Christian Nünlist
Im Zweiten Weltkrieg hatte Bahr in der Wehrmacht gedient. Er wurde jedoch entlassen, als die Nazis herausfanden, dass er jüdische Vorfahren hatte. Nach einem Intermezzo als Journalist für RIAS, das Radio im US-Sektor Berlins, begann er 1960 als Pressesprecher Willy Brandts zu arbeiten, dem Bürgermeister von Westberlin. Nach der Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 war Bahr aktiv bemüht, die Ungerechtigkeiten abzubauen, die sich aus der Stadtteilung ergaben. Sein Ziel war es, den Ost- und Westberlinern trotz der Mauer einen sporadischen Austausch zu ermöglichen.
Im Juli 1963, kurz nach Kennedys Friedensrede, hatte Bahr seinen ersten grossen Auftritt auf der Bühne des Kalten Krieges. In Tutzing plädierte er für engere Kontakte mit der DDR und anderen Regierungen des Sowjetblocks. Er prägte den Ausdruck «Wandel durch Annäherung» - ein Begriff, der sich im Vokabular der Entspannungspolitiker einbürgern würde. Bahrs Idee war der Gegenentwurf zur «Hallstein-Doktrin» (1955), die jeden Kontakt Bonns mit der DDR und mit Ländern, welche die DDR anerkannten, verbot. Bahrs Vision des «Wandels durch Annäherung» wurde ab Mitte der 1960er-Jahre Kern der «Ostpolitik» - der europäischen Version der Entspannungspolitik, die das Fundament legte für die Überwindung der Blockgegensätze in Europa.
Wir erinnern mit einer 15-teiligen Artikelserie an das "andere 9/11" - an den 9.11.1989 und stellen 15 Wegbereiter des Wende- und Wunderjahrs 1989 vor - politische Akteure, die unserer Meinung nach einen zentralen Beitrag geleistet haben, dass der Kalte Krieg nach 45 Jahren zu Ende ging - und zwar auf die Art und Weise zu Ende ging, wie er zu Ende ging, nämlich weitgehend friedlich und ohne Blutvergiessen.