Prämein 2016
Wer stoppt endlich den Prämienanstieg?

Auch heuer steigen die Prämien durchschnittlich um 4 Prozent. Nicht nur der Bundesrat, auch die Versicherer geben an, sie wollen mithelfen, die Kosten zu dämpfen. Was können ihre Rezepte bewirken?

Anna Wanner
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Ist das Gesundheitssystem erkrankt? Die Belastung für die Prämienzahler steigt auch dieses Jahr wieder um vier Prozent.

Ist das Gesundheitssystem erkrankt? Die Belastung für die Prämienzahler steigt auch dieses Jahr wieder um vier Prozent.

Keystone

Alle Jahre wieder tritt der Bundesrat Ende September vor die Medien und gibt bekannt, um wie viel die Krankenkassenprämien im kommenden Jahr durchschnittlich steigen. Denn eines ist unumgänglich: Steigen tun sie jedes Jahr. Das versicherte auch Gesundheitsminister Alain Berset. Und er verkündete: 2016 steigen die Prämien im Schnitt 4 Prozent. Das ist ein mittlerer Anstieg um rund 16 Franken pro Monat.

Wie jedes Mal wird nach der Prämienbekanntgabe nach Gründen und nach Schuldigen gesucht. Die Krankenversicherer, die sich selbst als Überbringer der schlechten Nachrichten sehen, stützen sich auf die Gesundheitskosten, die in den letzten zehn Jahren massiv gestiegen sind. Da Prämien diese Kostensteigerungen abbilden müssen, sind sie in gleichem Umfang gewachsen.

Die Rezepte des Bundesrats

Der Bundesrat führt die Alterung der Gesellschaft und den medizinischen Fortschritt als Hauptgründe für die hohen Prämien an. «Krankheiten können mit Erfolg bekämpft werden.

Doch das generiert auch Kosten», sagte Alain Berset. Der Ärzteverband FMH erklärt den Prämienanstieg mit ähnlichen Worten. Nur: Was bleibt als Perspektive, wenn sich die Gesellschaft auch in Zukunft solidarisch mit Kranken und Alten zeigt und ihnen die beste Versorgung gewähren will? Steigen die Prämien munter weiter? Einzelne Rezepte liegen vor:

  • Der Bundesrat hat die Medikamentenpreise jährlich um 600 Millionen Franken gesenkt. Der Effekt auf die Prämien blieb aus, weil neu eingeführte, innovative Medikamente teurer sind. Jetzt will sich der Bundesrat den Generika annehmen, die noch bis zu 50 Prozent teurer sind als im Ausland.
  • Als das Volk 2012 Managed Care ablehnte, verzichtete es auch auf eine integrierte Versorgung, auf Sparen überhaupt. Die Politik versuchte zwar über die Einführung elektronischer Patientendossiers etwas aufzuholen. Doch die Ärzte wehren sich dagegen: Das Patientendossier, das Doppelspurigkeiten und Fehler verhindern sollte, bleibt für Arzt und Patient freiwillig.
  • Dank des medizinischen Fortschritts sind viele Infektionskrankheiten heilbar. Der Fokus verstärkt sich deshalb auf nicht-übertragbare Krankheiten: Diabetes, Krebs, Lungen- und Herz-Kreislauf-Krankheiten verursachen unterdessen 80 Prozent der Gesundheitskosten. Der Bund setzt auf Prävention.
  • Schliesslich wächst der ambulante Bereich überproportional. Das ist für den Patienten positiv, weil er nicht im Spital bleiben muss. Auch kosten ambulante Behandlungen unter dem Strich weniger. Nur: Die Finanzierung verlagert sich stark zulasten der Prämienzahler. Während der Kanton fast die Hälfte an einen Spitalaufenthalt bezahlt, muss bei ambulanter Versorgung die Krankenkasse alles bezahlen. Das Parlament berät demnächst Vorstösse, ob die Finanzierung anzugleichen sei. Auch Krankenkassen sehen im ambulanten Bereich Einsparmöglichkeiten. Als Beispiel führt der Verband Santésuisse die Radiotherapie an. Früher konnten zwölf Patienten pro Tag behandelt werden. Heute sind es 60 – den besseren Computern sei Dank. Ähnliche Fortschritte beim grauen Star: Früher rechnete ein Arzt mit 2,5 Stunden Arbeit pro Patient, heute noch mit 30 Minuten.

Der Tarmed orientiert sich an einem Zeittarif, der den technischen Fortschritt nicht berücksichtigt. Der Arzt rechnet nach «alter» Zeit ab, kann mehr Patienten behandeln und so seinen Verdienst enorm steigern. Der Patient bezahlt hingegen viel zu viel.

Kassen knüpfen sich Ärzte vor

FMH-Zentralvorstand Urs Stoffel sagt dazu: «Natürlich ist der Tarmed nach über zehn Jahren überholt. Das haben wir selbst gemerkt.»

Bloss sei dessen Überarbeitung eine gewaltige Übung, die durch mehrere Blockaden – auch vonseiten der Santésuisse – verzögert wurde.

Auf 2016 wolle die FMH dem Bundesrat eine Revision unterbreiten. Allerdings zeigte sich Berset gestern wenig optimistisch: «Die Verhandlungen kommen nicht voran.» Das Problem: Das Gesetz verlangt, dass die Überarbeitung des Tarifsystems kostenneutral erfolgt. Es könne nicht überall etwas ausgebaut werden, sagt Berset. Sonst koste das am Ende viel mehr als heute.

Stoffel sagt zwar, die neue Tarifstruktur folge «sachgerechten und betriebswirtschaftlichen» Kriterien.

Santésuisse gibt aber an, dass sie aus den Tarifverhandlungen ausgestiegen sei, weil die FMH dem System zusätzliche Kosten aufbürden wolle, indem sie den Tarmed weiter ausbauen wolle. Ob trotz dem Hickhack eine Lösung gefunden wird, ist offen. Dass diese zu stabilen Prämien führt, muss indes bezweifelt werden.