Politische Bildung
Wermuth will mehr Debatten im Nationalrat – das Parlament aber will nicht zusätzlich parlieren

SP-Mann Cédric Wermuth will aus dem «Arbeits- ein Debattenparlament» machen. Die Ratskollegen haben dafür wenig Musikgehör – vor allem wegen eines «taktischen Fehlers».

Antonio Fumagalli
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Cédric Wermuth: «Es braucht wieder ein Debatten- statt ein Arbeitsparlament.»

Cédric Wermuth: «Es braucht wieder ein Debatten- statt ein Arbeitsparlament.»

Keystone

«Parlament» ist nicht eben ein urdeutsches Wort. Es stammt aus dem altfranzösischen «parlement», was so viel wie «Unterhaltung» oder «Erörterung» bedeutete – und sich auf Deutsch in «parlieren» niederschlug.

Genau das tue der Nationalrat zu wenig, findet SP-Mann Cédric Wermuth. «Es braucht wieder ein Debatten- statt ein Arbeitsparlament», sagt der Aargauer Nationalrat. Die grosse Kammer befindet morgen Freitag über seinen entsprechenden Vorstoss.

Es gibt tatsächlich Erhellenderes, als eine Ratsdebatte im Internet, auf der Besucher- oder Pressetribüne im Bundeshaus zu verfolgen. Das Geschäftsreglement des Nationalrats definiert, wer bei welchem Geschäft das Rederecht hat.

In den meisten Fällen beschränkt es sich auf die Berichterstattenden der Kommission, den zuständigen Bundesrat, den Urheber des Vorstosses und das Ratsmitglied, das diesen bekämpft. Zudem ist die Redezeit beschränkt.

Meinungen sind meist gemacht

Das führt dazu, dass die meisten Nationalräte vorgefertigte Stellungnahmen ans Rednerpult mitbringen. In der Regel haben sie diese selbst verfasst, aufgrund der Arbeitsbelastung kommt es aber vor, dass Interessengruppierungen mitgewirkt hatten. Wirklich frei sprechen die allerwenigsten Parlamentarier, ansonsten könnten sie in der beschränkten Zeit ihre Kernbotschaft gar nicht platzieren.

Wobei: Ob diese im Saal überhaupt jemand mitkriegt, ist nicht so sicher. Der Lärmpegel ist hoch und oftmals hören nur wenige zu – denn die Meinungen sind ohnehin schon gefestigt. In aller Regel wissen die Parlamentarier bereits vor einer Abstimmung, welchen Knopf sie drücken (müssen).

Etwas Leben kommt im Plenum erst auf, wenn ein Votant eine sogenannte Zwischenfrage von seinen Ratskollegen beantworten muss. Gewiefte Rhetoriker nutzen diese Gelegenheit jeweils, um nur am Rande auf die Frage einzugehen und ihre Botschaft nochmals zusammenzufassen. «Es kann frustrierend sein, eine Frage zu stellen», sagt Lisa Mazzone (Grüne/GE) entsprechend. Einer lebhaften Diskussionskultur sei dies nicht förderlich.

«Ein taktischer Fehler»

Geht es nach Wermuth, soll damit nun Schluss sein. Er fordert, das Geschäftsreglement des Nationalrats so anzupassen, dass «mehr echte Debatten im Parlament möglich werden». Wie das gehen soll, hat er in seinem Postulat bereits skizziert: Die Zwischenfrage und die Möglichkeiten zur Replik sollen erweitert werden.

«Ein taktischer Fehler», ärgert sich Wermuth nun. Denn das vorberatende Büro des Nationalrats steht dem Grundanliegen zwar «positiv gegenüber», lässt aber insbesondere an
der vorgeschlagenen Ausweitung der Zwischenfrage kein gutes Haar. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich die als «protokollarische Wiedergabe» kritisierte Berichterstattung der Nationalräte wesentlich ändern würde.

Zudem sei zu befürchten, dass die deutschsprachige Ratsmehrheit die erweiterten Replikmöglichkeiten überdurchschnittlich benutzen würde.

Wie eine kurze Umfrage zeigt, dürfte das Anliegen chancenlos bleiben. Gleich mehrere Nationalräte erinnern sich mit unguten Gefühlen an ihre Zeit in einem kommunalen oder kantonalen Parlament, wo die Debatten weniger strukturiert sind. «Im Berner Stadtrat mussten wir einmal bis morgens um drei Uhr ausharren, weil sich die Beratungen so in die Länge zogen», sagt Kathrin Bertschy (GLP/BE). Bei längerer Redezeit würden die populistischen Voten zunehmen – was nicht im Sinne der Allgemeinheit sei.

Auch SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz erteilt dem Anliegen eine Absage. Darauf angesprochen, dass er von politischen Gegnern als gewiefter Redner eingestuft wird, der tendenziell von einer Neuregelung profitieren würde, sagt er: «Es kommt nicht auf den Sänger, sondern auf die Noten an.»