Der Grenchenberg, einst Vorzeigerojekt, ist Sinnbild für die Energiegewinnung aus Wind im Land. Ein Rechtsstreit blockiert die Realisierung. Wie soll es also mit der Energiestrategie 2015 weitergehen? Diese Frage stellt sich heute dem Ständerat.
Der Blick nach vorne: der Regionalflughafen Grenchen. Gerade biegt eine Cessna auf das Rollfeld ab und entschwindet nach kurzer Beschleunigung in den grauen Himmel. Der Blick nach hinten: die Autobahn. Tausende Autos passieren täglich die Verbindung zwischen Solothurn und Biel, rund um die Uhr. Elias Meier, Präsident des Vereins Pro Grenchen, hat bewusst diesen unwirtlichen Ort ausgewählt, um seinen Kampf gegen den Windpark Grenchenberg zu illustrieren. Es geht um Lärm. Und um Aussicht.
Meier setzt sich in sein Fahrzeug. Auch das könnte symbolischer nicht sein: Es ist ein Twizy, ein elektrobetriebener Zweisitzer. Als wollte Meier zum Ausdruck bringen, dass er nicht grundsätzlich gegen die Energiewende ist. Aber bitte nicht vor der Haustüre.
Die Haustüre, das ist der Grenchenberg. Dort verbringt Meier viel Zeit, mindestens dreimal monatlich gehe er hinauf. Was er dort macht? «Lesen, lernen – und vor allem die Ruhe und die atemberaubende Aussicht geniessen», sagt der angehende Lehrer. All dies sieht er nun in Gefahr. Geht es nach dem lokalen Energieversorger SWG, stehen dort oben schon bald sechs Windturbinen von 160 Metern Höhe. «Ausgerechnet auf der ersten Jurakette, die man vom ganzen Mittelland aus sieht», ereifert sich Meier.
Ob es aber je so weit kommen wird, ist noch völlig offen. Dabei gilt der Windpark Grenchenberg eigentlich als Vorzeigeprojekt. Bereits 2007 wurden erste Messungen durchgeführt, eine Studie erörterte das Potenzial des Standorts, und die Behörden passten die gesetzlichen Grundlagen an. Die SWG als Betreiberin steckte Millionen in die Projektierungsphase. Und sie ist weiterhin überzeugt: «Das ist ein Top-Standort. Wenn man es hier nicht schafft, schafft man es nirgends», sagt Geschäftsleiter Per Just.
Der Ball liegt nun beim Solothurner Regierungsrat, er prüft derzeit die eingegangenen Einsprachen. Die Mitglieder des Vereins «Pro Grenchen» sind im Falle eines negativen Entscheids gewillt, bis vor Bundesgericht zu gehen. An Optimismus mangelt es ihnen nicht: «Nur schon aus formellen Gründen ist das Projekt in unseren Augen nicht haltbar», so Meier. So sei etwa der Umweltverträglichkeitsbericht «willentlich geschönt» worden. Viel wichtiger sind den Windpark-Gegnern aber die standortgebundenen Argumente: Nicht nur würden die Kraftwerke den Blick auf die Hügelkette trüben, auch verursachten die Rotoren gesundheitsschädigende Lärmemissionen und erschütterten das Erdreich übermässig. Die Projektantin SWG weist die Vorwürfe zurück und verweist ihrerseits darauf, alle gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.
Wie er auch immer enden wird, der Rechtsstreit dürfte sich noch jahrelang hinziehen. Der Grenchenberg ist damit sinnbildlich für die allgemeine Situation der Energiegewinnung aus Wind in der Schweiz. Denn der Bau neuer Anlagen ist kräftig ins Stocken geraten. Keine einzige Grosswindanlage wurde in diesem oder im vergangenen Jahr gebaut.
Dabei hat sich der Bund im Rahmen der Energiestrategie 2050, über die ab heute der Ständerat debattiert (siehe Kasten unten), hohe Ziele gesetzt. Vier Terawattstunden will man bis 2050 jährlich über die Windkraft generieren, das ist rund 40-mal so viel wie heute. Aktuell sind gerade mal 34 Grosswindanlagen in Betrieb – um den anvisierten Sollwert zu erreichen, müssten schätzungsweise 800 neue Anlagen gebaut werden. Im umliegenden Ausland, insbesondere in Deutschland, drehen schon bedeutend mehr Rotoren.
