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Zahnprobleme, Narkosen, Operationen und Kastrationen: Wir waren einen Morgen lang in der Tierklinik Sonnenhof in Derendingen und haben den Tierärzten über die Schultern geschaut. Es gibt Momente, da unterscheidet sich die Medizin zwischen Haustier und Mensch kaum.
Esko braucht einen neuen Zahn. Das ist gleich auch die Gelegenheit, um die Gelenke des zweijährigen Wolfshundes zu röntgen und ein Blutbild zu machen.
Draussen wird es hell, früh beginnt in der Tierklinik Sonnenhof in Derendingen die Arbeit. Die Tierklinik vereint unter dem Dach eines früheren Bauernhofes ein Spital für Haustiere mit einer Zahnarztpraxis. «Auf Zahnprobleme sind wir spezialisiert», sagt Tierarzt Lukas Hettelingh, dem wir nun einige Stunden über die Schulter schauen.
Hettelingh spritzt nun Esko, dessen Besitzer Dominik Gyger extra für die Behandlung aus Adelboden angereist ist, ein Beruhigungs- und ein Schmerzmittel. Der Hund hat bereits ein Patientenblatt erhalten. Es gibt Auskunft darüber, welche Behandlung der Rüde braucht und welche Medikamente er, abgestimmt auf das Körpergewicht, erhalten hat. So wissen alle in der 33-köpfigen Belegschaft jederzeit Bescheid über den Patienten, bis dieser vom Besitzer abgeholt wird und die Daten für allfällige spätere Behandlungen im Computer erfasst werden.
Zahnbehandlungen für Tiere? «Die Zähne sind ein wichtiger Bereich in der Gesundheit der Haustiere, der von vielen Haltern unterschätzt wird, weil die Tiere beim Fressen nicht auffällig sind», sagt Hettelingh, als er sich für die erste Operation die Hände wäscht, Handschuhe, Mund- und Haarschutz anzieht. «Ohne jährliche Zahnkontrolle gibt es jedoch oft Komplikationen und die Tiere leiden Schmerzen. Zahnprobleme sind auch ein Einfallstor für andere Krankheiten.»
Im Operationssaal ist Teamwork angesagt. Gemeinsam mit Tierärztin Marlies Gysin kastriert Lukas Hettelingh eine junge Schäferhündin. Das geschieht nach dem Endoskopie-Verfahren – eine halbstündige Operation im abgedunkelten Zimmer. Nach dem Bild auf den zwei Monitoren (für jeden Operateur einen) lenken die Tierärzte ihre Hände mit der Schneid-Brennzange. Nicht nur die Instrumente, die die Veterinäre durch den kleinen Bauchschnitt einführen, haben digitale Steuerung. Atmung und Sauerstoffsättigung im Blut der Hündin werden über Klemmen an Zunge und Schenkel von einem weiteren Computer überwacht.
Genäht wird in drei Lagen, Sehnenschicht, Unterhaut und Haut, mit Faden, der sich nach zwei Wochen auflöst. Damit die Wunde gut verheilt, bekommt die Hündin für ein paar Tage einen eng anliegenden Body übergezogen. «Der Body wird von Hunden oft besser akzeptiert als ein Halskragen», erklärt Hettelingh. «Bei Katzen ist ein solcher Schutz kaum möglich, aber auch da gibt es selten Komplikationen nach Operationen.»
Der Trog, in dem die Hündin liegt, wird seitlich auf Sitzhöhe gekippt. Dennoch arbeitet die Belegschaft oft im Stehen oder auf dem Boden knieend. «Bewegung haben wir reichlich», bestätigt Hettelingh. Die Abwechslung, die vielen Tierarten, vom Hamster über die Bartagame (Echse) bis zur Dogge, die Kontakte mit Menschen und Tieren gleichzeitig: Das gefällt ihm an seinem Beruf.
«Kein Tag ist gleich wie der andere. Bevor ich vor anderthalb Jahren hierherkam, habe ich mit Nutztieren gearbeitet, besonders mit Rindern und Schweinen. Auch das ist spannend. Dort steht die Wirtschaftlichkeit des Tieres im Vordergrund. Bei den Haustieren kann oft mehr gemacht werden, zum Beispiel Blutproben.» Trotz moderner Technologie – das meiste wurde für den Menschen entwickelt – braucht es gelegentlich Improvisation. Etwa, wenn es gilt, nach einer Beinamputation für eine Schildkröte aus einem halben Golfball eine Prothese zu machen.
Der Betrieb in der Tierklinik läuft nach der kurzen morgendlichen Besprechung reibungslos. Bei einem Retriever muss nach einem Kreuzbandriss ein Knochen zersägt und mit einer Platte fixiert werden. Die Verwachsung an der Pfote einer Nacktkatze muss entfernt und ins Labor geschickt werden. Kastrationen laufen parallel, ebenso Zahnsteinbehandlungen. Am Empfang warten derweil Linda und Heinz Marti aus Biberist. Ihr Kater Lars hat sich das Bein gebrochen. Es muss geröntgt und operiert werden.
Am Morgen liegt der Schwerpunkt bei den Operationen, am Nachmittag bei der Sprechstunde und Beratung. Alle sind speditiv unterwegs, niemand hetzt. Der Umgangston im Team ist entspannt und respektvoll. Die tiermedizinischen Praxisassistentinnen und die sechs Lernenden leiten bei Katzen und Hunden Narkosen ein und kümmern sich um die stationären Patienten in den Käfigen. In ruhigen fünf Minuten nehmen sie die vier Findelkinder aus dem Körbchen, Zwerghasenbabys, die in Kürze ans Tierdörfli in Wangen b. O. übergeben werden können. Nur wenn ein Notfall hereinkommt, etwa ein Tier, das angefahren wurde, kann es kurzfristig hektisch werden.
«Wie im Spital», denkt man da. Doch es gibt Unterschiede. Tiere haben unter Narkose offene Augen. Gegen das Austrocknen gibt es Augenflüssigkeit aus der Tube. Im Aufwachraum sehnt sich ein Hund nach Frauchen und tut das lauthals kund. In den Gängen riecht es eher nach Futtermischungen als nach Desinfektionsmittel.
Lukas Hettelingh macht sich auf in den Zahnbehandlungsraum. Etwas später als geplant. Deshalb hat sein Chef, Thomas Schneiter, die Zahnüberkappung beim Wolfshund Esko modelliert. Hettelingh macht sich daran, der schwarzen Katze auf dem benachbarten Operationstisch drei Zähne zu ziehen, während eine Assistentin ihr die Krallen schneidet. Mit Brachialgewalt wäre zahnärztlich nichts auszurichten. Dazu braucht es eine Zahnturbine, die mit Wasser gekühlt wird. Tier und Tierarzt werden vom Sprühnebel zerzaust.
Esko wird vom Narkosegerät abgehängt und überwacht, nachdem sein Gesicht vorsichtig abgetrocknet wurde. Der Tubus bleibt zur Sicherheit im Maul, bis der Hund erwacht – und die Augen schliesst. Eine Viertelstunde später, kurz vor dem Mittag, tapst er am Eingang Dominik Gyger zurück in die Arme. «Nun kann Esko sich daheim ausschlafen», sagt Tierarzt Lukas Hettelingh und wendet sich dem nächsten vierbeinigen Patienten zu.