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Schweiz
Über 6 Milliarden Franken will sich die Schweiz den Zugang zum EU-Forschungsprogramm kosten lassen. Doch noch ist vieles offen. Schuld sind der Brexit, die Coronakrise und auch der Streit um das Rahmenabkommen.
6,1 Milliarden Franken für die Jahre 2021 bis 2027: Diese Summe beantragt der Bundesrat beim Parlament, um die Schweizer Teilnahme am EU-Forschungsprogramm Horizon Europe sicherzustellen. Ab heute befasst sich die zuständige Ständeratskommission mit dem Geschäft. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das neuste EU-Forschungsprogramm, das den Zeitraum 2021 bis 2027 abdeckt. Mit ihm fördert die EU Forschung, technologische Entwicklung und Innovation. Und zwar mit einer Menge Geld. Für das neuste Programm sieht der Voranschlag der EU-Kommission 94 Milliarden Euro vor.
Ja, das darf sie. Allerdings ist derzeit noch unklar, in welcher Form. Und damit in welchem Umfang. Die Schweiz möchte sich - wie in der Vergangenheit bei Horizon2020 - voll assoziieren. Doch derzeit sieht die EU-Kommission für die Schweiz nur noch den Status eines assoziierten Landes der untersten Kategorie vor. Das könnte mit erheblichen Einschränkungen etwa für hiesige Forscher verbunden sein. Die Schweiz will in den Verhandlungen mit der EU deshalb erreichen, dass sie weiterhin voll assoziiert wird und an allen Teilen des Forschungsprogramms teilnehmen darf.
Zuerst einmal: Die Verhandlungen sind noch nicht einmal angelaufen, und in Bern rechnet man damit, dass sie erst Ende Jahr aufgenommen werden. Das liegt unter anderem am Gezerre um das neue EU-Budget, das von der Coronakrise beeinflusst wird. Und solange dieses nicht steht, bleiben auch bei Horizon Europe Fragen offen - etwa jene, wie viel Geld dort hineinfliessen soll. Und wie viel davon aus der Schweiz kommen muss. Ein weiterer Faktor sind die Brexit-Verhandlungen, die sich in die Länge ziehen. Bevor diese nicht abgeschlossen sind, kann die Schweiz keine Zugeständnisse aus Brüssel erwarten. Wenn die Verhandlungen dann einmal laufen, könnte noch der Faktor Rahmenabkommen ins Spiel kommen. Die Schweiz vertritt zwar den Standpunkt, dass dieses nichts mit der Forschungszusammenarbeit zu tun hat. Doch die EU hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie nicht davor zurückschreckt, das Rahmenabkommen einzusetzen, um den Druck auf die Schweiz zu erhöhen.
Der Bund kann die Verhandlungen mit der EU nur abschliessen, wenn das Parlament die Mittel bewilligt. Dieser innenpolitische Prozess läuft heute mit den Beratungen in der Ständeratskommission an. Fundamentalopposition gegen eine weitere Beteiligung am Horizon-Programm kommt bisher nur von der SVP.
Eines vorweg: Es handelt sich bei den 6,1 Milliarden um ein Kostendach. Im Vergleich zum letzten Horizon-Programm wird die Teilnahme für die Schweiz deutlich teurer. Der Bund rechnet mit 37 Prozent höheren Pflichtbeiträgen. Das liegt einerseits daran, dass die EU deutlich mehr in Forschung und Innovation investiert, um mit Ländern wie China und den USA konkurrenzfähig zu bleiben. Und es liegt andererseits auch an einer neuen Berechnungsmethode. Basis der für den bundesrätlichen Antrag ist eine Vollassoziierung der Schweiz an Horizon Europe, also die Maximalvariante.
Dann will der Bundesrat die Mittel nutzen, um Ersatzmassnahmen zu ermöglichen. Zum Beispiel würde das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation in diesem Fall Beteiligungen von Schweizer Forschern finanzieren, die keinen direkten Zugang zu EU-Forschungstöpfen mehr haben. Wichtig zu wissen ist noch eines: Die neuen EU-Regeln sind so ausgestaltet, dass künftig kein positiver oder negativer Rückfluss mehr möglich ist. Das heisst konkret: Was ein Staat einbezahlt, bekommt er auch zurück.
Wer nicht voll assoziiert ist, darf nicht bei allen Programmteilen mitmachen, vor allem nicht bei den prestigeträchtigen Ausschreibungen des Europäischen Forschungsrats. Das, sagt der Quantenphysiker Tilman Esslinger, der an der ETH Zürich forscht und in deren Forschungsrat sitzt, hätte für den Schweizer Forschungsplatz «verheerende Folgen». Bei den sogenannten ERC-Grants, so Esslinger, messen sich die internationalen Forscher mit ihren Spitzenprojekten. «Wenn wir diesen Zugang nicht mehr bieten können, werden viele der besten Ideen nicht mehr hier heranwachsen. Das würde die ausgezeichnete Stellung unseres Forschungsplatzes gefährden», sagt Esslinger, der selbst schon ERC-Grants gewonnen hat. Generell waren Forscher aus der Schweiz in diesem Bereich bis anhin besonders erfolgreich, sowohl bezüglich der Erfolgsquote von Forschungsprojekten (21 Prozent) als auch der absoluten Zahl der bewilligten Projekte. Hier belegte die kleine Schweiz Platz 6.
Ja, diese Angst begleitet den Forschungsplatz schon seit Längerem. Tilman Esslinger sagt es so: «Die Schweiz hat sehr von der vollen Assoziierung profitiert, wir haben einiges aufgebaut. Das hat Zeit gebraucht. Kaputt geht so etwas leider viel schneller.»