Bankdaten-Austausch
Zahl der Selbstanzeigen wegen Steuerdelikten steigt – viele Gastarbeiter betroffen

Im Hinblick auf den internationalen Austausch von Bankdaten ab 2018 steigt die Zahl der Selbstanzeigen auf den Steuerämtern. Betroffen sind viele Gastarbeiter.

Anna Wanner
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Auch Immobilien im Ausland müssen den Schweizer Behörden gemeldet werden. Im Bild Manarola in Cinque Terre, Italien.

Auch Immobilien im Ausland müssen den Schweizer Behörden gemeldet werden. Im Bild Manarola in Cinque Terre, Italien.

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Der automatische Informationsaustausch (AIA) besiegelt das Ende des Bankgeheimnisses und hat zum Ziel, notorische Steuerhinterzieher zu überführen. Jetzt zeigt sich aber, dass den Steuerbehörden nicht (nur) die grossen Fische ins Netz gehen, sondern in der Schweiz viele Ferienhausbesitzer, viele Italiener, Spanier, Portugiesen und Doppelbürger betroffen sind.

Besorgte Personen gelangen an Infostellen von Migrationsverbänden, nachdem sie irgendwo aufgeschnappt haben, dass ihr Haus auf Sardinien oder ihr Bankkonto in Spanien zwingend bei den hiesigen Steuerämtern angemeldet werden muss. Dabei ist irrelevant, ob das Geld oder die Immobilie vererbt oder geschenkt wurde. Auch wenn das Haus im anderen Land bereits versteuert wird, ändert sich am Gesetz nichts: Wer in der Schweiz Wohnsitz hat, muss Vermögen, Einkommen und Schulden deklarieren – und zwar weltweit.

Höchste Zeit, sich zu stellen

Das ist nicht neu. Aber nun drängt die Zeit. Denn ab Anfang 2018 tauscht die Schweiz über den AIA Bankdaten mit rund hundert Staaten aus, auch mit der EU. Dann können die Steuerbehörden ausländische Konten von in der Schweiz lebenden Personen einsehen und kontrollieren, ob sie ihre Steuern ehrlich bezahlen. Zwar sind Immobilien nicht direkt in den Bankdaten erfasst. Doch oftmals haben Hausbesitzer gleichzeitig ein Konto im jeweiligen Land, über das sie den Unterhalt, Reparaturen, Strom und Wasser bezahlen.

Wie der AIA funktioniert

Über 100 Staaten akzeptieren den Automatischen Informationsaustausch als Instrument, um Steuerhinterziehern auf die Schliche zu kommen. Auch bekannte Steuerparadiese wie die Cayman Islands, Monaco oder Singapur haben sich zu diesem Standard bekannt. In manchen Staaten sammeln die Finanzinstitute dieser Staaten seit 2016 Bankdaten, leiten diese an die Steuerbehörde weiter. Die Schweiz hat Anfang Jahr damit begonnen und wird ab 2018 mit anderen Behörden Daten automatisch austauschen. So kann überprüft werden, ob eine in der Schweiz wohnhafte Person in einem anderen Land Vermögen deponiert hat, das sie nicht versteuert.

Jetzt wäre also der Zeitpunkt, um die Steuern ins Reine zu bringen. Seit 2010 ist dies in der Schweiz einmalig sogar straffrei möglich – über eine Selbstanzeige beim kantonalen Steueramt. Wer sich korrekt selbst anzeigt, entgeht einer Strafe, muss aber die Steuern (bis zu zehn Jahren) und die Verzinsung nachzahlen. Sobald das Amt jedoch von auswärts Informationen über versteckte Vermögen und Erträge erhält, kommt jede Selbstanzeige zu spät. Das kann zu einer Busse oder Strafe führen.

