Alle setzen auf Strom aus Wasser. Doch tiefe Strompreise machen diesen unrentabel.
Mehr als die Hälfte unseres Stroms entspringt der Wasserkraft. Die Energiequelle gilt nicht nur als beständig, sondern auch als sauber. Energieministerin Doris Leuthard nennt sie «das Rückgrat» unserer Stromproduktion, Ständeräte bezeichnen sie abwechselnd als «Wirbelsäule» oder «Stütze». Welchen Titel man der Wasserkraft auch verleihen will: Klar ist, dass ohne sie die Energiewende nicht gelingen wird – zumal der Ständerat am Montag entschieden hat, der Wasserkraft (als Lückenbüsser für die wegfallende Atomkraft) mehr Gewicht zu verleihen.
Just im Moment der politisch heissen Phase droht der hoch volatile Strommarkt dem Projekt nun aber einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die Strompreise sind so tief, dass sich der Betrieb von Wasserkraftwerken kaum mehr lohnt. Der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler, selbst Verwaltungsrat zweier Elektrizitätswerke, veranschaulichte in der gestrigen Debatte die Situation: Der Strom sei so billig, dass es sich bei Überproduktion kaum lohne, die Turbinen laufen zu lassen. «An sonnenreichen Tagen wird das Wasser ungenutzt über die Wehre geleitet.» Diese Verschwendung von Energie und Kapital könne nicht gewollt sein.
Leuthard bestätigte, das Umfeld sei schwierig. Fracking, Kohle und Öl seien heute viel billiger als Wasserkraft. Auch beim Solarstrom seien die Preise gepurzelt, deshalb stehe er nun in Konkurrenz zur Wasserkraft – beim Wind dasselbe. Die Energieministerin wies allerdings auch darauf hin, dass die Branche «über Jahrzehnte im Verkauf von Wasserkraft gutes Geld verdient hat, in der Regel über 1 Milliarde Franken pro Jahr.» Dieses Geld sei nun zwar weggebrochen. Trotzdem stelle sich die Frage, ob das automatisch heisse, dass der Staat einspringen müsse – zumal aus den Daten der Wasserkraftbetreiber hervorgehe, dass der Strompreis die Betriebskosten decke. Laut Leuthard haben die Betreiber zu hohe Schulden angehäuft, zu hohe Fixkosten und schütten sich dennoch fleissig Dividenden aus.
Der Nationalrat lehnte in der ersten Lesung Finanzhilfen ab. Der Ständerat prüfte hingegen zahlreiche Varianten, um unrentable Werke vor Bankrott oder vielleicht eher vor dem Verkauf ins Ausland retten zu können. Entschieden hat sich die Mehrheit für eine Härtefallregel: Gerät ein Kraftwerkbetreiber in Not, soll ihm der Staat helfen.
Die Gegnerschaft war zweigeteilt: Die einen hielten die Subventionen für unangebracht, den anderen gingen sie zu wenig weit. Der ersten Gruppe gehörten neben SVP-Politiker auch Freisinnige wie Georges Theiler (LU) an. Dieser gestand der Wasserkraft zwar eine wichtige Rolle zu: «Sie muss auch in Zukunft 60 Prozent der Kapazitäten liefern.» Doch könne jede Unternehmung in Situationen kommen, wo sie wegen Marktpreisen Probleme kriege. Im Moment sei neben der Strom- auch die Exportbranche stark betroffen. «Das sind Durststrecken, die man überstehen muss.»
Engler – und mit ihm eine Gruppe von Vertretern aus Gebirgskantonen – forderte hingegen die Unterstützung jener Werke, welche die Wasserkraft unter den Gestehungskosten absetzen müssen. «Nicht erst, wenn sie schon am Boden liegen», so Engler. Angesichts des breit gestreuten Willens, die Energiewende auch dank der Wasserkraft voranzutreiben, müsste der Vorschlag offene Türen einrennen. Allerdings kamen die Vorbehalte gegen seinen Vorschlag nicht nur von liberaler Seite, weil Bundesgelder mit der «Giesskanne» verteilet würden. Auch SP-Ständerätinnen hielten die Idee für übertrieben. Die Hälfte der Fördergelder, die für erneuerbare Energien eingeplant waren, würden so für Wasserkraft draufgehen, sagte Pascale Bruderer (AG). Anita Fetz (BS) doppelte nach: Es bleibe zu wenig Geld für die Förderung der Erneuerbaren – und das sei ja nicht das Ziel.
Engler zog sein Projekt daraufhin zurück. Aus «taktischen Gründen». Er sehe im Nationalrat bessere Chancen, seine Idee nochmals einzubringen. Die Karten werden also nochmals neu gemischt. So ist die Energiestrategie zwar auf gutem Weg, aber noch nicht im Ziel. Heute muss sich der Ständerat etwa entscheiden, ob er eine Laufzeitbeschränkung für AKW festlegen will.