Dass den Turbinen hierzulande so steifer Wind entgegenbläst, führt Suisse Eole, die Vereinigung zur Förderung der Windenergie, auf Leute wie Elias Meier zurück. Mittels Einsprachen würden Privatleute und Umweltverbände eine «regelrechte Verhinderungstaktik» betreiben, die letztlich die gesamte Energiewende gefährde, sagt Projektleiter Benjamin Szemkus. Gemäss Angaben von Suisse Eole sind von insgesamt 15 Windprojekten, die seit 2012 initiiert wurden, nicht weniger als 11 durch Einsprachen verzögert. So könne es nicht weitergehen, sagt Szemkus. Man habe Verständnis für die landschaftsschützerischen Argumente, aber ohne Kompromisse sei das Grossprojekt Energiestrategie nicht bewältigbar. «Die unsichtbare Windturbine gibt es nun mal nicht.»
Auch wenn es sie gäbe: Landschaftsschützer Meier würde den Windpark Grenchen dennoch ablehnen – abgesehen von Lärmemissionen und Erschütterungen gefährde eine Turbine zusätzlich Vögel. Die Anlagen auf seinem Hausberg wären in seinen Augen der Dammbruch, dem Hunderte weitere auf der Jurakette folgen würden. Also tingelt er weiterhin durch die Region und versucht, die Bevölkerung für sein Anliegen zu gewinnen. «Ja, ich bin schon ein bisschen ein Fundamentalist, aber die Wertschätzung des Juras ist begründet», sagt er – und hofft, dass sein Einsatz gegen den Windpark Grenchenberg letztlich kein Kampf gegen Windmühlen sein wird.
Es ist nach der Reform der Altersvorsorge das zweite Mammutprojekt, dessen sich der Ständerat in der laufenden Session annimmt: die Energiestrategie 2050. Neben einer drastischen Reduktion des Verbrauchs fossiler Energieträger, dem Ausstieg aus der Atomenergie und zahlreichen Massnahmen zur Energieeffizienz sieht die Vorlage in einem ersten Schritt die Förderung von erneuerbaren Energien vor. Ab 2020 plant der Bund eine Lenkungsabgabe auf nichterneuerbare Energieträger. Der Nationalrat hat gegenüber der Vorlage des Bundesrates bereits einige Veränderungen eingebracht. In zentralen Punkten weicht die vorberatende Kommission des Ständerates nun ebenfalls ab. Folgende Elemente werden in der Debatte besonders zu reden geben:
Zielsetzung: Bundesrat und Nationalrat wollen bis 2035 Elektrizität im Umfang von 14 500 Gigawattstunden pro Jahr aus erneuerbaren Energien generieren – ohne die Wasserkraft einzurechnen. Das würde einen massiven Bau von neuen Anlagen bedeuten. Dem Ständerat scheint das zu ambitioniert. Eine Mehrheit der vorberatenden Kommission schlägt vor, das Ziel bei 11 400 Gigawattstunden festzusetzen. Eine bürgerliche Minderheit will zudem den durchschnittlichen Energieverbrauch pro Person weniger stark drosseln.
Kleinwasserkraft: Der Nationalrat wollte Wasserkraftwerke mit einer Leistung von weniger als einem Megawatt von den Fördergeldern ausnehmen, da sie kleinen Bächen das Wasser entnehmen und verhältnismässig wenig effizient sind. Die Ständeratskommission will die Untergrenze nun wie der Bundesrat wieder bei 300 Kilowatt festlegen.
Stromsparsystem: Der Nationalrat wollte Stromlieferanten zur Teilnahme an einem Bonus-Malus-System verpflichten, um die Effizienz des Elektrizitätsverbrauchs stetig zu steigern. Die Ständeratskommission will diese Stromsparpflicht wieder aus dem Gesetz streichen.
Laufzeit der AKW: Dass keine Rahmenbewilligungen für neue AKW erteilt werden dürfen, ist unbestritten. Der Zankapfel ist, wie lange die bestehenden AKW weiterlaufen dürfen. Der Nationalrat will Beznau I und II nach 60 Jahren abstellen. Leibstadt und Gösgen müssten nach 40 Betriebsjahren ein sogenanntes Langzeitbetriebskonzept vorlegen, das die Atomaufsicht genehmigen müsste.
Eine knappe Mehrheit der Ständeratskommission beantragt, diese Bestimmungen wieder zu entfernen. Mit Ausnahme von Mühleberg, dessen Abschaltung die Betreiber bereits angekündigt haben, könnten demnach alle Schweizer AKW so lange weiterlaufen, wie sie die Behörden als sicher einstufen. (fum)