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Franziska Driessen steht als erste Frau den Zürcher Katholiken vor. Lieber als Symbolpolitik ist ihr ein Vorleben christlicher Werte – in der Asylpolitik zum Beispiel.
Die künftige Hausherrin der römisch-katholischen Kirche des Kantons Zürich empfängt die Besucher vor deren Verwaltungszentrum mitten in Zürich. Gross gewachsen und mit ihrer lauten Stimme wirkt Franziska Driessen geschaffen für das Amt der Präsidentin der Zürcher Katholiken, das sie Ende Juni antritt. In der Zwingli-Stadt stellen die Katholiken wegen der Zuzüger und Einwanderer inzwischen die grösste Konfessionsgruppe. Machtgehabe gehen jedoch sowohl der Kirche als auch von Driessen ab, was an ihren Büros sichtbar wird: Das Gespräch findet in einem Dachzimmerchen statt.
Franziska Driessen: Es freut mich sehr, dass ich als Frau das Amt als Präsidentin des Synodalrats ausüben darf. Priesterinnen sind ein Thema, und es wäre schön, wenn die katholische Kirche diesen Schritt machen würde. Gewichtige Stimmen wie der frühere Einsiedler Abt Martin Werlen sagen, es sei höchste Zeit dafür. Aber es betrifft die katholische Kirche rund um den Globus. Da können wir Schweizer nicht von heute auf morgen Priesterinnen fordern. Doch ich bin zuversichtlich, dass wir dank unserem Papst irgendwann weltweit darüber diskutieren.
Wenn er noch lange lebt und fit bleibt – das weiss der Himmel. Im Ernst: Es wird länger brauchen. Aber die Frauenordination kommt. Sie muss kommen. Wir sind nicht mehr glaubwürdig, wie wir jetzt unterwegs sind. Persönlich stört es mich nicht, wenn ein guter Pfarrer eine Messe leitet. Aber es gibt Frauen, die ein Problem haben, dass nur Männer zugelassen sind. Und das verstehe ich.
Uns Katholiken sind klar Grenzen gesetzt. Als Kantonalkirche sorgen wir dafür, dass die Steuergelder gut eingesetzt werden. Dank der direkten Demokratie haben wir in der Schweiz die einmalige Möglichkeit erhalten, in Kirchenparlamenten mitzureden. Aber ich mische mich nicht in die Frage ein, wie ein Pfarrer predigen soll. Auch bei der Beauftragung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern kann ich nicht mitbestimmen.
Als ich das Ressort Migrantenseelsorge übernahm, hörte ich kritische Stimmen, warum ausgerechnet eine Frau diese Aufgabe erhalte. Aber ich hatte in den sieben Jahren seither nie ein Problem. Der Kontakt war durchweg respektvoll. Geholfen hat sicher, dass ich neugierig bin und gern zuerst zuhöre. So wird das auch als Präsidentin des Synodalrats sein. Als Frau muss ich schon mal zwei oder drei Anläufe nehmen und ein Mann vielleicht nur einen, um zu überzeugen. Aber dann mache ich das halt.
Ich war überrascht, dass sie so ein grosses Thema war. Bei den Vorstellungsrunden sagte ich allen, sie sollten mich bitte nicht wählen, weil ich eine Frau bin, sondern weil sie mir vertrauen. Erst danach merkte ich am Medienecho, dass mein Geschlecht ein viel grösseres Thema war. Eine Frau hat mir geschrieben, meine Wahl sei für sie ein Grund, wieder in die Kirche einzutreten.
Wenn ich mit der Kirche hadere, kann ich entweder austreten oder mich engagieren. Sollte meine Wahl einige Katholikinnen ermutigen, mehr darauf zu achten, wie viel Gutes die Kirche tut, ist das Ziel erreicht.
Die Stellung der Frau in der Kirche beschäftigt mich. Oder wenn die schlimmen Missbräuche wieder aufkommen – ich muss es einfach ansprechen –, dann hinterfrage ich auch einiges. Aber dann konzentriere ich mich darauf, was in der Kirche an Gutem geschieht.