Rekord bei Selbstanzeigen

Es ist also wenig erstaunlich, dass die Zahl der Selbstanzeigen in den vergangenen Monaten massiv zugenommen hat. 2016 verzeichneten die Kantone der Nordwestschweiz einen Rekord. Im Aargau haben sich die Selbstanzeigen seit Anfang Jahr mehr als verdoppelt. In sechs Monaten gingen 340 Meldungen ein (2016 waren es 425 insgesamt). Davon betreffen zwei Drittel ausländische Vermögenswerte und Einkünfte – zudem handelt es sich hauptsächlich um «kleine Fälle», unter 200'000 Franken. In Basel zeigten sich 2016 376 Personen und im Baselbiet 797 Personen an. «Wobei der Zugang an neuen Fällen weiter ansteigt», schreibt die Steuerverwaltung Baselland auf Anfrage. In Solothurn bereinigten im vergangenen Jahr 502 Personen ihre Steuern – 100 mehr als noch 2015. Woher die Steuersünder stammen, kann aus der Statistik nicht herausgelesen werden.

Aber es gibt Indizien. Die Finanzdirektion Zürich schrieb im Januar, dass die starke Zunahme der Selbstanzeigen auf den bevorstehenden AIA zurückzuführen sei. «Das Kantonale Steueramt registrierte jedenfalls mehrere hundert Selbstanzeigen mit ausländischen Liegenschaften sowie Konten und Depots.» Insgesamt gingen dort letztes Jahr 2100 Selbstanzeigen ein, 2015 waren es noch 1500. Wie viele Personen bis Ende Jahr noch ihre Steuerverhältnisse ins Reine bringen wollen, ist ungewiss. Experten gehen davon aus, dass viele in letzter Minute handeln, andere sogar noch länger zuwarten, um zu schauen, was passiert. Die Rede ist von Tausenden Betroffenen.

Viel Überzeugungsarbeit nötig

Einer der Experten ist Mariano Franzin, Präsident von Ital-Uil, der Gewerkschaft der Italiener in der Schweiz. Franzin hat mehr als 60 Infoveranstaltungen durchgeführt und versucht, seine Landsleute davon zu überzeugen, die Häuser in ihrer Heimat in der Steuererklärung anzugeben. Er ist sicher, dass noch viele Selbstanzeigen folgen werden. «99 Prozent der Italiener haben die Steuererklärung im guten Glauben ausgefüllt, nichts Falsches zu machen», sagt er. Denn einerseits bezahlten Hausbesitzer bereits lokale und nationale Steuern in Italien. Andererseits hätten sie das Geld, mit dem sie das Haus in Italien kauften, in der Schweiz bereits versteuert: über den Lohn. «Wenn wir ihnen nun sagen, dass sie ihre Wohnung oder ihr Haus auch in der Schweiz angeben müssen, halten sie das für ungerecht», sagt Franzin. Deshalb müssten die Betroffenen von einer Selbstanzeige überzeugt werden. Auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth kennt dieses Problem von seinen Vorträgen vor Migrantenvereinen. Auch er habe zu erklären versucht, dass Steuerhinterziehung «kein Kavaliersdelikt» sei.

Die Tücken der Selbstanzeige

Die Gewerkschaft Unia engagiert sich ebenfalls in der Aufklärungsarbeit. «Bis zu 600 Personen kommen an einen Anlass», sagt Gewerkschaftssekretärin Marília Mendes. Das Interesse sei «ausserordentlich», genauso aber auch das Unwissen. Das könne zu Problemen führen. «Wir befürchten, dass viele Personen die Vermögenswerte im Ausland nun angeben, aber die Selbstanzeige vergessen», sagt Mendes. Dann gelte die Steueramnestie nicht.

Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Personen Sozialversicherungen beziehen: Wer versteckte Vermögen im Ausland hat, verwirkt möglicherweise seinen Anspruch auf Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen oder Prämienrabatte. Das bedeutet nicht nur eine Kürzung der Leistung. Sozialmissbrauch kann seit Einführung des Ausschaffungsgesetzes happige Konsequenzen haben: Da dieser als Straftat gilt, kann Gefängnis oder Ausschaffung eine Folge sein.

Für die Kantone bedeuten die Anzeigen zwar mehr Arbeit, aber sie nehmen auch mehr Geld ein: Basel hat 2016 rund 8 Millionen, Baselland 6,4 Millionen, der Aargau 13,7 Millionen, Solothurn 1,8 und Zürich 69 Millionen Franken an Nachsteuern eingenommen.