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Schweiz
Solange ein nationales Polizeigesetz fehlt, will der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger neue Regeln zur polizeilichen Datenbearbeitung nicht mehr unterstützen. Die heutige Menge an Erlassen sei bedenklich, weil sich Bürger und Polizisten nicht zurechtfinden könnten.
Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger ist besorgt: Die Bundesverwaltung versuche vermehrt, in neuen Gesetzen den Bürgern den Zugang zu Dokumenten vorzuenthalten. «Es laufen gewisse Bemühungen, um das Öffentlichkeitsgesetz zu durchlöchern», sagte Lobsiger gestern in Bern an seiner Jahresmedienkonferenz.
Festgestellt hat er dies etwa bei der Zollverwaltung oder beim Bundesamt für Gesundheit. «Wenn diese Ausnahmen Fuss fassen, fürchte ich, dass der Bann gebrochen ist.» Der oberste Datenschützer warnt: Transparenz sei nötig, Geheimhaltung befördere Verschwörungstheorien.
Im Clinch steht Lobsiger auch mit dem Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Künftig, so kündigt er an, will er demonstrativ alle neuen Gesetzesentwürfe zur Ablehnung empfehlen, die das Departement dem Parlament vorlegt – wenn es darin um die polizeiliche Bearbeitung sensibler Daten geht. Im Gegensatz zu den Kantonen fehle dem Bund ein eigentliches Polizeigesetz, sagt Lobsiger auf Anfrage. Rund 50 verschiedene Spezialgesetze gebe es, vom Fedpol über die Grenzwache bis hin zu Regeln für Fahndungsdatenbanken.
Die Bearbeitung der Daten erfolgt auf der Grundlage eines Wirrwarrs an polizeirechtlichen Spezialgesetzen.
Für den Bürger – und auch für die Polizisten an der Front – sei die jeweils geltende Regelung nicht zu durchschauen. «Selbst für Anwälte ist dies nicht immer zu bewältigen.» Aus rechtsstaatlicher Sicht, so Lobsiger, sei deshalb ein Gesetz nötig, das für den Bürger verständlich sei. Der Bund zögere dies seit Jahren heraus. Lobsiger erklärt dies damit, dass ein Gesetz umstritten wäre, geht es doch um die Bearbeitung heikler Daten und grosse Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Bürger.
Allerdings dürften in Zukunft gerade im Bereich strafrechtlicher Ermittlungen datenschutzrechtlich noch viel heiklere Fragen zu klären sein: Laut Lobsiger ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei Gesichtserkennungsprogramme einsetzen will. Auf der Agenda stehen auch die Fragen, ob über die DNA Verwandtenabgleiche erlaubt werden oder welche phänotypischen Merkmale aus der DNA gelesen werden dürfen.
Sorgen bereitet Lobsiger, dass immer geringere Delikte genügen, um solche Eingriffe zu rechtfertigen. Zuletzt hat das Parlament Präventivmassnahmen zum Schutz vor möglichen Terroristen diskutiert. Lobsiger kritisiert, dass es für Massnahmen nicht einmal mehr einen Verdacht braucht, dass jemand eine Straftat begangen habe. Es reiche, wenn er «aufgrund der Lebensumstände und des Verhaltens als gefährlich eingestuft» wird.
Lobsiger spricht von einer bedenklichen Ausdehnung. In den zuständigen Parlamentskommissionen wurde er zu diesem Gesetz jedoch nicht einmal persönlich angehört. Sorgen bereitet ihm auch, dass künftig auf das Handy von Asylsuchenden zurückgegriffen werden soll, wenn sie keine Ausweispapiere vorlegen. «Hier betreten wir einen ganz sensiblen Bereich», sagt Lobsiger – und warnt: Es sei eine Illusion, zu glauben, dass derartige Dateneingriffe auf Asylsuchende beschränkt blieben. «Übergriffige Datenbearbeitungen des Staates werden immer zuerst mit Minderheiten ausgetestet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle damit Bekanntschaft machen.»