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So verwahrlost war der «Riesen-Obrecht» im Grenchner Lindenpark, der an den Grenchner Politiker erinnert, dass mehrere Reklamationen eingingen. Jetzt haben zwei Mitarbeiter des Werkhofs die Statue mit einem Hochdruckreiniger wieder glänzend gemacht.
30 Jahre oder mehr sei es her, seit das Obrecht-Denkmal einer richtigen Reinigung unterzogen wurde, sagt Robert Wingeier vom Werkhof. Weil es Reklamationen über den Zustand der Figur gab, nahm die Baudirektion das «Ganzkörperpeeling» endlich in Angriff. Gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Stauffer und mittels eines extra angeschafften Hochdruckreinigers hat Wingeier am Dienstag die schwarzen Verfärbungen und die Vermoosungen weggeputzt. Die weissen Ablagerungen auf Schultern und Kopf wurden entfernt, die Steinfigur dem längst überfälligen Frühjahrsputz unterzogen. Mit einer speziellen Imprägnierung wird der «Riesen-Obrecht» zusätzlich vor einer erneuten Verschmutzung geschützt.
«Wir wollen nicht wallfahrten»
Wobei die Betitelung «Riesen-Obrecht» bei genauerer Betrachtung eigentlich gar nicht passt. Das Denkmal hat eine bewegte Geschichte, ebenso wie der grosse Mann aus Grenchen, an den es erinnert. Das Kunstwerk im Lindenpark wurde 1959 errichtet, zeigt aber nicht etwa den früheren Bundesrat Hermann Obrecht (1882 - 1940), sondern ist eine abstrakte Darstellung eines Mannes der Arbeiterklasse, eines «strammen Aufrechten», wie Obrecht selbst die Rolle der Schweizer wohl verstanden hatte.
Hermann Obrecht wurde als Uhrmachersohn am 26. März 1882 in Grenchen an der heutigen Bettlachstrasse geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Er arbeitete nach seinem Patent erst als Lehrer, dann als Sekretär im kantonalen Finanzdepartement, war von 1907 bis 1909 Redaktor bei der «Solothurner Zeitung». Für den Freisinn war er im Regierungsrat, im Kantonsrat und im Nationalrat. 1935 wurde er als Nachfolger von Edmund Schulthess in den Bundesrat gewählt. Daneben verfolgte er auch eine militärische Karriere. Als Verdienst zugeschrieben wird Hermann Obrecht den Aufbau einer neuen Kriegswirtschaft und seinen Einsatz für die Unabhängigkeit der Schweiz im 2. Weltkrieg. «Wir Schweizer werden nicht im Ausland wallfahrten gehen» ist seine meist zitierte Aussage, die Hermann Obrecht am 16. März 1939 vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft kundtat.
Waffenfreund, Widerstandsfigur
Von den heimischen Sozialdemokraten kritisiert wurde Obrechts Rolle während des Generalstreiks 1918, der in Grenchen tiefe Wunden hinterlassen hat. Drei Todesopfer forderte der Streik; Bundesrat Obrecht, damals noch Kantonsrat und Nationalrat, hatte das Heu nicht auf der gleichen Bühne wie die streikenden Arbeiter. Selbst in eigenen Kreisen umstritten war im Weiteren seine Rolle als Verwaltungsratspräsident der Waffenfabrik Solothurn AG.
Bildhauer lebte im Wohnwagen
Ohne Hindernisse wurde auch das Denkmal im Lindenpark nicht realisiert: Erstmals aufgenommen wurde die Idee 1942 auf Initiative des Rektors René Staempfli. Aufgrund Obrechts Nähe zur Schule wurde der Standort beim Zentrumsschulkreis gewählt. Bei einem Projekt-Wettbewerb 1954 erst wurde Ernst Suter, Bildhauer aus Aarau, als Ausführender erkoren. Seine Erstidee, eine männliche Figur, die ein Kind im Arm trägt, sollte den Gedanken der Bodenständigkeit, Abwehrbereitschaft und Fürsorge vermitteln. Sowohl der Standort wie auch die Ausführung wurden in den Bevölkerung kritisiert, wie aus älteren Gemeinderatsprotokollen hervorgeht.
100 000 Franken Honorar erhielt Bildhauer Suter, der eine Zeit lang in einem Wohnwagen im Lindenpark gewohnt haben soll. Aus der Familie von Obrecht selbst kam der Wunsch, das Kind aus dem Denkmal zu entfernen, da es zu sehr an einen humanitären Wohltäter erinnere. Die Skulptur musste überarbeitet werden. Am 31. Oktober 1959 erst wurde das Denkmal mit alt Bundesrat Walter Stampfli und Nationalrat Eugen Dietschi eingeweiht. Finanziert wurde es hauptsächlich durch die Industrie. Die Gesamtkosten betrugen 163 500 Franken.
Obwohl Hermann Obrecht seinen Lebensmittelpunkt eher noch in der Stadt Solothurn als in seiner Heimatstadt Grenchen hatte, hat nur die Uhrenstadt dem Politiker ein Andenken gewidmet. Der freisinnige Wunsch nach einer zusätzlichen Benennung eines Platzes oder einer Strasse nach Herman Obrecht blieb aber auch in Grenchen bisher unerfüllt.