Abkommen
Uno-Migrationspakt: Volkserziehung, erleichterte Mobilität, Familiennachzug – der Inhalt ist brisant

Das Gesundheitswesen müsse auf Migranten ausgerichtet werden, und Journalisten sollten über die Vorteile der Migration berichten – das fordert der Uno-Migrationspakt, an dem die Schweiz massgeblichen Anteil hat.

Patrik Müller
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Die Uno will das Elend der Migration beseitigen. Doch der Uno-Migrationspakt ist umstritten. Bild: Karawane in Guatemala.

Die Uno will das Elend der Migration beseitigen. Doch der Uno-Migrationspakt ist umstritten. Bild: Karawane in Guatemala.

Esteban Biba

Beim UNO-Migrationspakt, den die Schweiz unterzeichnen soll, handelt es sich um ein 34-seitiges Dokument, das auf https://refugeesmigrants.un.org in Englisch abrufbar ist. Das Papier hat die Absicht, eine sichere und geordnete Migration zu erreichen. Vieles darin ist selbstverständlich und unbestritten – einiges aber politisch brisant. Die «Schweiz am Wochenende» greift wichtige Aussagen heraus und ordnet sie ein.

Volkserziehung

Der Pakt will erreichen, dass die Bevölkerung die Migration als etwas Positives für alle («win-win», wie es heisst) wahrnimmt. Die «Vision» sei: «Wir müssen all unseren Bürgern objektive, faktengestützte und klare Informationen vermitteln, die die Vorteile und Herausforderungen der Migration aufzeigen. Dies, um irreführende Narrative auszuräumen, die eine negative Wahrnehmung von Migranten bewirken.»

Das Logo des 34 Seiten langen UNO-Papiers.

Das Logo des 34 Seiten langen UNO-Papiers.

Die UNO nimmt auch die Medien in die Pflicht. Diese müssten «in die Steuerung der Migration eingebunden werden», heisst es im Pakt. Zwar wird betont, dass die Pressefreiheit geachtet werde. Aber Journalisten müssten «bezüglich Migrationsfragen und -begriffen sensibilisiert und aufgeklärt» werden. Der Pakt droht jenen Medien, die öffentliche Gelder erhalten (in der Schweiz wäre das die Medienabgabe, also die ehemalige Billag-Gebühr), mit dem Entzug dieser Gelder, falls sie «systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern». Das mag harmlos klingen – doch wer entscheidet, was rassistisch oder intolerant genau bedeutet? Ist es schon rassistisch, wenn ein Medium die Herkunft eines Straftäters nennt? Das Schweizer Aussenministerium (EDA) sieht kein Problem, auf Anfrage teilt es mit: «Die Medienfreiheit wird in keiner Art und Weise tangiert.» Der Geld-Entzug sei ein «freiwilliges Umsetzungsinstrument».

Informationen in den Herkunftsländern

Nicht nur in den Zielländern wie der Schweiz, auch in den Fluchtländern will der UNO-Pakt die Bevölkerung aufklären. Er verlangt «mehrsprachige, geschlechtersensible Informationskampagnen in den Herkunftsländern» und «Orientierungskurse vor der Abreise», um eine sichere, geordnete und reguläre Migration zu fördern und auf die Risiken irregulärer Migration hinzuweisen». Müsste die Schweiz also etwa in Afrika kommunikativ aktiv werden? Das EDA ortet keinen zusätzlichen Bedarf: «Die Schweiz finanziert bereits seit mehreren Jahren Informations- und Sensibilisierungskampagnen in Herkunfts- und Transitstaaten.»

Einfachere Mobilität

Dass der UNO-Pakt eine weltweite Personenfreizügigkeit einführen wolle, wie Rechtspopulisten etwa in Deutschland behaupten, ist falsch – das geht aus dem Vertragstext nicht hervor. Doch er formuliert das generelle Ziel, die «Mobilität für Arbeitskräfte» zu erleichtern, konkret «durch internationale und bilaterale Kooperationsvereinbarungen, wie beispielsweise Freizügigkeitsregelungen, Visaliberalisierung oder Visa für mehrere Länder.» Heute kennt die Schweiz die volle Freizügigkeit einzig für Arbeitskräfte aus der Europäischen Union.

Familiennachzug erleichtern

Der UNO-Pakt will erreichen, dass die unterzeichnenden Staaten den Familiennachzug für Migranten «aller Qualifikationsniveaus» erleichtern. Dies «durch Massnahmen, die dem Recht auf ein Familienleben Nachachtung verschaffen – auch «durch Neufassung geltender Vorschriften», etwa bezüglich Aufenthaltsdauer, Arbeitsgenehmigung und Zugang zu Sozialversicherungen.

Gesundheitsversorgung

Der Pakt verlangt, das «nationale und lokale» Gesundheitswesen den Bedürfnissen von Migranten anzupassen, «zum Beispiel indem die Kapazitäten für die Leistungserbringung verstärkt werden, ein bezahlbarer und nichtdiskriminierender Zugang zur Gesundheitsversorgung gefördert wird». So wie die Journalisten (siehe oben) sollen auch die Angestellten des Gesundheitswesens «in kultureller Sensibilität geschult werden».

