Das Prinzip der Rohrpost ist 150 Jahre alt. Im Kantonsspital Aarau sausen auch im E-Mail-Zeitalter pro Tag 2000 Büchsen durch das Röhrensystem. Denn: Im KSA können weder E-Mail noch Faxgeräte die handfeste Rohrpost ersetzen
Sabine Kuster
Das Herz pumpt Sauerstoff in die Muskeln, Mittagsmenüs werden von der Spitalküche in die Patientenzimmer gefahren, ein Oberarzt schickt ein E-Mail an die Kollegen. Ein Spital ist voller Systeme, Leitungen und Netze aller Art. Die meisten bekommen die Patienten nie zu Gesicht. Eines davon ist die Rohrpost.
Die Rohrpost des Kantonsspitals Aarau (KSA) ist seit Dezember 1979 in Betrieb. 2007/2008 wurde das System modernisiert: Die Steuerung mittels Relaistechnik wurde durch eine elektronische Steuerung ersetzt. Während vorher die Haus- und die Stationsnummer mittels Drehens von Metallringen an den Büchsen eingestellt wurden, wird heute der Zielort in ein elektronisches Übermittlungskästchen neben der Station eingetippt und so im Büchsen-Chip gespeichert.
Das neue System stammt von der Firma Swisslog AG in Buchs. Thomas Zeller, Leiter der Abteilung Bau und Technik am KSA, ist noch nicht restlos glücklich damit. Verschiedene Mängel seien noch nicht behoben, sagt er. Hat eine Büchse zum Beispiel zu lange, bis sie am Ziel ankommt, weil zu viel Verkehr herrscht, so meldet sie das Computersystem als «verloren».
Werner Schaub, Verantwortlicher bei Swisslog für die Rohrpost in der Schweiz, sagt dazu: «Das System im KSA ist eine Speziallösung: Eine neue Steuerung wurde in eine alte Anlage eingebaut - das ist nie ideal.» So seien die neuen Büchsen zwar günstiger, aber zu leicht für die alten Röhren. Die Zusatzgewichte, die angebracht werden müssten, führten zu Problemen. «Wir sind am Verbessern, aber die Versuchsserie nach Lösungen ist noch nicht abgeschlossen.» Die Mängel würden in den nächsten Monaten behoben, sagt Schaub. (kus)
10 Kilometer langes Netz von Röhren
So auch in den Kantonsspitälern Aarau und Baden. Die Rohrpost im Kantonsspital Aarau (KSA) hat mit rund 10 Kilometer Röhren das grösste Netz. 12 Linien führen zu insgesamt 82 Stationen und wieder zurück. Pro Tag saugen 32 Gebläse 2000 Büchsen mittels Vakuum durch 22 Weichen an ihren Bestimmungsort.
Neben dem grossen Rohrpostnetz gibt es noch ein zweites, kleineres und schnelleres, welches den Notfall mit zwei Intensivstationen, dem Labor und dem Operationssaal verbindet.
Ausnahmsweise kommt eine Banane ins Postfach
Ins Labor sausen Blutproben, in die Pathologie werden Gewebeproben geschickt und Befunde kommen zurück. Mit der Rohrpost werden auch Telefonkarten an die Patienten verteilt - und manchmal kriegt jemand auf diesem Weg eine Banane. Für Bananen ist die Rohrpost natürlich nicht vorgesehen und auch der Transport von Schokolade oder Liebesbriefen ist eigentlich verboten, denn solche Sendungen belasten das Rohrsystem. Hin und wieder komme es halt dennoch vor, schmunzelt Roger Hohl, Leiter der Betriebstechnik des KSA.
Hohl kennt jede Station auf dem Spitalgelände und die langen Röhren, die zu ihnen führen. «Das System ist rationell und funktioniert auch mitten in der Nacht», sagt Hohl. Ab und zu geht dennoch etwas schief: zum Beispiel, wenn der Korb einer Empfangsstation voll ist und mit dem Rückstau den betreffenden Leitungsarm lahmlegt. Oder wenn eine Büchse nicht richtig geschlossen wurde und eine Röhre dadurch blockiert.
Eine Blutprobe zerbrach in der Büchse
Dann kriegen die Mitarbeiter der Betriebstechnik eine Fehlermeldung vom System. Im schlimmsten Fall funktioniert der betroffene Abschnitt mehrere Stunden lang nicht, weil die Techniker Rohre auseinanderbauen müssen. Ein ungewöhnlicher Zwischenfall geschah letzten Monat, als eine Blutprobe in einer Büchse zerschellte. Zerbrechliches wird normalerweise in Schaumstoff gehüllt in den Büchsen transportiert, doch in diesem Fall waren die Proben nicht fachgerecht verpackt und verursachten in der Büchse eine unschöne Bescherung.
Solches ist aber selten, in den allermeisten Fällen erreichen die Büchsen ihren Bestimmungsort mit einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern in der Stunde binnen zwei bis drei Minuten.
Diese Lieferungen kommen mit einem Knall
Die Rohrpost ist eine sehr unmittelbare und lautstarke Kommunikationstechnik. Im Verteilzentrum des grossen Röhrensystems unter dem Haus 1 knallen die Büchsen fast im Sekundentakt herein. Ein Verteiler verschiebt die Büchsen ins richtige Rohr für die Weiterfahrt. Durch eine Schleuse gelangt sie anschliessend wieder ins Röhrensystem und wird per Vakuum ans Ziel gesaugt.
Der handfeste und geräuschvolle Effekt der Rohrpost ist nicht zu unterschätzen: «Anders als ein E-Mail, das sich fast unbemerkt in die Liste neuer Mails im Computer reiht, löst eine Rohrpostbüchse mehr aus», sagt Zeller, Leiter der Abteilung Bau und Technik beim KSA. «Rohrpost hat automatisch mehr Bedeutung.»
Auch wenn die Patienten bald elektronische Krankenakten haben und Röntgenbilder von überall auf den Computer abgerufen werden können, bleibt die Rohrpost im KSA bestehen. «Vor einigen Jahren dachten wir, das System würde bald einmal überflüssig», sagt Zeller. «Doch anhand der Statistik merkten wir: Es gibt sogar eine leichte Zunahme in der Benutzung.» 2008 bei der Umrüstung des Systems wurden daher von den 88 Stationen bloss die 6 am wenigsten genutzten geschlossen. Allfällige Neubauten mit wichtigen Stationen werden auch in Zukunft mit der Rohrpost verbunden.