, der HC Kriens-Luzern, der sein teures Kader mit Additionen aus namhaften osteuropäischen Klubs aufgepeppt hat sowie der TSV St. Otmar St. Gallen, der traditionell schwierig zu durchschauen ist.
Natürlich verfügt der HSC nach wie vor über eine starke und talentierte Mannschaft – mit Spielern, die sich lange kennen und (nicht nur) gegen aussen den Anschein einer verschworenen Gemeinschaft machen. Tim Aufdenblattens Qualität im Zentrum ist unbestritten, auch Timothy Reichmuth entwickelt sich am linken Flügel immer mehr zum sicheren Wert.
Martin Slaninka und Patrick Strebel gehören defensiv auch im Ligavergleich zur gehobenen Klasse. Bei João Ferraz indes wird zu hoffen sein, dass er nach zwei Jahren im Verein zu einer gewissen Beständigkeit findet. Das Rüstzeug ist zweifelsohne vorhanden.
Und doch ist das Kader für die gehobenen Ansprüche zu dünn, zumal der HSC Suhr Aarau in der kommenden Saison auch auf europäischer Platte auflaufen wird. Gerät man in einen Verletzungsstrudel, wie dieser den Verein in diesen Wochen gefangen hält, potenzieren sich die Schwierigkeiten rasant.
Sportchef und Trainer haben den Mangel erkannt und sondieren den Markt nach einem international erprobten Rückraumspieler. Eine Verstärkung tut Not. Ansonsten könnte der Flug der HSC-Himmelstürmer in ein paar Monaten jäh gebremst werden.
Die Saison beginnt für den HSC Suhr Aarau am Donnerstag, 2. September, gegen Aufsteiger Chênois Genève. Das Spiel findet ab 19.15 Uhr in der Schachenhalle statt.