Forschung
Warum aus dem Schweizer Corona-Impfstoff bisher nichts geworden ist

Schweizer Forscher kündigten im Frühjahr an, möglichst rasch einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln. Sie scheiterten an fehlendem Glück, Geld und einer Pharmabranche, die sich aus dem Impfgeschäft verabschiedet hat.

Peter Blunschi/watson.ch
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Der Impfstoff von Pfizer/Biontech wird für die ersten Impfungen in der Schweiz vorbereitet.

Der Impfstoff von Pfizer/Biontech wird für die ersten Impfungen in der Schweiz vorbereitet.

sda

Die grösste Impfaktion der Geschichte hat begonnen. Am Mittwoch wurde im Kanton Luzern eine 90-jährige Frau gegen Sars-Cov-2 geimpft. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die Corona-Pandemie mit ihren beträchtlichen «Kollateralschäden» in absehbarer Zeit überwunden ist, wenn möglich schon im nächsten Sommer.

Verabreicht wird in einer ersten Phase der am letzten Samstag von Swissmedic zugelassene Corona-Impfstoff. Entwickelt wurde er vom deutschen Startup Biontech, die Produktion übernimmt der US-Pharmariese Pfizer. Von einem der im Frühjahr mit viel Brimborium in Aussicht gestellten Schweizer Impfstoffe aber ist nichts zu sehen. Was ist passiert?

Die Ankündigung

Als einer der Ersten ging Martin Bachmann ans Werk. Er ist Professor für Immunologie an der Universität Bern und erhielt gemäss NZZ Anfang Jahr einen Anruf von einer ehemaligen Mitarbeiterin aus China. In Riehen (BS) wurde der Biologe Peter Burkhard auf das neuartige Virus aufmerksam. Er ist Gründer und einziger Mitarbeiter der Firma Alpha-O-Peptides.

Martin Bachmann versprach einen Impfstoff bis Oktober.

Martin Bachmann versprach einen Impfstoff bis Oktober.

SRF

Als Dritter im Bunde ging Stéfan Halbherr an den Start, Forschungsleiter beim Berner Startup Innomedica. Es verfügt über eine eigene Produktionsstätte in Marly (FR). Im April warb es mit Inseraten um Investoren: «Corona-Impfstoff: aus der Schweiz, für die Schweiz.» Das TaliCoVax19 genannte Mittel sei ab 15. August lieferbereit, hiess es.

Alle drei Projekte arbeiteten am gleichen Ziel, mit unterschiedlichen Ansätzen. Es geht vereinfacht gesagt darum, den Organismus mit der Impfung zur Produktion von Antikörpern gegen Sars-Cov-2 zu bewegen. In den Medien stiessen diese Bemühungen im Frühjahr, als die Schweiz im ersten Lockdown festsass, auf grosse Resonanz.

Das Versprechen

Am 18. März berichteten die Tamedia-Zeitungen über das Projekt von Peter Burkhard. Er sei mit der Entwicklung «sehr weit», sagte der Riehener Forscher. Martin Bachmann in Bern stellte einen Impfstoff bis Oktober in Aussicht. Und Stéfan Halbherr von Innomedica sagte Mitte April in der SRF-Sendung «10vor10», er könne in Marly 70 Millionen Dosen pro Monat produzieren.

Die Schweizer aber waren nicht allein. Weltweit wurde intensiv nach einem Corona-Vakzin geforscht. Es gab Vergleiche mit dem Wettlauf ins All vor 60 Jahren. Das zeigte sich auch bei den Bezeichnungen. Die Russen nannten ihren Impfstoff Sputnik V, die Trump-Regierung finanzierte ihre Operation Warp Speed mit mehr als 15 Milliarden Dollar.

Die Rückschläge

In der Schweiz hingegen zögerte der Bund mit der finanziellen Unterstützung. Mitte Mai musste Peter Burkhard als erster Schweizer Entwickler aufgeben. Im April hatte er sich seinen Impfstoff vor laufender Kamera selbst gespritzt, doch erste Tests mit Mäusen waren ein Fehlschlag. Und für die weitere Forschung fehlte dem «Einzelkämpfer» das Geld.

Peter Burkhard in seinem Labor. Er musste im Mai aufgeben.

Peter Burkhard in seinem Labor. Er musste im Mai aufgeben.

screenshot: srf

In den USA würden dreistellige Millionenbeträge bereitgestellt, haderte Burkhard in der NZZ. «In der Schweiz nicht ein roter Rappen, njet, nada, nichts.» Dann geriet Martin Bachmann in die Kritik. Der «Beobachter» bezeichnete ihn als «Mann, der zu viel will». Tamedia enthüllte Ende Juni, dass er wiederholt Heilmittel in Aussicht gestellt, aber noch nie eines geliefert habe.

Ausserdem war der Berner Immunologe wegen Insiderhandels bei einem von ihm gegründeten Startup zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Bachmann wehrte sich gegen die Kritik, schraubte aber gegenüber Tamedia die Erwartungen selbst herunter: «Wir gehen davon aus, dass wir den Impfstoff im Dezember zur Verfügung haben werden.»

Schliesslich hatte auch Innomedica Probleme. Die Antikörper konnten das Coronavirus in den Tests nicht neutralisieren. Ein Schweizer Impfstoff rückte in weite Ferne. Die Forschung laufe auf Hochtouren, «doch einen Gang höher schalten, um das Ziel eines Vakzins auch möglichst schnell zu erreichen – das tun andere», schrieb die «NZZ am Sonntag».

Der Standort-Nachteil

Zu fehlendem Geld und Glück kamen strukturelle Probleme hinzu. Obwohl die Schweiz ein führender Pharma-Standort ist, spielt sie bei der Herstellung von Impfstoffen keine Rolle mehr. Novartis und Roche haben sich daraus verabschiedet. Denn entgegen den Behauptungen von Impfgegnern sind Impfungen kein lukratives Geschäft.

Berna Biotech forschte an einem Vakzin gegen das ursprüngliche Sars-Virus. 2006 wurde die Firma verkauft.

Berna Biotech forschte an einem Vakzin gegen das ursprüngliche Sars-Virus. 2006 wurde die Firma verkauft.

Keystone

Als letzter Hersteller wurde Berna Biotech, einst eine Firma von Weltruf, 2006 verkauft. Sie gehört heute dem US-Konzern Johnson & Johnson. Dessen Tochterfirma Janssen Vaccines ist am Standort in Bern an der Erforschung eines Corona-Impfstoffs beteiligt. In der «Pole-Position» aber sind Pfizer/Biontech, Moderna und Astrazeneca.

«Bei den Firmen und Instituten, die schliesslich das Rennen machten, stand vieles von dem bereit, was die Schweizer erst mühsam organisieren mussten. Sie hatten grosse Forschungsabteilungen und Verträge mit Pharmariesen, die sich um die Herstellung ihrer Impfstoffe kümmerten», brachte es in die NZZ in ihrer Recherche auf den Punkt.

Die nächsten Schritte

Ganz aufgegeben haben die Schweizer «Pioniere» nicht. So teilte die Saiba AG, die Firma von Martin Bachmann, im September mit, sie wolle nun einen «sichereren und effektiveren Impfstoff der zweiten Generation nach 2020/21» entwickeln. Für das Scheitern des ursprünglichen Ziels wurde die fehlende finanzielle Unterstützung durch den Bund verantwortlich gemacht.