Klar Franziskus. Ich bin keine Theologin, sondern ausgebildete Hauswirtschaftslehrerin und sehr geerdet. Benedikt war für mich sehr theologisch. Franziskus hingegen erwärmte die Herzen schon mit seinem ersten «Buona sera». Man versteht ihn. Für uns gewöhnliche Menschen ist das wunderbar.
Franziskus ist nicht viel liberaler als Benedikt, und auch er wird nicht alles schnell verändern können. Immerhin aber spricht er heikle Themen wie die Homosexualität an. Franziskus fragt: Wer bin ich, jemand zu verurteilen? Das ist doch der richtige Ansatz, statt Homosexuelle einfach mal auszuschliessen und zu verurteilen.
Ich bin glücklich, dass unsere Konfession in Zürich seit 1963 öffentlich-rechtlich anerkannt ist. Das war damals nur dank der Unterstützung der Reformierten möglich. Jetzt wollen wir das weitergeben und darauf hinwirken, dass auch andere Religionsgemeinschaften eine öffentliche Anerkennung erhalten: Muslime und Orthodoxe.
Wir wollen klären, wer bei Muslimen die Ansprechperson sein kann. Auch müssten in einer öffentlich anerkannten muslimischen Struktur die Frauen das Stimmrecht erhalten. Diese Anforderung wurde 1955 auch an uns Katholiken gestellt. Solche Voraussetzungen erarbeiten die Kirchen und der Kanton derzeit in einem gemeinsamen Verein.
Die kommen sicher, aber wir können uns dem Thema deswegen nicht entziehen. Eine Anerkennung heisst für uns aber nicht unbedingt, dass Muslime Kirchensteuern einziehen können. Uns schwebt eine sogenannte kleine Anerkennung vor. Diese würde zum Beispiel bedeuten, dass ein muslimischer Seelsorger Zugang zu einem Spital oder Gefängnis einfordern und dort Patienten besuchen darf. Heute hängt das vom guten Willen eines Spitals und eines Gefängnisses ab. Es braucht dafür rechtliche Grundlagen, die auch die Pflichten klar regeln.
Wir können die Muslime und die Orthodoxen nicht mehr einfach ignorieren, nur weil einige glauben, dass sie eine kleine Minderheit seien. Das sind sie definitiv nicht mehr. Die unterschiedlichsten Gruppen der Muslime in unserem Kanton sind zum Teil in zweiter Generation hier und haben ein ganz anderes Verständnis ihrer Religion als in ihren Herkunftsländern. Darum müssen wir jetzt die Voraussetzungen für eine öffentliche Anerkennung klären. Unsere Kirche hat dafür 25 000 Franken gesprochen. Wir wollen nicht, dass die Leute dazu einfach Nein sagen, weil sie Angst haben und Muslimen keine zusätzliche Plattform bieten wollen.
Das ist eher eine Symptombekämpfung. Überall das Kreuz aufzuhängen, löst kein Problem. Bevor wir die christlichen Werte verteidigen wollen, müssen wir sie selbst leben. Zentral ist für mich zum Beispiel die Gastfreundschaft, die nicht vom Gast verlangt, dass er dankbar sein muss. Vielmehr müssen alle, die hier leben, Teil unserer Gemeinschaft werden. Der Papst hat uns 2004 mit der Schrift «Erga migrantes caritas christi» klar einen Auftrag erteilt, wie wir mit Migranten und Flüchtlingen umzugehen haben.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Meine Familie hat sich diese Gedanken vor zwei Jahren gemacht. Unsere Kantonalkirche hatte eine Wohnung für eine syrische Familie in der Stadt Zürich zur Verfügung gestellt. Darauf fand ich, das sei zwar gut für das Gewissen, aber persönlich tat mir das nicht weh, ich wollte mehr. Also besprachen wir das Thema am Familientisch und entschieden, selbst einen Flüchtling aufzunehmen. Unsere drei Kinder sagten sofort, es müsse ein junger Mann sein, weil die es am schwierigsten hätten. So zog ein junger Mann aus Eritrea bei uns ein, der noch immer bei uns wohnt. Er ist eine Bereicherung, es ist einfach gut – ausser, wenn wieder einmal bei den Behörden etwas klemmt.
