Mit dem Auftauchen des unflätigen Donald Trump und der Rechtspopulisten in ganz Europa haben die Frauen realisiert, dass sie jetzt wieder kämpfen müssen, wenn sie nicht schon bald wieder am Herd landen wollen.
Am 2. April 2017 würde Iris von Roten (1917–1990), die unbestechliche, lange Zeit verkannte Schweizer Feministin, 100 Jahre alt. Dass sich die Frauen just zu ihrem Jubiläum wieder bewegen, wäre ihr bestimmt eine Genugtuung. Die gerade neu erwachende Frauenbewegung indes ist so bunt und jung wie noch nie, und sie ist ein Sammelbecken für ganz verschiedene Gruppierungen. Sie versucht eine Brücke zu schlagen von feministischen Anliegen hin zu sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz, Diversität, aber auch zu Anstand und Zusammenarbeit in funktionierenden Demokratien.
Am «Women’s March» vom 18. März in Zürich werden deshalb bestimmt auch viele Männer aufmarschieren, während der heutige 8. März mit seinen Streiks und kreativen Aktionen noch weitgehend von Frauen bestritten werden dürfte.
Sicher, in den knapp 60 Jahren seit der Veröffentlichung des bahnbrechendenden Emanzipationswerks «Frauen im Laufgitter» (1958) von Iris von Roten ist viel geschehen. Mit dem Eidgenössischem Frauenstimm- und -wahlrecht (1971), mit dem Gleichstellungsartikel in der Verfassung (1981) und mit dem Gleichstellungsgesetz (1996) ist die Frau dem Mann in der Schweiz formell gleichgestellt. Das aktuelle Eherecht (1988), die Fristenregelung (2002) und die Mutterschaftsversicherung (2005) ermöglichen ihr beruflich wie privat ein selbstbestimmtes Leben. Und mit der Pille kam in den Sechzigerjahren auch die sexuelle Selbstbestimmung, die Iris von Roten so schmerzlich vermisste.
Doch bei genauer Betrachtung wird klar: Die wahre Gleichstellung ist noch nicht erreicht, das grosse Projekt ist noch längst nicht vollendet. In der Schweiz arbeitende Frauen verdienen für gleiche Arbeit immer noch nicht gleich viel Geld wie ihre Kollegen, patriarchale Strukturen versperren ihnen den Zugang zu Kaderpositionen, von Armut und insbesondere von Altersarmut sind sie häufiger betroffen.
Und selbst fortschrittlich gedachte Gesetze wie das neue Unterhaltsrecht (2017) werden von rückwärtsgewandten Richtern unterlaufen, die immer noch glauben, nur die Frau könne Kinder erziehen, was den Mann, für den es noch immer keinen Vaterschaftsurlaub gibt, weiterhin ausgrenzt, statt ihn endlich in die Verantwortung zu nehmen. Und die rechtsbürgerliche Mehrheit, die seit Herbst 2015 im Parlament den Ton angibt, lehnt alles ab, was auch nur leise nach Feminismus klingt – als Erstes gleich die geplanten bescheidenen Frauenquoten in den Verwaltungsräten.
Nach wie vor übernehmen Frauen einen Grossteil der unbezahlten Arbeit. Beruf und Mutterschaft können viel zu wenige vereinbaren. Und auf politischer Ebene bleiben sie markant untervertreten; fast in allen Gremien sind die Zahlen derzeit rückläufig. Im Zürcher Gemeinderat beispielsweise ist der Frauenanteil zwischen 2014 und 2017 von einem Drittel auf einen Viertel gesunken, im Bundesrat ist er gegenüber 2011 halbiert. Diskriminierung erlebt frau am eigenen Körper: Subtiler und auch offensichtlicher Sexismus geschieht täglich, weibliche Sexualität wird tabuisiert, und sogar die hart erkämpfte Fristenregelung musste vor sieben Jahren (2010) erneut verteidigt werden.
Umso erfreulicher, dass jetzt auch wieder vermehrt junge Frauen, auffallend viele zwischen 26 und 34, für die Sache der Frau eintreten. Am medienwirksamsten ist derzeit das lose Kollektiv Aktivistin.ch, das am 14. Juni 2015 erstmals in Erscheinung trat. Mit spektakulären Aktionen – mal lassen die Aktivistinnen Geld auf den Paradeplatz regnen, mal färben sie Brunnen blutrot – machen sie auf die Ungleichbehandlung von Frauen aufmerksam.
Die jungen Frauen treiben die alten Themen um, aber nicht nur: Auch neue Formen von Diskriminierung, die durch die Pornografisierung und die Social Media entstanden sind, werden von ihnen bekämpft. Und sie wehren sich dagegen, dass Männer übermässig Raum beanspruchen, zum Beispiel breitbeinig im Tram oder im Zug (manspreading) oder ihnen in überheblicher Art die Welt erklären wollen (mansplaining).
Dass übrigens der «Pussyhat» zum neuen Symbol des derzeitigen Aufbruchs geworden ist, zeugt von Humor und Selbstironie. Ein durch und durch kreativer Umgang mit der ekligen Grabscherei des Narzissten im Weissen Haus.
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Iris von Roten übrigens könnte dieser Tage noch ein anderes Jubiläum feiern: Am 5. März 1957 verlieh die Gemeindeverwaltung den Unterbächnerinnen VS ein einmaliges Abstimmungsrecht – gegen den Willen von Kanton und Landesregierung. Gesamtschweizerisch gesehen, war es das erste Mal überhaupt, dass Frauen an die Urne durften. Die damaligen Gemeindeväter von Unterbäch wagten diesen Schritt auf Anraten von Iris und Peter von Roten. Seit dieser Zeit gilt Unterbäch als «Rütli der Schweizer Frau». Die diesjährige Gastrednerin, die 27-jährige Anne-Sophie Keller, Journalistin, Aktivistin und Bloggerin, wird an der Feier am 12. März in Unterbäch Iris von Roten, die eigentliche Urheberin des mutigen Urnengangs, entsprechend würdigen, schreibt sie doch gerade ein Buch über Iris von Rotens Bedeutung für die Frauen im 21. Jahrhundert.
Im Dampfschiff Brugg rappt eine Senegalesin am heutigen Tag der Frau für Frauenrechte.