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André Schluchter vom Begegnungszentrum Schloss Waldegg erklärt, wie er für den Kanton Brücken über den Röstigraben baut. Obwohl die Verbindung zum Jura und Frankreich war, kann er aufzeigen, was alles über diese Grenze hinweg passiert.
Nicht nur Solothurner interessieren sich für ihre französische Vergangenheit. Auch aus dem Elsass melden sich regelmässig Interessierte bei André Schluchter vom Schloss Waldegg. Ihr Interesse: die Geschichte ihrer einstigen Herren, der Familie Besenval (u.a. liess Johann Viktor I. von Besenval 1686 das Schloss Waldegg bauen). Zwar erinnert in Brunstatt, Riedisheim und Didenheim – heute alles Vororte von Mülhausen – kaum noch etwas an die einst bedeutende
Familie. Doch nun legt Gabrielle Claerr-Stamm, Präsidentin der Vereinigung der Historischen und Archäologischen Gesellschaften des Elsass, in ihrem letzte Woche erschienenen Werk eine umfassende Darstellung dieser Familie vor.
Dafür forschte sie vier Jahre in Archiven und an Orten des Wirkens der Familie – vom Aostatal bis zum Friedhof Père Lachaise in Paris. Die Autorin beschreibt in ihrer Familien-Saga eingehend die einzelnen Generationen; und damit auch die Verbindungen zwischen den in Solothurn und Frankreich residierenden Baronen von Brunstatt und ihren Gütern im Elsass. In Solothurn wird die Autorin ihr reich illustriertes, auf Französisch abgefasstes Buch am 6. Dezember im Rahmen der Sonderausstellung Besenvaliana auf Schloss Waldegg vorstellen. (sat)
Fragt man bei Politik und Verwaltung nach Beziehungen über den Röstigraben, wird entsprechend immer wieder auf André Schluchter verwiesen. Dieser organisiert als Konservator und Leiter des Begegnungszentrums seit 22 Jahren Kulturveranstaltungen und wissenschaftliche Tagungen im einstigen Landsitz über Solothurn.
Auf die Frage nach dem accent aigu in seinem Vornamen kommt André Schluchter sofort auf seine Familie zu sprechen. Die Mutter ist im Tessin aufgewachsen, der Vater war aus Olten. «In einem Welschlandjahr haben sich beide ins Französische vernarrt», erzählt der 64-Jährige. «Und so unterhielten sich meine Eltern in Olten in
meinen ersten Lebensjahren oft auf Französisch.»
André Schluchter: Als ich in Solothurn meine Stelle antrat! Erst hier merkte ich, wie nah wir der französischen Kultur effektiv sind. Heute gehe ich oft nach Frankreich in die Ferien – nicht nur ans Meer.
Laufe ich durch die Stadt, kann man das überspitzt so formulieren. Ich kenne aber viele, die sofort auf Welsch wechseln, wenn sie angesprochen werden. Man pflegt diese Tradition noch immer.
Das ist eine Entwicklung, die durch den Wandel der Arbeitsmärkte gesteuert wurde. Konkret durch die Deindustrialisierung. Überraschend finde ich, dass man heute etwa den Jugendlichen im Kanton Jura nahe legt, Deutsch zu lernen. Man orientiert sich also auch ennet dem Röstigraben durchaus ebenfalls Richtung Deutschschweiz. Im konkreten Fall nach Basel.
Dank der Mobilität kann man sich sein Leben heute viel freier zusammenstellen.
Das ist jedoch keine Solothurner Eigenheit (lacht)! Man vermarktet eben das, was am einfachsten geht. Als Historiker erstaunt es mich immer wieder, dass die Stadtgeschichte für viele Ende des 18. Jahrhunderts aufhört. Solothurn hat zwar eine grosse industrielle Vergangenheit, doch die macht man nicht zum Thema. Allenfalls noch im Historischen Museum Blumenstein.
Dies zu thematisieren wäre sicher mal spannend. Nehmen wir die von Roll: Es war einst selbstverständlich, dass man als grosse Deutschschweizer Firma auch in der Westschweiz präsent ist. Heute nennt man das Swissness. Damit ist nicht nur ein handwerklich gutes Produkt gemeint, sondern auch die kulturelle Vielfalt.
Es ist leider nicht mehr selbstverständlich, die Nachteile einer Fremdsprache für einen Job hinzunehmen. Die Sprachenfrage wird bei der Jobsuche somit immer mehr zu einem negativen Abwahlkriterium. Ich muss zugeben, dass es mich auch viel Überwindung kosten würde, wie meine Tochter nach Genf zu gehen, um zu studieren.