Ausschaffungshaft wäre neu verboten

Die vielen Forderungen des Pakts, so beschwichtigt das EDA, würden in der Schweiz keine neuen Gesetze auslösen. Denn: «Der Migrationspakt ist eine sogenannte Soft-Law, das heisst rechtlich nicht verbindlich, aber politisch bindend.» In einem Punkt aber würde der UNO-Pakt dem Schweizer Recht widersprechen: Ausschaffungshaft für Minderjährige ab 15 Jahren wäre nicht mehr möglich.

8 wichtige Fragen zu den Flüchtlingen

Flüchtlinge machen derzeit weltweit Schlagzeilen. US-Präsident Trump schimpft über die «Karawane», die sich in Richtung amerikanischer Südgrenze bewegt, in Hessen fordert die AfD die Schliessung der deutschen Aussengrenzen und der brasilianische Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro bezeichnet Migranten als «Abschaum der Erde». Was ist dran an der aufflammenden Angst vor den Flüchtlingsbewegungen?

1. Wie viele Menschen sind auf der Flucht?

68,5 Millionen Menschen waren laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk 2017 auf der Flucht. Das sind gut drei Millionen mehr als im Jahr zuvor. Rund die Hälfte von ihnen waren Kinder.

2. Von wo nach wo fliehen sie eigentlich?

Rund 40 Millionen Fliehende sind sogenannte Binnenvertriebene: Menschen, die innerhalb ihres eigenen Heimatlandes auf der Flucht sind. In Kolumbien gelten knapp acht Millionen Menschen als interne Vertriebene, in Syrien sind es gut sechs Millionen. Am meisten Menschen fliehen aus Syrien, Afghanistan und dem Südsudan. Am meisten Flüchtlinge aufgenommen hat die Türkei, gefolgt von Pakistan, Uganda, dem Libanon, Iran und Deutschland.

3. Waren schon einmal ähnlich viele Menschen auf der Flucht wie heute?

Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk waren 2017 weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie zuvor. Während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) waren in Europa schätzungsweise 30 Millionen Menschen auf der Flucht. Bei der Teilung Indiens wurden 1947 rund 20 Millionen Menschen vertrieben, und der Bangladesch-Krieg 1971 zwang gar bis zu 40 Millionen Menschen zur Flucht.

4. Wie viele Menschen wagen die Flucht über das Mittelmeer nach Europa?

2017 gelangten laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk 160'000 Menschen über den Seeweg nach Europa. Rund 3000 Personen kamen bei der Überquerung ums Leben. Italien koordinierte ab 2013 bis im Herbst 2014 die Seenotrettung. Seither haben private Organisationen auf dem Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten gesucht. Italien und Malta haben diesen Schiffen die Landeerlaubnis inzwischen entzogen.

5. Auf welchen Wegen gelangen Fliehende derzeit sonst nach Europa?

Im vergangenen Jahr versuchten Tausende Fliehende über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Bosnien-Herzegowina gilt als neuer Hotspot auf der Flüchtlingsroute durch den Balkan. Rund 4000 Menschen harren an der kroatischen Grenze in Zeltlagern ihrem Schicksal.

6. Was ist der Unterschied zwischen «Wirtschaftsmigranten» und «Flüchtlingen»?

Gemäss der Genfer Konvention gilt jeder Mensch als Flüchtling, der bei der Rückkehr in sein Heimatland wegen seiner Rasse, seiner Religion oder seiner politischen Meinung verfolgt werden würde. Laut der UNO trifft das derzeit auf 25,4 Millionen Menschen weltweit zu. Wirtschaftsmigranten sind Personen, die – ohne verfolgt zu werden – aus Hoffnung auf bessere ökonomische Perspektiven ihre Heimat verlassen.

7. Wie sehen die aktuellen Asylzahlen in der Schweiz aus?

Dieses Jahr wurden hierzulande 11'484 Asylgesuche gestellt (Stand Ende September), rund ein Fünftel weniger als in der Vorjahresperiode. In der Schweiz leben 36 268 anerkannte Flüchtlinge (die meisten aus Eritrea und Syrien) und 45 418 vorläufige aufgenommene Personen ohne anerkannten Flüchtlingsstatus.

8. Die Eritreer stellen die grösste Flüchtlingsgruppe in der Schweiz. Wie sieht ihre Situation aus?

16'744 anerkannte Flüchtlinge aus Eritrea leben in der Schweiz, 9587 sind vorläufig aufgenommen (Stand September 2018). Seit Juni 2016 verschärft sich ihre Situation zusehends. Das Staatssekretariat für Migration erkennt die illegale Ausreise aus Eritrea nicht mehr als Fluchtgrund an. Zwei Entscheide
des Bundesverwaltungsgerichts im August 2017 und im Juli 2018 haben zudem den rechtlichen Weg für Rückschaffungen abgewiesener Asylbewerber aus Eritrea freigemacht. Rückschaffungen sind aber noch nicht möglich, weil kein Rücknahmeabkommen zwischen der Schweiz und Eritrea besteht.