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Schweiz
Nach dem Hin und Her der Kantone zur Öffnung der Skigebiete – fährt es sich noch unbeschwert auf dem Pizol? Ein Augenschein.
Kindergeschrei, Punschgeruch und entspannte Gesichter, die sich der Höhensonne entgegenstrecken. Auf den ersten Blick ist bei der Wiedereröffnung am Pizol alles wie immer. Auf dem Parkplatz unten reihen sich am Donnerstag ausnahmslos Familien- neben Kleinfahrzeug mit St.Galler Kennzeichen aneinander. Um zehn Uhr in der Früh ist er bereits gut ausgelastet aber noch lange nicht voll. Hat das viele Hin und Her der Skigebietskantone die Wintersportler und Bergbegeisterten verunsichert?
Nachdem die kantonale Regierung am Mittwochvormittag grünes Licht gegeben hatte, heisst es auf dem beliebten Sarganserländer Berg wieder «Guten Rutsch». Nicht nur am Silvestertag, dem letzten eines turbulenten Ski-Betrieb-Jahres, auch für Klaus Nussbaumer, CEO der Pizolbahnen AG. Als ihn gestern der Entscheid zur Öffnung erreichte, hiess es, alle Mitarbeiter, die ab der Nacht vom 21. Dezember in Kurzarbeit geschickt worden waren, aufzubieten und die Bahn wieder betriebsbereit zu machen.
Die Pistenbeschilderungen, die zwischenzeitlich vor einem Sturm in Sicherheit gebracht wurden, mussten wieder montiert werden. Die Pisten und Gondeln wurden geprüft, Standspender und Material zur Desinfektion der Gondeln wurde einsatzbereit gemacht.
Auch die Gastronomiebetriebe an Pisten rüsteten wieder auf beziehungsweise ab. Zum Verdruss von Personal wie Gästen. «Völliger Unsinn», sagt ein Mitarbeiter des Berghotel Furt. Wenn es zu Ansammlungen und Warteschlangen käme, dann nur vor den Stuben und Imbisswagen der nach draussen verlagerten Verpflegungsstationen. Könnten Wurst, Tee und Punsch an nummerierten Bistrotischen auf den Terrassen konsumiert werden, wäre das seiner Ansicht nach nicht nur aus infektiologischen Aspekten sinnvoll.
Ein Haushalt beziehungsweise vier Gäste pro Tisch und Contact Tracing an der freien Luft, wie es auch im Sommer bis in den Herbst Usus der Gastronomen war - wo sei da das Problem? Für nicht zu Ende gedacht hält den Verpflegungsaspekt auch Klaus Nussbaumer und zeigt auf drei Mädchen, die ihre wärmenden Kartoffelecken aus Pappbehältern auf dem Boden in einem Fleckchen Sonnenschein essen. «Schafft man so nicht auch eine Gesundheitsgefährdung?», gibt der Geschäftsführer zu bedenken.
Auffällig sei auch, dass die Gäste durch die Kälte des Hochwinters, dem fehlenden Aufwärmen zwischendurch, nach einigen Stunden wieder abreisten. Im Laufe des Silvestertages sei der grosse Andrang ausgeblieben.
«Und davon ganz abgesehen will ich gar nicht an die Folgen für die Umwelt dabei denken», sagt er und verdreht die Augen. Da die Wintersportler nicht am Platz essen können, sondern auf den wenigen Sitzgelegenheiten bei den Toiletten und um die Gondelstation herum notdürftig einen Pausenimbiss improvisieren, werde auch der Müll an Ort und Stelle entsorgt:
Das Verpflegungskonzept wird im Frühling viel Aufräumarbeit verursachen, will man Wild und Natur schützen. Wer denkt an diese Folgen?
Er selbst patroulliert regelmässig auf der Piste und an den Gondelstationen, erinnert wenn nötig an Maskenpflicht und den Abstand. «Wir sind aber keine Polizei und können den Menschen auch nicht alles an Eigenverantwortung abnehmen», sagt Nussbaumer. Inzwischen, so bestätigt auch ein Mitarbeiter der Pizolbahn «haben es die Leute aber verstanden.» Nur noch selten müsse jemand ermahnt werden. Es wird nicht gedrängelt, auch wenn am Donnerstag durchaus mal länger angestanden werden muss.
«Weil nun nur noch einer stehen darf, wo früher fünf nebeneinander anstanden», erklärt ein junger Snowboarder aus dem angrenzenden Sarganserland. Er und seine Freunde seien in den letzten Wochen nach Graubünden ausgewichen, sagt er. Stress pur sei das gewesen, wo man den Berg doch vor der Tür habe. Erleichtert sind sie, endlich wieder hier fahren zu können. Ob auch ein wenig Angst vor Ansteckung mitfahre? «Sicher nicht hier, wenn, dann da unten im Tal», sagt er.
Und auch der Pizolbahnmitarbeiter erzählt: «Meine Frau arbeitet im Einzelhandel. Da ist zur Zeit Mord und Totschlag los an den Kassen, von Abstand halten weit entfernt. Wenn dann hier oben an der frischen Luft Polizei und Zivilschutz aufkreuzen, um zu überprüfen, wie die Vorgaben eingehalten werden, fragt man sich schon, wo da die Logik ist.»
Der CEO der Pizolbahnen-AG wendet sein Gesicht der Sonne zu, die die Piste bilderbuchtauglich funkeln lässt. «Ist es nicht einfach schön?», fragt er. Wie gerufen kommt vor ihm, mit Abstand, eine Gruppe des Pizoler Skiclubs samt Lehrer zum Stehen. Der grüsst ihn beim Namen und ruft: «Endlich, endlich geht es wieder weiter, was, Klaus?»
Klaus Nussbaumer nickt und erinnert an die Folgen für den Ski-Nachwuchs: «Die ganze Pandemie darf nicht nur aus infektiologischer Sicht gesehen werden, sage ich immer wieder. Es geht auch darum, was die Menschen brauchen.» Und was brauchen die Menschen?
Der Schweizer brauche die Natur, die Berge, er wolle raus. Je mehr Skibetriebe geöffnet haben dürfen, umso gewährleisteter sei das seelische Wohl aller und umso mehr verteile es sich, sagt Nussbaumer. Die Mädchen, die Schneeengel im Pulverschnee hinterlassen und lachen, geben ihm Recht. R-Wert, Spitalauslastungen und Menschenansammlungen, scheinen hier oben weit weg.