In drei von zehn Fällen hat die Justiz im vergangenen Jahr von einer obligatorischen Landesverweisung abgesehen. Die Zahlen des Bundes sind allerdings weiterhin unvollständig.
2018 haben die Schweizer Gerichte in 1700 Fällen gegen einen Ausländer oder eine Ausländerin eine Landesverweisung ausgesprochen. Bei den Verurteilungen für eine Straftat, die gemäss dem Ausschaffungsgesetz eine obligatorische Landesverweisung nach sich zieht, ist diese in 71 Prozent der Fälle auch tatsächlich ausgesprochen worden.
Das sind die nackten Zahlen, die das Bundesamt für Statistik (BFS) gestern veröffentlicht hat. Doch sie erzählen nicht die ganze Wahrheit. Nachdem die Publikation der Ausschaffungszahlen im vergangenen Jahr für grosse Verwirrung gesorgt hatte, wird die neuste Statistik von umfangreichen Erklärungen des BFS begleitet. Die Quintessenz: Auch die Zahlen für das Jahr 2018 sind unvollständig.
Einerseits lassen sich weiterhin nicht alle Delikte, die zu einer obligatorischen Landesverweisung führen, aus dem Strafregister herausdestillieren. So fällt ein Diebstahl nur in Verbindung mit einem Hausfriedensbruch unter den Ausschaffungsartikel. Eine solche Verbindung ist aus dem Strafregister aber nicht zu entnehmen. Bei der Berechnung, wie oft eine Landesverweisung verhängt wurde, hat das BFS deshalb die Diebstähle mit Hausfriedensbruch ausgeklammert. Nicht berücksichtigt wurden zudem die einfachen Betrugsdelikte, da die Richter für diese nur in bestimmten Fällen eine Landesverweisung aussprechen müssen.
Das BFS weist zudem darauf hin, dass die Zahlen keine Aussagen zur Anwendung der Härtefallklausel zulassen. Mit dieser Klausel hatte das Parlament die Ausschaffungs-Initiative zum Ärger der SVP völkerrechtskonform umgesetzt. Die Gerichte können demnach «ausnahmsweise» auf eine obligatorische Landesverweisung verzichten. Gemäss BFS geht aus dem Strafregister aber nicht hervor, ob wegen eines Härtefalls von einer Ausschaffung abgesehen wurde – oder weil die Tat beispielsweise in entschuldbarer Notwehr begangen wurde. Ein Hinderungsgrund könne zudem das Freizügigkeitsabkommen mit der EU sein. Von den im vergangenen Jahr verurteilten EU-Bürgern wurde denn auch nur die Hälfte weggewiesen. Das Bundesgericht hat kürzlich die Ausweisung eines spanischen Drogendealers bestätigt und damit festgehalten, dass die Personenfreizügigkeit nicht vor einer Ausschaffung schützt.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz ärgert sich, dass der Bund fast neun Jahre nach der Annahme der Ausschaffungs-Initiative und fast drei Jahre nach der Inkraftsetzung des Gesetzes keine vollständigen Zahlen vorlegen kann: «Die Verwaltung publiziert unzählige unnötige Statistiken. Die wichtige Information, ob bei den Ausschaffungen der Volkswillen umgesetzt wird, will sie aber offenbar unter Verschluss halten», sagt Rutz. Doch der Bund gelobt Besserung: Seit Anfang Jahr könnten fast alle Ausschaffungsdelikte aus dem Strafregister herausgefiltert werden. Ausserdem ist es gemäss BFS neu auch möglich, die Anwendung der Härtefallklausel im Register zu erfassen. Die Daten für das Jahr 2019 werden also aufschlussreicher sein.
Zwar ist sich auch Gregor Rutz bewusst, dass das Ausschaffungsgesetz seine Wirkung mit Verzögerung entfaltet, da noch viele Fälle bei den Gerichten hängig sind. Dass aber 2018 wie schon 2017 immer noch bei fast einem Drittel aller Fälle auf eine Wegweisung verzichtet wurde, zeige, dass die Härtefallklausel eben nicht wie versprochen nur in Ausnahmefällen zur Anwendung komme. «Die Härtefallklausel muss gestrichen oder stark eingeschränkt werden», sagt Rutz. Für seinen Vorstoss zur Streichung der «Täterschutzklausel» sprachen sich in der Sommersession ausserhalb der SVP allerdings nur vier Nationalräte aus – darunter CVP-Präsident Gerhard Pfister.
Die Zahlen des BFS zeigen, dass die Anwendungsrate mit der Höhe der Sanktion steigt: Wurden im Fall einer Geldstrafe nur zwei von 100 Ausländern des Landes verwiesen, liegt der Anteil der ausgesprochenen Landesverweisungen bei Freiheitsstrafen ab zwei Jahren bei 94 Prozent.