Der junge Eritreer kam im Februar zu uns und erhielt ein Angebot, im Sommer für einen Maler in unserem Dorf zu arbeiten. Die Behörden reklamierten, weil der Arbeitgeber den Mindestlohn nicht einhielt. Daraufhin musste das Gesuch neu eingereicht und nochmals überprüft werden. Bis der Eritreer arbeiten konnte, war der Sommer fast vorbei, und der Malermeister hatte eigentlich gar keinen Bedarf mehr. Aber sonst sind wir glücklich damit.
Ich bin überhaupt kein Gutmensch, der findet, jeder solle zu Hause nebenbei noch einen Flüchtling beherbergen. Aber jeder soll sich überlegen, welchen Beitrag er leisten kann. Dann müssen wir auch nicht in jedem öffentlichen Raum noch ein Kreuz aufhängen.
Wo der Staat versagt, müssen wir als Kirche einspringen. Im Kanton Zürich erhalten vorläufig Aufgenommene keine Sozialhilfe mehr, sondern nur noch Nothilfe. Dagegen haben wir uns als Kirche laut gewehrt, aber die Stimmbürger haben an den Urnen anders entschieden. Ein junger vorläufig Aufgenommener kann jetzt unmöglich mehr eine Wohnung finden, weil er dafür nicht genug Geld hat. Er bleibt einfach im Flüchtlingsheim hängen und kriegt das Nötigste zum Überleben.
Wir Kirchen müssen uns in solche Debatten einbringen. Zwar werden wir kritisiert, die Kirche habe in der Politik nichts zu melden und solle getrennt sein vom Staat. Aber wenn es um Menschenrechte geht, müssen wir laut werden. Das kann schon zu Spannungen führen. Der Churer Weihbischof Peter Henrici sagte 2004, ein guter Christ könne nicht SVP wählen. Ich glaube, ich könnte ihm recht geben. Es bereitet mir Mühe, wie man sich als Teil einer Kirche sehen kann, wenn man deren wichtigsten Grundwert nicht achtet: für den Nächsten da zu sein. Aber im Johannes-Evangelium steht: In meines Vaters Haus hat es viele Zimmer.
Es muss für alle möglich sein, einen Platz in ihrer Kirche zu finden. Jeder soll sein Talent einbringen können. Wer Mühe hat, Flüchtlinge aufzunehmen, kann vielleicht stattdessen den Kirchenapéro am Sonntag organisieren. Aber ich darf Toleranz für das Engagement der Kirche in der Flüchtlingsbetreuung erwarten.
Ja. Es hat uns alle sehr überrascht. Aber wir respektieren das. Bischof Vitus Huonder lebt nach wie vor in Chur und nicht in Zürich. Und da wird jetzt auch nichts mehr passieren, solange er im Amt ist. Positiv ist: Wir wissen, dass in einem Jahr ein neuer Bischof ernannt wird und der Prozess in Gang kommt. Wir wünschen uns endlich einen Bischof, der in Zürich präsent ist. Ich darf nicht wünschen, ob ein liberaler oder ein konservativer Bischof eingesetzt wird. Aber einer, der zuhört, welche Sorgen uns in Zürich beschäftigen: Das wäre schön.
Ja, das ist durchaus möglich. Aber wenn einer kommt, der sich Zeit nimmt für sein Gegenüber, lernen wir ihn kennen und auch lieben. Wen man hingegen nicht kennt, für den kann man auch kein Gefühl entwickeln.
Im verbleibenden Jahr wird aus Chur nicht mehr viel kommen, auch wenn wohl weiter gegen unser System der Kantonalkirchen geschossen wird. Mein Vorgänger, der sich pointiert äusserte, ist da ein Vorbild für mich. Ich werde ebenfalls deutlich meine Meinung sagen, wenn Kritik kommt. Wenn es ruhig bleibt, warten wir ein Jahr und hoffen.
Unser Wunsch nach einem eigenen Bistum bleibt. Wir sind eigentlich nicht Mitglied des Bistums Chur, sondern seit 200 Jahren nur ein Verwaltungsgebiet, weil früher fast keine Katholiken in Zürich lebten. Jetzt aber ist es extrem wichtig, dass wir unseren eigenen Bischof haben. Wir wären schon zufrieden, wenn wir nur die nötige Aufmerksamkeit erhielten. Wir wären gemäss den Kriterien Roms gross genug, wir müssen aber regeln, dass die anderen Kantone des Bistums Chur keine finanziellen Probleme bekommen. Überzeugt bin ich, dass man die Neueinteilung gesamtschweizerisch regeln muss. Aber derzeit ist das Thema auf Eis gelegt.
