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Schweiz
Die nach Genf geflohene katalanische Ex-Abgeordnete Anna Gabriel wurde abgehört. Spanien wird der illegalen Spionage verdächtigt. Politiker fordern eine Untersuchung durch die Bundesanwaltschaft.
Der Tatort: Genf. Der Tatzeitpunkt: April und Mai 2019. Das Tatmittel: Eine israelische Spionagesoftware, die sich via eine Sicherheitslücke bei WhatsApp Zugriff auf Smartphones verschafft. Das Opfer: Anna Gabriel, Ex-Abgeordnete der linken, separatistischen Partei CUP im katalanischen Parlament.
Gabriel lebt seit Anfang 2018 in der Schweiz. In Spanien ist sie wegen Rebellion, Volksverhetzung und Veruntreuung angeklagt. Grund dafür ist ihre Beteiligung an der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober 2017, welches der spanische Zentralstaat als gesetzeswidrig einstufte.
Den Lauschangriff auf Gabriels Telefon haben die Zeitungen «Guardian» (London) und «El Pais» (Madrid) Anfang Woche publik gemacht. Neben Gabriel sind auch Roger Torrent, der Vorsitzende des katalanischen Parlaments, und der Aktivist Jordi Domingo betroffen.
Ans Licht gebracht haben die Abhöraktion Forscher des Citizen Lab der Universität Toronto. In Zusammenarbeit mit Whats-App untersuchten sie einen breit angelegten Angriff auf fast 1400 Konten von Benutzern auf der ganzen Welt. Deren Smartphones waren mithilfe der Spionagesoftware Pegasus des israelischen Herstellers NSO im April und Mai 2019 gehackt worden. Die Software ermöglicht das Mitlesen von E-Mails und Textnachrichten und das Abhören von Gesprächen. WhatsApp schloss danach die von Pegasus genutzte Sicherheitslücke und verklagte die Herstellerfirma im Oktober 2019 in den USA.
NSO betont, selber keine Lauschangriffe durchzuführen. Sie stelle ihre Software ausschliesslich staatlichen Stellen zur Verfügung, unter anderem für den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität. Falls jemand die Software auf einem Zielgerät installiert habe, sei das nicht durch die NSO, «sondern durch ein Organ einer souveränen Regierung» geschehen, heisst es in einer Stellungnahme der Firma vor Gericht.
Bei dieser «souveränen Regierung» soll es sich im Fall von Anna Gabriel um den spanischen Staat handeln. Wie ihr Genfer Anwalt Olivier Peter der Nachrichtenagentur SDA sagte, gebe es «keinen anderen Staat», der daran ein Interesse habe. Auch Parlamentspräsident Roger Torrent zeigte sich gegenüber «Guardian» und «El Pais» überzeugt, dass Spanien hinter dem Hackerangriff stecke.
Das Büro des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez teilte «Guardian» und «El Pais» mit, keine Kenntnisse von einem Hackerangriff auf die betroffenen Personen zu haben. Allfällige Überwachungen von Mobiltelefonen erfolgten stets mit richterlicher Genehmigung. Und der spanische Nachrichtendienst CNI betonte, stets im gesetzlichen Rahmen zu handeln. Fragen zum Einsatz von NSO-Spyware blieben unbeantwortet.
Beim Hackerangriff auf Anna Gabriel in Genf stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit . Ist dieser tatsächlich durch den spanischen Staat und ohne Einverständnis der Schweizer Behörden erfolgt, kommen die Tatbestände «verbotene Handlungen für einen fremden Staat» und «verbotener Nachrichtendienst» in Frage.
Laut Bundesamt für Justiz (BJ) ist im Rahmen der internationalen Rechtshilfe «auf Ersuchen eines ausländischen Staates die Anordnung einer Fernmeldeüberwachung» durch das BJ generell möglich, um «den Aufenthaltsort einer beschuldigten Person festzustellen». Dass eine solche Anordnung bei Anna Gabriel erfolgte, darf bezweifelt werden. Das BJ weist von sich aus darauf hin, dass für eine Auslieferung der Sachverhalt auch nach hiesigem Recht strafbar sein muss. Politische Vergehen, wegen denen Anna Gabriel in Spanien angeklagt ist, erfüllen die Voraussetzungen für eine Auslieferung nicht.
Fall der spanische Staat tatsächlich in der Schweiz spioniert hat, sagt SP-Nationalrat Fabian Molina, «haben wir in den bilateralen Beziehungen ein Problem, das klar und deutlich angesprochen werden muss.» Für Grünen-Präsident und Nationalrat Balthasar Glättli könnte es sich gemäss den aktuell vorliegenden Informationen um verbotenen Nachrichtendienst in der Schweiz handeln: «Ich erwarte von der Bundesanwaltschaft, dass sie den Bundesrat rasch um eine Bewilligung für eine Strafuntersuchung ersucht.» Die Bundesanwaltschaft führt derzeit «kein Strafverfahren in diesem Kontext», heisst es dort auf Anfrage