Wo Leben Warten heisst

Grosse Bedenken plagten die Einwohner von Rekingen und Bad Zurzach zu Jahresbeginn. Eine Asylunterkunft für bis zu 93 Flüchtlinge im eigenen Dorf? Spätestens mit dem Tag der offenen Tür am Samstag haben sich die Ängste in Luft aufgelöst.

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Rekingen Asyltag

Rekingen Asyltag

Aargauer Zeitung

Robert Benz

Graue Wolken verhüllen die grauen Reihenhäuser am Rekinger Rossweg. Wer an diesem Morgen bei frostiger Kälte an der Asylunterkunft vorbeigeht, kommt kaum auf die Idee, hier wohnen zu wollen. In der Einfahrt zu Hausnummer 14 stehen Jean-Marie Suter und Kurt Jenni vom kantonalen Sozialdienst und heissen die Besucher willkommen. Gut 50 Leute finden den Weg in die Gruppenunterkünfte der Somalier und Eritreer, Tamilen und Singhalesen. Hemmungen sind da, Berührungsängste zu Beginn und der Anstand, der doch gebietet, nicht einfach in ein fremdes Wohnzimmer, geschweige denn Schlafzimmer einzudringen.

Zum Glück öffnet sich die Tür von allein: Lamin-Baro streckt die Hand hin, lächelt und grüsst auf Englisch. Er ist 21 Jahre alt, kann gerade noch erzählen, dass er gerne Fussball spielt, bevor Mohamed Hussein Musa und Sulayman Foday Mahdi dazukommen und in ihr Zimmer einladen. Dort stehen drei Betten, eng an eng, ein mittelgrosser Schrank und vor dem Fenster hängt ein übergrosses blaues Tuch mit Sonnen-Motiv, das als Vorhang dient und durch die hereinwehende Luft einem Segel gleicht. Sauber ist es hier und aufgeräumt, aber wie kommt es, dass die hitzeerprobten Ostafrikaner bei dieser Kälte ihr Fenster nicht schliessen? Es sei die Luft, «the smell», ein schlechter Geruch sei schwerer zu ertragen als die Kälte, sagen sie. Beide gehen barfuss.

Betreuer-Trio «Papa» und Chefbetreuer Dirk Clevenow, Gruppenleiter Robert Lang und Betreuer Niklaus Hauser (von links) wollen Werte vermitteln. (rbe)

Betreuer-Trio «Papa» und Chefbetreuer Dirk Clevenow, Gruppenleiter Robert Lang und Betreuer Niklaus Hauser (von links) wollen Werte vermitteln. (rbe)

Aargauer Zeitung

Dann erzählen sie, dass sie schon mehr als zehn Monate hier seien. 10 Franken bekommen sie pro Tag, um sich zu verpflegen. Wer einen Tag Sozialarbeit macht, kriegt 7 Franken zusätzlich. Nach einem Tag Arbeit könne man sich gerade einmal eine Schachtel Zigaretten leisten, lachen sie. Die Schweiz sei teuer, doch sind sie froh, dass sie hier sein dürfen.

Zurzeit nicht voll ausgelastet

Nebenan im Fernsehzimmer schaut einer CNN, in der Küche stehen rund zehn Gäste, die mit Betreuer Dirk Clevenow in ein Gespräch vertieft sind. Mit 65 Asylsuchenden ist die Unterkunft in Rekingen zur- zeit nicht ausgelastet. Aus guten Gründen hat man die Menschen nach Ethnien getrennt in Wohngruppen eingeteilt. Im Gegensatz zu den Afrikanern sind die Flüchtlinge aus Sri Lanka sehr gerne in Gruppen zusammen. So auch am Samstag gegen halb zwölf. Der Grossteil sitzt im Aufenthaltsraum auf zwei Couchs, sechs von ihnen spielen Rommy, einer liest, die anderen schauen zu. Sofort wird für den Gast Platz geschaffen, und die noch nicht im Raum sind, stossen im Laufe des Gesprächs dazu. Dankbar zeigen sie sich für die Möglichkeit, hier sein zu dürfen. Es sei zwar kalt, aber die Schweiz sei ein «Gentleman's Country», ein Land der Freundlichkeit und des Anstands. Trotzdem: Wenn es in Sri Lanka mehr Freiheiten gäbe, wären sie sicher nicht weggegangen, nur um hier auf den Asylentscheid, auf Arbeit oder auf den Deutschkurs zu warten.

Status von Asylbewerbern

Bei den Bewohnern der Asylunterkunft in Rekingen handelt es sich um Asylsuchende mit Status N oder F, die noch keinen oder einen negativen Asyl-Entscheid erhalten haben. Status N bedeutet, dass sich die Person im Asylverfahren befindet, aber noch keinen Entscheid erhalten hat. Sie dürfen ein Beschäftigungsprogramm absolvieren und erhalten pro Tag 7 Franken Lohn. Ein F-Status bescheinigt die vorläufige Aufnahme, die es erlaubt, den Asylbewerber zu integrieren und auf Arbeitssuche zu schicken. Bemüht sich der Betreffende nicht genügend um eine Stelle, wird sein staatlicher Zuschuss gekürzt. Personen im B-Status wird definitiv Asyl gewährt. (rbe)

Das Kontingent an Deutschkurs- und Beschäftigungsprogramm-Plätzen, das den Betreuern in Rekingen zur Verfügung steht, ist auf 20 respektive 15 Plätze beschränkt. Im Tagesablauf der 30 andern gibt es wenig Aufregendes. Dirk Clevenow, der von den Asylbewerbern als Chef-betreuer angesehen wird, legt Wert darauf, dass jeder spätestens um halb neun aufsteht. Ist die Zimmerordnung nicht nach «Papas» Vorstellungen, wird geputzt und aufgeräumt. Und danach? Einer geht spazieren, der andere einkaufen, ein Dritter kocht «und manchmal», so Betreuer Niklaus Hauser, «geht es auch einfach darum, die Zeit tot- zuschlagen».

Keine Probleme

Während drinnen die Tamilen Rommy spielen, wird draussen gegessen. Die Feuerwehr hat ein Zelt zur Verfügung gestellt und dort verteilen die Eritreer ihre Spezialität: die «Engera», eine Art dicke, weiche Crêpe, muss auseinandergerissen werden, um mit ihr die «Zigni» (die an Gulasch erinnert) und die «Schiro» (eine scharfe, zähflüssige Sauce) zu greifen, erklärt Sielo Ghebreweld, der anschliessend auf Deutsch seinen Nachnamen buchstabiert. Wohlwollend erklärt währenddessen Gemeinderat Jürg Fischer, es habe in keinster Art und Weise Probleme mit den Asylsuchenden gegeben, obwohl es doch recht viele seien.

Und die Nachbarn Bruno und Marianne Leber ergänzen: «Immer sagen sie Grüezi. Oft winken sie im Vorbeigehen und mit den Kindern verstehen sie sich gut.» Ihre Betreuer dürfen sich rühmen, das Hauptziel erreicht zu haben, denn sie wollen Werte vermitteln: So ist es hier in der Schweiz.