«Die Toleranz wird ein solches Niveau erreichen, dass intelligenten Menschen das Denken verboten wird, um Idioten nicht zu beleidigen.» Der Dichter Dostojewski (1821–1881) liefert uns mit diesem Zitat den Beleg, dass menschliche Einfalt sich früher wie jetzt so verhält wie Unkraut: Sie vergeht nicht.
Heute sehen sich Schreibende, Film- und Theaterschaffende mit einem Denkverbot in Form einer neuen Zensur konfrontiert. Neu deshalb, weil sie in unseren Breitengraden nicht von autokratischen Regimes ausgeht, sie kommt eher aus der entgegengesetzten Richtung. Es ist die «Woke»-Generation, intellektuelle Lifestyle-Linke, die der Gesellschaft vorschreiben will, wie sie zu denken, zu sprechen und zu schreiben habe. Die französische Journalistin und Frauenrechtlerin Caroline Fourest beschreibt in ihrem Buch «Generation Beleidigt» die Entwicklung von einer Kultur- zu einer Gedankenpolizei, die jegliche von ihrer Doktrin abweichende Meinung unterdrückt.
Wenn eine Persönlichkeit der Literatur wie Adolf Muschg die «Cancel Culture» oder Löschkultur Andersdenkender mit Auschwitz vergleicht, mag das krass klingen. Aber sollte man Muschg nicht zumindest attestieren, dass er in diesem Zusammenhang weiter und tiefer zu denken vermag? Die Löschkultur prangert an, grenzt aus und vernichtet nicht in ihren Normen denkende Menschen, wenn auch (noch) nicht physisch, so doch virtuell.
Wollen wir hinnehmen, dass die «Wokes» unsere Sprache mit ihren ideologisch geprägten Gendersternen, -doppelpunkten und Kunstpausen verstümmeln? Würde man Toleranz und Gendergerechtigkeit über die Sprache erreichen können, wäre die Türkei in dieser Beziehung das fortschrittlichste Land der Welt. Ihre Sprache kennt kein grammatikalisches Geschlecht. Im Radio SRF war neulich im gleichen Satz von «König*innen» und «Kriegsfürsten» (männlich) die Rede. Warum nicht «Kriegsfürst*innen»? Krieg und Gewalt überlässt frau offenbar nach wie vor lieber alten weissen Männern. So viel zu gendergerechter Sprache bei SRF.
Eine heterosexuelle Schauspielerin, die eine Transgenderperson darstellen sollte, rief kürzlich heftige Proteste aus der LGTBQ*-Szene hervor. Gleiches erlitt die weisse Dichterin, die für die deutsche Übersetzung des Gedichtes einer schwarzen US-Poetin erkoren wurde. Mit welchem Recht wird andersrassigen oder sexuell unterschiedlich orientierten Menschen die Fähigkeit abgesprochen, sich in andere hineinzuversetzen? Darf man im Umkehrschluss, einem Schwarzen, Asiaten oder einer Frau verbieten, den Agenten 007 James Bond zu verkörpern?
So unbestritten die gesellschaftliche und gesetzliche Gleichstellung von Minderheiten für mich ist, es kann nicht angehen, dass unsere Sprache durch Partikularinteressen und Befindlichkeiten ideologisiert und ihrer Lebendigkeit beraubt wird. In diesem Zusammenhang zitiere ich gern Martin Luther, der sagte: «Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.»
Christof Gasser ist Autor und lebt in Oberdorf.