Die Laufzeitbeschränkung für AKW ist definitiv vom Tisch. Nun geht es vor allem darum, wie Gelder verteilt werden.
Als nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in der Schweiz die Energiewende ausgerufen wurde, waren sich viele einig: Mit der Energiestrategie 2050 des Bundesrats könnte das Vorhaben gelingen. Mehrere Tage dauerte es, als der Nationalrat im Dezember 2014 zum ersten Mal darüber debattierte. Die Beratungen sollten wegweisend sein. Doch mit den Wahlen 2015 haben sich die Kräfteverhältnisse in der grossen Kammer verschoben. Jetzt sind SVP und FDP knapp in der Mehrheit. Jene Parteien also, die skeptisch auf die Energiewende blicken. Was bedeutet das für die Energiestrategie?
Gestern kam das Geschäfts erneut in den Nationalrat, um die Differenzen zum Ständerat zu bereinigen. Es war absehbar, dass die kleine Kammer weitgehend auf die mittlerweile ordentlich verwässerte Vorlage umschwenken wird. Das sind die sechs wichtigsten Entscheide.
AKW-Laufzeiten: Das Langzeitbetriebskonzept für Atomkraftwerke ist definitiv vom Tisch. Noch 2014 entschied sich die grosse Kammer, die Laufzeit der ältesten AKW auf sechzig Jahre zu beschränken. Ab vierzig Jahren sollten die Betreiber zudem ein Konzept für das nächste Jahrzehnt vorlegen. Die Linken und die Grünliberalen kämpften gestern vergeblich dafür, das Konzept beizubehalten. Ebenso müssen Betreiber keine strengeren Auflagen erfüllen. Die Stimmbürger werden noch ein Wörtchen mitzureden haben: Die Grünen fordern mit ihrer Atomausstiegsinitiative, dass alle AKW spätestens nach 45 Betriebsjahren stillgelegt werden müssen. Just als gestern die Debatte im Nationalrat lief, gab der Energiekonzern BKW zudem bekannt, dass im Dezember 2019 das AKW Mühleberg definitiv vom Netz gehen wird.
Ausbau erneuerbarer Energien: Weiterhin umstritten sind die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Nationalrat hielt mit 98 zu 95 Stimmen an höheren Zielen fest als der Ständerat. Er will, dass mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird. 2035 sollen ohne Wasserkraft mindestens 14 500 Gigawattstunden von Strom aus Wind oder Sonne stammen. Der Ständerat votierte dagegen lediglich für 11 400 Gigawattstunden.
Förderung erneuerbarer Energien: Neu will auch der Nationalrat die Förderung von erneuerbaren Energien befristen. Tritt das Gesetz erst einmal in Kraft, sollen nach sechs Jahren keine neuen Anlagen ins Fördersystem aufgenommen werden. Einmalvergütungen und Investitionsbeiträge wollen beide Ratskammern ab dem Jahr 2031 auslaufen lassen. Im Gegenzug erhöhten sie den Netzzuschlag auf maximal 2,3 Rappen pro Kilowattstunde.
Grosswasserkraft: Die Preise im europäischen Strommarkt sind tief, damit haben besonders die Schweizer Grosswasserkraftwerke zu kämpfen. Nach dem Ständerat hat sich auch der Nationalrat dafür ausgesprochen, dass die Kraftwerke subventioniert werden sollen. Dafür wählte die grosse Kammer jedoch einen anderen Weg. Sie will nur Werke unterstützen, die in finanzieller Notlage sind. Diese sollen für jene Elektrizität, die sie unter den Gestehungskosten verkaufen müssen, eine Prämie von maximal einem Rappen pro Kilowattstunde erhalten. Eine Mehrheit stimmte zudem für eine Ergänzung von Franz Grüter (SVP/LU). Demnach müssen die Gelder zweckgebunden eingesetzt werden. Die Befürworter betonten die Wichtigkeit der Wasserkraft. «Grosswasserkraftwerke sind systemrelevant», sagte Daniel Fässler (CVP/AI). Die Gegner aus den Reihen von SVP und FDP warnten dagegen vor Marktverzerrungen. So sagte Christian Wasserfallen (FDP/BE), die Subventionen würden jene Werke bedrängen, die heute noch rentabel seien.
Kleinstwasserkraft: Keine Einigkeit herrscht bei den kleinsten Wasserkraftwerken. Der Nationalrat will, dass Werke mit einer Leistung von weniger als einem Megawatt nicht subventioniert werden. Der Bundesrat und der Ständerat wollen die entsprechende Grenze bei 300 Kilowatt ansetzen – und auch kleinste Kraftwerke fördern. Eine Mehrheit unterstützte einen Antrag von Silva Semadeni (SP/GR) und stimmte für die höhere Grenze: Die Linke, weil sie den Nutzen von Kleinstkraftwerken bezweifelt. Und die Rechte, weil sie weitere Subventionen verhindern wollte.
Steuerabzüge: Für Empörung sorgte bei den Linken der Beschluss, an der steuerlichen Förderung von Gebäudesanierungen festzuhalten. Jacqueline Badran (SP/ZH) sprach von einer «Dreistigkeit». Aus Sicht der Bürgerlichen sind Steuerabzüge jedoch ein «entscheidender Treiber» für energetische Sanierungen. Die Abzüge könnten neu auch für Ersatzneubauten geltend gemacht werden. Zuvor wollten nebst dem Ständerat auch die kantonalen Finanzdirektoren nichts davon wissen.
Die Vorlage geht damit zurück an den Ständerat. Spätestens im Herbst dieses Jahres sollen die Beratungen abgeschlossen sein. Noch ist unklar, ob dann das Referendum gegen die Energiestrategie ergriffen wird. Derzeit wird dieses einzig von kleineren Organisationen wie dem Liberalen Institut geplant. Politiker von SVP und FDP verspüren darauf derzeit wenig Lust, das Gleiche gilt für die Wirtschaftsverbände.
Zu den schärfsten Kritikern der Energiestrategie gehört der Freisinnige Christian Wasserfallen. Auf Anfrage bestätigt er, dass er von sich aus kaum das Referendum ergreifen wird – zumal seiner Meinung nach «nun gerade einmal noch 30 Prozent» der ursprünglichen Vorlage übrig seien.