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Psychologe Dieter Sträuli über die Gründe, weshalb Menschen an Verschwörungstheorien glauben. Und über den mächtigsten Verschwörungstheoretiker unserer Zeit.
Im Diskurs der Verschwörungstheoretiker werden lauter rhetorische Fragen aneinandergehängt, aber nicht beantwortet. Etwa: Sind Ausserirdische 1947 in Roswell abgestürzt? Was, wenn die US-Regierung das UFO-Wrack seither unter Verschluss hielte? Das ist wie in jenen Sendungen, wo Geisterjäger durch Spukhäuser ziehen und plötzlich fragen: ‹War da nicht ein Geräusch?› Oder die Leute, die auf verwackelten Bildern Aliens oder Big Foots zu erkennen glauben. Bis jetzt hat sich nie etwas daraus ergeben. Verschwörungstheorien vermuten oft versteckte Manipulationen durch mächtige Kreise, die es auf unsere Gesundheit und unsere Freiheit abgesehen haben – und die die Wahrheit unterdrücken.
Sie lösen in uns einen gewissen Genuss aus, auch wenn sie vordergründig Angst und Empörung auszulösen scheinen. Die beinahe allmächtigen und kalt berechnenden Verschwörer sind irgendwie grossartig und erwecken auch Neid.
Die menschliche Realität ist der Sprache unterworfen. Unsere Existenz ist von Tausenden Regeln bestimmt. Wir müssen ständig Nachdenken, Grübeln, Zweifeln. Da ist eine starke Vereinfachung der Dinge sehr willkommen. Und dann ist da unsere grundsätzliche Neugier. Wir akzeptieren nicht einfach wie Tiere, dass es regnet, sondern wir fragen uns, warum. Oder eben: Wer schickt den Regen und in welcher Absicht? Wir erfinden Mythen und Verschwörungstheorien, um diese Unsicherheit mit Erklärungen zu unterfüttern.
Da ist tatsächlich etwas im Gange. Trump bedient sich voll aus der Schublade der Verschwörungstheorien. Wenn etwas nicht nach seinem Gusto läuft, dann sind andere, wie etwa die ‹Lügenpresse›, schuld daran. Durch seinen ausfälligen Rede- und Twitterstil mögen sich Verschwörungstheoretiker bestätigt fühlen.
Nein. Laut dem Psychoanalytiker Jacques Lacan müssen wir alle akzeptieren, dass unsere Freiheit und unser Geniessen durch Gesetze eingeschränkt werden. Das weckt aber automatisch die Vorstellung von einem «Ausnahmewesen», das dieser Einschränkung nicht unterworfen ist. Deshalb finden Sektengurus und Autokraten so viele Anhänger, weil diese insgeheim glauben, die Existenz ihres Idols beweise, dass sie selbst theoretisch auch in diese Allmachtposition aufsteigen könnten.
Ja, wenn sie Hass auslösen, indem sie bestimmten Bevölkerungsgruppen die Schuld an Katastrophen zuschieben. Wenn zum Beispiel jemand behauptet, jüdische Machtkreise würden «die Welt kontrollieren», oder islamistische Extremisten wollten «die Schweiz unterwandern».
Das ist unmöglich. Es wird sie immer geben; sie sind Teil unserer Kultur. Andererseits muss man sie bekämpfen, da sie verhindern, dass wir uns mit den wirklichen Problemen auseinandersetzen.
Auch die Frage «Wer hat jetzt schon wieder mein Portemonnaie geklaut?», die wir ja alle kennen, geht von einer milden Verschwörungstheorie aus. Sie soll verdecken, dass ich einmal mehr mein Portemonnaie selber verlegt habe. Wir sind alle anfällig dafür. Auch Bildung schützt davor nur bis zu einem bestimmten Grad.
In den 90er-Jahren fragte ich mich mal ernsthaft, ob etwas dran sei an den Berichten über Entführungen durch Aliens. Heute kann ich meine Reaktion selbst nicht mehr verstehen – aber damals waren eben andere Zeiten. An vielen Verschwörungstheorien ist ja auch ein Körnchen Wahrheit, auch an der Chemtrails-Theorie. Die Flugzeuge, in denen wir reisen, verschmutzen ja tatsächlich unsere Umwelt.
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