Gewisse Kantone, zum Beispiel in der Innerschweiz, haben Angst, sie würden ihre Privilegien verlieren, wenn die Bistümer neu eingeteilt werden. Wir müssen dieses Thema aber weiter hinaus und grösser denken. Was derzeit gut ist für uns, muss es in 50 Jahren nicht mehr sein: Vielleicht können wir die heutigen Privilegien bei der Bischofswahl, zum Beispiel die Mitbestimmung einzelner Kantone, dereinst auch aufgeben, wenn dafür die Mitbestimmung des Kirchenvolks bei der Bischofswahl gewährleistet wird.
Das finde ich sehr schade, auch wenn ihm nur sehr wenige folgen. Viel öfter sehe ich das Gegenteil: Die Leute kommen zwar nicht in die Kirche, zahlen aber weiterhin Kirchensteuer, weil sie sehen, was damit alles Gute geschieht. Das gilt auch für die Kirchensteuern, welche juristische Personen zahlen. Das Geld wird nicht für kultische Gegenstände verwendet, sondern ist für unsere sozialen Aufgaben reserviert. Zudem sind Kirchensteuern viel mehr, als es ein Batzen in die Kasse des Bistums wäre: Man unterstützt damit nämlich auch das grosse freiwillige Engagement in der Kirche, in der viele für Gottes Lohn tolle Arbeit leisten.
Letzte Woche war die Esoterikmesse in Zürich, die immer mehr Leute anzieht. Das zeigt, dass ganz viele Leute auf der Suche sind und in der Kirche keine Antwort finden – weil sie zum Teil gar nicht wissen, was es in der Kirche alles gibt. Als ich vor sieben Jahren in den Synodalrat kam, kannte ich selbst nicht all unsere Angebote. Ein Beispiel: Im Viadukt führen wir eine lässige Jugendkirche, die farbig ist und lebt, aber noch viel bekannter werden muss. Auf solche Angebote müssen wir stärker aufmerksam machen.
Ich glaube, ich bin angekommen, auch wenn das jetzt etwas komisch klingen mag. Ich bin suchend in dem Sinn, dass ich offen bin, auf spiritueller Ebene weiterhin Neues zu erfahren, und nicht das Gefühl habe, ich hätte die Weisheit schon mit Löffeln gefressen. Aber ich bin erfüllt, glücklich, durfte ein schönes Leben führen bisher. Mein Wunsch ist, dass es so weitergeht, mit meinem Mann, mit meinen Kindern. Schön wäre es, irgendwann weise zu werden.
Der Glaube verleiht mir Sicherheit, bietet mir eine Möglichkeit, mich zurückzuziehen, zu überdenken, nachzufragen. Ich habe nicht die Erwartung, dass jemand meine Fehler zurechtbiegt. Aber ich kann gewisse Sachen nach oben delegieren und ruhen lassen. Zu wissen, dass da etwas Grösseres ist, so gross, dass wir es nicht greifen können. Das hilft mir im Leben.
Wir müssen sicher kreativer werden. Wir wollen Leute nicht von den Freikirchen wegreissen und den Anspruch erheben, wir seien die Einzigen, die das Seelenheil verkünden können. Aber es ist wichtig, dass Katholiken und Getaufte wissen, dass sie die Möglichkeit haben, zu uns zu kommen. Migranten in der Schweiz wissen zum Beispiel oft gar nicht, dass sie Kirchensteuern zahlen und darum Anrecht haben auf Seelsorge. Sie meinen, sie müssten dem Pfarrer noch einen Batzen geben.
Das färbt natürlich sehr stark ab. An diesem schlimmen Thema müssen wir noch intensiver arbeiten. In der Schweiz sind wir zwar sehr gut aufgestellt mit Meldepflicht und weiteren Massnahmen. Trotzdem hören wir immer noch von weiteren Fällen. Wir müssen dafür sorgen, dass das nie mehr passieren kann. Mit diesem sehr düsteren Thema hadere ich – wie hoffentlich jeder Katholik.