Das ist eine Zeiterscheinung. In meiner Jugend hörte man Europe 1 auf Langwelle. Das Béret, die Gauloises, der Deux Chevaux und Französisch waren Ausdruck jugendlicher Lässigkeit.
Nebst weichen Faktoren zahlen sich Sprachkenntnisse laut Studien auch in der Lohntüte aus: Mit einer zweiten Landessprache verdient man bis 15 Prozent mehr. Schade finde ich, wenn welsche Unternehmen in der Deutschschweiz ihre Zelte abbrechen, um sich auf den französischen Markt zu konzentrieren. Offenbar ist die französische Bürokratie inzwischen das kleinere Übel als unsere Sprache und Mentalität. Wie sensibel wir auf die Sprachenfrage reagieren zeigt auch ein privates Erlebnis: Ein befreundeter Deutschschweizer Unternehmer liess sich eine Bieler Telefonnummer einrichten, um in die Westschweiz zu expandieren. Wir zögern ja auch, einen Anruf mit einer Vorwahl aus dem Welschland anzunehmen.
Vorausschicken möchte ich, dass Solothurn seit der Gründung des Bundesstaats 1848 keine eigene Aussenpolitik mehr betreibt. Und zu Ihrer Frage: Oft geht es bei der Sprachenfrage heute um Tagesaktualität und dabei um Subtiles. Was man tun könnte, wenn man wollte, ist längst bekannt. Mein Vorgänger etwa führte hier in den 1970er-Jahren noch viele Gespräche zwischen Jurassiern und Bernern, um Möglichkeiten der gegenseitigen Verständigung auszuloten. Damit brüstet man sich aber nicht öffentlich. Dass der Röstigraben zuletzt öfter wieder Thema war, lag an der Frage des nationalen Zusammenhalts. Zudem hat sich die Diskussionskultur generell verändert. Will man heute über Europa diskutieren, interessiert das kaum mehr, denn die Meinungen sind gemacht. Meine Haltung ist also: Wir werden nicht von uns aus aktiv, sondern bieten eine Plattform für Interessierte. Das rückt die Waldegg zwar nicht medial in den Fokus. Aber es passiert doch einiges.
Keineswegs! An einer Tagung mit dem Forum Helveticum diskutierten wir kürzlich, was uns daran hindert, jemandem auf Französisch zu antworten. Oder wir luden mit der Handelskammer Solothurn und dem Forum für Zweisprachigkeit aus Biel Wirtschaftsvertreter aus der Romandie zum Austausch mit Solothurner Kollegen ein. Und regelmässig schicken wir Künstler für Auftritte nach Sierre ins Schloss Mercier. Nun gehen wir bei diesen Begegnungen im Kleinen noch einen Schritt weiter und beteiligen uns am Künstleratelier auf dem Schlossgelände. Erster Stipendiat in der Villa Ruffieux war der Solothurner Autor Felix Epper. Es muss ja nicht immer Paris sein!
Läuft etwas gut, muss man doch keine Probleme heraufbeschwören! Klar trennen die Jura-Hügel den Kanton in einen nördlichen und südlichen Teil. Regional gibt es aber durchaus Interessen, Initiativen und Angebote über die Sprachgrenze. Das Kloster Mariastein in Metzerlen etwa zieht viele Leute auch aus dem Elsass an. Und wenn es um Grenzfragen geht, nimmt man sich der Anliegen der Schwarzbuben in der Kantonshauptstadt meines Wissens immer an.
Durch die verkehrsgeografische Lage der Oltnerinnen und Oltner ist auch deren Ausrichtung anders. Zu Hause spüre ich – zum Beispiel bei den S-Bahn-Anschlüssen – die Greater Zurich Area oder die Metropolitanregion Basel. Zudem ist Olten eine einfache Stadt und hat eine ganz andere Geschichte. Und man hört im Alltag definitiv weniger Französisch.
«Alle rennen auf den Berg – und doch ist er eine Grenze» (9.7.), «Ich merke leider erst jetzt, wie wichtig Deutsch ist» (16.7.), «Sprachgrenze zeigt sich auch im Tourismus» (23.7.), «Die Erfahrungen helfen uns sicher» (31.7.), «Solothurn ist der frankophilste Kanton» (7.8.), «Sie sprechen Französisch, wir Deutsch» (15.8.), «Nur die Politik bleibt draussen» (24.8.), «Je ne suis pas un anti-alémanique, pas du tout» (28.8.).